The Project Gutenberg eBook of Utopia, by Thomas Morus (2024)

The Project Gutenberg EBook of Utopia, by Thomas MorusThis eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.orgTitle: UtopiaAuthor: Thomas MorusRelease Date: October 20, 2008 [EBook #26971]Language: GermanCharacter set encoding: ISO-8859-1*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK UTOPIA ***Produced by Norbert H. Langkau, Jana Srna and the OnlineDistributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net

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THOMAS MORUS

Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig

LIBELLUS VERE AUREUS NEC
minus salutaris quam festivus de optimo reip.
statu, deque nova Insula Utopia autore clarissimo
viro Thoma Moro inclutae civitatis
Londinensis cive & vicecomite cura M. Petri
Aegidii Antverpiensis, & arte Theodorici
Martini Alustensis, Typographi almae
Lovaniensium Academiae nunc
primum accuratissime
editus.

Cum gratia & privilegio.

Titel der Erstausgabe aus dem Jahre 1516

5

VORREDE
zu dem Werke über den bestenZustand des Staates

Thomas Morus grüßt seinen Peter Ägid aufs herzlichste.

Fast schäme ich mich, mein liebster Peter Ägid,daß ich Dir dies Büchlein über den Staat von Utopienerst nach beinahe einem Jahre schicke. HastDu es doch ohne Zweifel innerhalb von anderthalbMonaten erwartet, da mir ja, wie Du wußtest, beidiesem Werke die Mühe der Erfindung des Stoffesabgenommen war und ich mir auch in betreff derGliederung nichts auszudenken brauchte. Denn ichhatte nur das wiederzugeben, was ich mit Dir zusammenRaphael gerade so hatte erzählen hören.Deshalb lag auch kein Anlaß vor, mich hinsichtlichdes Stiles abzumühen. Raphael konnte sich ja garnicht gesucht ausdrücken; denn erstens sprach er,ohne daß er es vorher wußte und sich vorbereitenkonnte, sodann ist er, wie Du weißt, im Lateinischennicht so zu Hause wie im Griechischen, und schließlichkommt meine Rede der Wahrheit um so näher,je mehr sie sich seiner nachlässigen und schlichtenAusdrucksweise nähert, und um die Wahrheit alleinmuß und will ich mich bei dieser Sache kümmern.

6Ich gebe denn auch zu, mein Peter, das, was ichvorfand, hatte mir so viel Arbeit abgenommen, daßfast nichts mehr zu tun übrigblieb. Andernfallshätte ja auch Erfindung oder Gliederung des Stoffesnicht wenig Zeit und Studium eines nicht unbedeutendenund recht gelehrten Geistes erfordert. Würdeman nun nicht bloß eine der Wahrheit entsprechende,sondern auch geschmackvolle Darstellung verlangen,so hätte ich das nicht leisten können, auchwenn ich all meine Zeit und all meinen Eifer aufgewendethätte. So aber, da diese Schwierigkeitenwegfielen, die zu bewältigen viel Schweiß gekostethätte, blieb einzig und allein die einfache Aufzeichnungdessen übrig, was ich gehört hatte, unddas war wirklich keine Arbeit mehr. Aber selbstzur Erledigung dieser so unbedeutenden Arbeit ließenmir meine übrigen Geschäfte fast noch wenigerals keine Zeit. Nehmen mich doch dauernd meineGerichtssachen in Anspruch. Bald führe ich einenProzeß, bald bin ich Beisitzer, bald schlichte icheinen Handel als Schiedsrichter, bald entscheide icheinen anderen als Richter, bald besuche ich diesenin einer amtlichen, bald jenen in einer geschäftlichenAngelegenheit. Während ich so fast den ganzen Tagaußerhalb meines Hauses fremden Leuten und nurden Rest meinen Angehörigen widme, kann ich fürmich, d.h. für meine Studien, nichts erübrigen. Dennkomme ich nach Hause, so muß ich mit meiner Frauplaudern, mit den Kindern schwatzen und mit demGesinde sprechen. Alles das rechne ich zu meinenPflichten, weil es erledigt werden muß. Es muß abererledigt werden, wenn man nicht in seinem eigenenHause ein Fremdling sein will. Man muß sich überhaupt7Mühe geben, so liebenswürdig wie möglich zudenen zu sein, die einem die Natur als Begleiter aufdem Lebenswege vorgesehen oder die der Zufall odereigene Wahl dazu gemacht hat. Nur darf man sienicht durch Leutseligkeit verderben und die Dienernicht durch Nachsicht zu seinen Herren werden lassen.Über dem, was ich angeführt habe, geht einTag, geht ein Monat, geht ein Jahr hin. Wann alsokomme ich da zum Schreiben? Und dabei habe ichnoch gar nicht vom Schlafen gesprochen und auchnoch nicht einmal vom Essen, das bei vielen Leutennicht weniger Zeit in Anspruch nimmt als der Schlaf,der fast die Hälfte der Lebenszeit für sich beansprucht.Aber für mich gewinne ich nur so viel Zeit, wie ichmir vom Schlafen und Essen abstehle. Weil das nurwenig ist, so habe ich die Utopia auch nur langsamfertiggebracht; weil es aber immerhin etwas ist, soist sie doch nun endlich fertig geworden, und ichschicke sie Dir zu, damit Du sie liest und mich daraufaufmerksam machst, falls mir etwas entgangensein sollte. Nun habe ich freilich in dieser Beziehungziemlich viel Zutrauen zu mir – ich wollte, mit meinemGeiste und mit meinem Wissen stünde es ebensowie mit meinem Gedächtnis, das mich nur manchmalim Stiche läßt –, doch ist mein Zutrauen nicht sogroß, daß ich annehmen dürfte, mir könnte nichtsentfallen sein. Denn auch mein Famulus, JohannesClemens, hat mich sehr bedenklich gestimmt. WieDu ja wohl weißt, war er damals dabei, und ichlasse ihn an jeder Unterhaltung teilnehmen, aus derer etwas lernen kann; denn von diesem Schößling,der im Lateinischen wie im Griechischen zu grünenbegonnen hat, erhoffe ich dereinst einen guten Ertrag.8Soviel ich mich nämlich erinnere, hat Hythlodeuserzählt, jene Brücke von Amaurotum über denFluß Anydrus sei 500 Doppelschritte lang. MeinJohannes aber meinte, man müsse 200 abziehen; derFluß sei dort nicht breiter als 300 Doppelschritte.Besinne Dich doch bitte noch einmal darauf! WennDu nämlich der gleichen Meinung bist wie Johannes,so will auch ich zustimmen und einen Irrtum meinerseitsannehmen. Solltest Du aber selbst Dich nichtmehr besinnen können, so bleibt stehen, worauf ichmich selbst zu besinnen glaube. Wenn ich mich nämlichauch vor jeder falschen Angabe in dem Buchestreng hüten will, so ziehe ich doch in Zweifelsfällendie Unwahrheit der Lüge vor, weil ich Tugendhöher schätze als Klugheit. Freilich wäre dieserSchaden leicht zu heilen, wenn Du Raphael selbstmündlich oder schriftlich fragen wolltest. Das mußtDu sowieso tun wegen eines anderen Bedenkens, dasuns gekommen ist, ich weiß nicht, ob mehr durchmeine oder Deine oder Raphaels eigene Schuld.Denn weder ist es uns in den Sinn gekommen, danachzu fragen, noch ihm, es uns zu sagen, in welcherGegend jenes neuen Erdteils Utopia liegt.Wahrhaftig, wie gern würde ich mit etwas Geldvon mir diese Unterlassung ungeschehen machen!Denn erstens schäme ich mich ein wenig, nicht zuwissen, in welchem Meere die Insel liegt, von derich so viel zu berichten weiß; sodann aber gibt esbei uns den einen und den anderen, vor allem abereinen frommen Theologen von Beruf, der daraufbrennt, Utopia zu besuchen, nicht aus eitlem undneugierigem Verlangen, Neues zu sehen, sondern umdie verheißungsvollen Keime unserer Religion dort9zu pflegen und noch zu vermehren. Um dabei ordnungsgemäßzu verfahren, hat er beschlossen, sichvorher einen Missionsauftrag vom Papste zu verschaffenund sich von den Utopiern sogar zumBischof wählen zu lassen. Dabei stört es ihn durchausnicht, daß er sich um dieses Vorsteheramt erstbewerben müßte. Allerdings ist sein Ehrgeiz, wieer meint, deshalb gottgefällig, weil er nicht durchRücksicht auf Ehre oder Gewinn, sondern durchRücksicht auf die Religion bedingt ist.

Deshalb wende Dich, mein Peter, ich bitte Dichdarum, entweder mündlich, wenn es Dir ohne Umständemöglich ist, oder brieflich an Hythlodeus undsorge dafür, daß in diesem meinen Werke nichtsFalsches steht oder nichts Wahres vermißt wird.Und vielleicht ist es besser, ihm das Buch selbst zuzeigen. Einerseits nämlich ist niemand anders ebensoimstande, einen etwaigen Irrtum zu berichtigen,anderseits kann er das selbst auch nur, wenn erdurchliest, was ich geschrieben habe. Außerdemwirst Du auf diese Weise merken, ob er damit einverstandenist, daß ich dieses Buch schreibe, oderob er ärgerlich darüber ist. Falls er sich nämlichvorgenommen hat, seine Abenteuer selbst aufzuzeichnen,so möchte er vielleicht nicht – und ichbestimmt auch nicht –, daß ich ihm Duft und Reizseiner Erzählung im voraus wegnehme, indem ichden Staat Utopia allgemein bekanntwerden lasse.Allerdings bin ich, wenn ich ganz offen sein soll,auch mir selber noch nicht recht im klaren, ob ichdas Buch überhaupt erscheinen lasse. Denn der Geschmackder Menschen ist so verschieden, undmanche sind so eigensinnig, so undankbar und so10unsinnig in ihrem Urteil, daß offenbar die Leute vielglücklicher sind, die in Freude und Frohsinn ihreigenes Ich befriedigen, als diejenigen, die sich zermürbenin dem Bestreben, etwas zu veröffentlichen,was für andere, die wählerisch oder undankbar sind,ein Nutzen oder ein Vergnügen sein könnte. Die meistenhaben keinen Sinn für literarische Dinge; vieleverachten sie; ein Barbar lehnt alles als schwer ab,was nicht gänzlich barbarisch ist; gelehrte Pedantenverschmähen alles als abgegriffen, was nicht vonveralteten Ausdrücken strotzt; manchen gefällt nurdas Alte, den meisten nur das eigene Wissen. Dieserist so mürrisch, daß er von Scherzen nichts wissenwill, dieser wieder so fade, daß er keine Witze verträgt;manche sind so plattnasig, daß sie jedesNaserümpfen scheuen wie ein von einem tollen HundGebissener das Wasser, andere wieder sind so wetterwendisch,daß sie im Sitzen etwas anderes geltenlassen als im Stehen. Manche sitzen in den Kneipen,urteilen am Biertisch über die Talente derSchriftsteller und verurteilen sie mit großem Nachdruck,ganz wie es ihnen beliebt, indem sie einenjeden in seinen Schriften gleichsam beim Schopfenehmen und ihn zausen, wobei sie selbst aber vorder Hand in Sicherheit und, wie man so sagt, weitvom Schuß sind. Denn rundum sind sie so glatt undkahlgeschoren, daß sie auch nicht ein Härchen einesguten Mannes an sich haben, an dem man sie fassenkönnte. Ferner gibt es Leute, die so undankbar sind,daß sie sich zwar ausgiebig an einem Werke ergötzen,dem Verfasser aber trotzdem keine größereLiebe entgegenbringen. Sie ähneln den unhöflichenGästen, die sich mit einem üppigen Mahle bewirten11lassen und dann gesättigt heimgehen, ohne dem, dersie eingeladen hat, ein Wort des Dankes zu sagen.Nun geh hin und richte für Leute mit so verwöhntemGaumen, von so verschiedenem Geschmack und nochdazu von so dankbarer und lieber Gesinnung aufDeine eigenen Kosten ein Mahl her!

Aber gleichwohl, mein Peter, besprich, was ich Dirgesagt habe, mit Hythlodeus! Später aber kann mansich ja diese Frage der Veröffentlichung noch einmalüberlegen. Sollte er indessen nichts dagegen haben,so will ich bei dem, was die Herausgabe noch erfordert,dem Rate meiner Freunde folgen und vorallem Deinem, da ich nun einmal die Mühe desSchreibens hinter mir habe und jetzt erst verspätetzur Einsicht komme. Lebe wohl, mein liebster PeterÄgid, nebst Deiner guten Frau und behalte michauch weiterhin lieb, da ja auch ich Dich noch lieberhabe, als es sonst meine Gewohnheit ist!

13

ERSTES BUCH
Rede des trefflichen Raphael Hythlodeus über den bestenZustand des Staates, veröffentlicht von dem erlauchtenThomas Morus, Bürger und Vicecomes der rühmlich bekanntenbritischen Hauptstadt London.

Kürzlich hatte der siegreiche König von EnglandHeinrich, der achte dieses Namens, ein mit allenTugenden eines hervorragenden Fürsten gezierterHerrscher, einige nicht belanglose Meinungsverschiedenheitenmit Karl, dem erhabenen König vonKastilien. Zu den Verhandlungen darüber und zurBeilegung dieser Streitigkeiten schickte mich KönigHeinrich als Abgesandten nach Flandern, und zwarzusammen mit dem unvergleichlichen Cuthbert Tunstall,den der König erst kürzlich unter überausstarkem und allgemeinem Beifall mit dem Amte desArchivars betraut hat. Über seine Vorzüge will ichnichts sagen, nicht als ob ich fürchtete, infolge unsererFreundschaft könnte mein Urteil zu wenig denTatsachen entsprechen, sondern weil seine Tüchtigkeitund Gelehrsamkeit größer ist, als ich sie rühmenkönnte, und außerdem überall bekannter undberühmter, als daß sie noch gerühmt zu werdenbrauchte, ich müßte denn, wie man sagt, die Sonnemit der Laterne zeigen wollen. In Brügge trafenwir – so war es verabredet – die Beauftragten14des Königs Karl, alles treffliche Männer. Unterihnen befand sich der Präfekt von Brügge, einhochangesehener Mann, der Führer und das Hauptder Abordnung; ihr Sprecher und ihre Seele jedochwar Georg Temsicius, der Propst von Cassel, einRedner von einer nicht nur erworbenen, sondernauch angeborenen Beredsamkeit, außerdem ein überauserfahrener Jurist und im Verhandeln ein vortrefflicherMeister durch seine Begabung und beständigePraxis. Ein und das andere Mal kamen wirzusammen, ohne in gewissen Fragen eine rechteEinigung zu erzielen. Da verabschiedeten sich dieanderen für einige Tage von uns und reisten nachBrüssel, um sich bei ihrem Fürsten Bescheid zuholen. Inzwischen begab ich mich – die Geschäftebrachten es so mit sich – nach Antwerpen. Währendmeines Aufenthaltes dort kam häufig außeranderen, aber immer als liebster Besucher, PeterÄgid aus Antwerpen zu mir. Er genießt großesVertrauen bei seinen Landsleuten und nimmt eineangesehene Stellung ein, verdient aber die angesehenste.Man weiß nämlich nicht, wodurch sich derjunge Mann mehr auszeichnet, ob durch seine Bildungoder seinen Charakter; ist er doch ein sehrguter Mensch und zugleich ein großer Gelehrter,außerdem ein Mann von lauterer Gesinnung gegenalle, seinen Freunden gegenüber aber von solcherHerzlichkeit, Liebe, Treue und aufrichtigen Neigung,daß man kaum einen oder den anderen irgendwofindet, den man als einen ihm in jeder Beziehunggleichwertigen Freund bezeichnen möchte. Er besitzteine seltene Bescheidenheit; niemandem liegt Verstellungso fern wie ihm; niemand ist schlichter und15zugleich klüger. Ferner kann er sich so gefällig undharmlos-witzig unterhalten, daß der so angenehmeUmgang und die so liebe Plauderei mit ihm zu einemgroßen Teile mich die Sehnsucht nach der Heimatund dem heimischen Herd, nach meiner Frau undmeinen Kindern leichter ertragen ließ; denn schondamals war ich über vier Monate von daheim fort,und in überaus beängstigender Weise quälte michdas Verlangen, sie wiederzusehen.

Eines Tages hatte ich in der wunderschönen undvielbesuchten Liebfrauenkirche am Gottesdienst teilgenommenund schickte mich an, nach Beendigung derFeier von dort in meine Herberge zurückzukehren,da sehe ich Peter zufällig sich mit einem Fremdenunterhalten, einem älteren Manne mit sonnverbranntemGesicht und langem Bart. Der Mantel hingihm nachlässig von der Schulter herab, und seinemAussehen und seiner Kleidung nach war er ein Seemann.Sobald mich Peter erblickte, kam er auf michzu und grüßte. Als ich antworten wollte, nahm ermich ein wenig beiseite und fragte: »Siehst du denda?« Dabei zeigte er auf den, mit dem ich ihn hattesprechen sehen. »Den wollte ich gerade jetzt zu dirbringen.« – »Er wäre mir sehr willkommen gewesen«,antwortete ich, »und zwar deinetwegen.« –»Nein«, sagte er, »vielmehr seinetwegen, wenn duden Mann nur schon kenntest. Denn niemand inder ganzen Welt kann dir heutzutage so viel von unbekanntenMenschen und Ländern erzählen, und, wieich weiß, bist du ja ganz versessen darauf, so etwaszu hören.« – »Also war meine Vermutung«, sagteich, »gar nicht so falsch. Denn gleich auf den erstenBlick habe ich ihn als Seemann erkannt.« – »Und16doch hast du dich stark geirrt; er fährt wenigstensnicht als Palinurus, sondern als Odysseus oder vielmehrals Plato. Denn dieser Raphael – so heißt ernämlich, und sein Familienname ist Hythlodeus –ist nicht wenig bewandert im Lateinischen und sehrbewandert im Griechischen, und zwar hat er diegriechische Sprache deshalb mehr getrieben als dieder Römer, weil er sich ganz der Philosophie gewidmetund erkannt hatte, daß auf dem Gebiete derPhilosophie im Lateinischen nichts von irgendwelcherBedeutung vorhanden ist außer einigem vonSeneca und Cicero. Dann überließ er sein vom Vaterererbtes Gut, in dem er wohnte, seinen Brüdern,schloß sich – er ist nämlich Portugiese – demAmerigo Vespucci an, um sich die Welt anzusehen,und war dessen ständiger Begleiter auf den dreiletzten seiner vier Seereisen, die man schon hierund da gedruckt lesen kann. Von der letzten jedochkehrte er nicht mit ihm zurück. Er bemühte sich vielmehrdarum und erpreßte von Amerigo die Erlaubnis,zu jenen vierundzwanzig zu gehören, die am Endeder letzten Seereise in einem Kastell zurückgelassenwurden. So blieb er denn dort zurück, entsprechendseiner Sinnesart, die mehr nach einem Aufenthaltein fremdem Lande als nach einem Grabmaleverlangt. Führt er doch dauernd solche Sprüche imMunde wie ›Unter dem Himmelsgewölbe ruht, werkeine Urne hat‹ und ›Zum Himmel ist es von überallher gleich weit‹. Dieser Wagemut wäre ihm ohneGottes gnädigen Beistand nur allzu teuer zu stehengekommen. Nach Vespuccis Abreise durchstreifte erdann zusammen mit fünf Kameraden aus dem Kastellzahlreiche Länder und gelangte schließlich durch17einen wunderbaren Zufall nach Taprobane und vondort nach Caliquit. Hier hatte er das Glück, portugiesischeSchiffe anzutreffen, auf denen er schließlichwider Erwarten heimkehrte.«

Als Peter mit seiner Erzählung fertig war, dankteich ihm für seine Gefälligkeit und seine Bemühungen,mir die Unterhaltung mit einem Manne zu ermöglichen,die mir seiner Meinung nach willkommenwar, und wandte mich Raphael zu. Wir begrüßteneinander, wechselten jene bei der ersten Begegnungmit Fremden allgemein üblichen Redensartenund gingen dann in meine Wohnung. Hiersetzten wir uns im Garten auf eine Rasenbank undfingen an, miteinander zu plaudern.

Da erzählte uns denn Raphael, wie er es zusammenmit seinen im Kastell zurückgebliebenen Kameradennach Vespuccis Abreise angestellt habe, durchFreundlichkeiten und Schmeicheleien allmählich dieZuneigung der Eingeborenen zu gewinnen, nichtnur ohne Gefahr, sondern auch in Freundschaftunter ihnen zu leben und damit auch noch die Gunstund Wertschätzung eines Fürsten – sein und seinesLandes Name sei ihm entfallen – zu erlangen.In seiner Freigebigkeit – so erzählte er weiter –versah dieser ihn und fünf seiner Kameraden reichlichmit Lebensmitteln und Geld für eine Expedition,die sie dann zu Wasser mit Fahrzeugen und zuLande mit Wagen unternahmen und auf der sie einhöchst zuverlässiger Führer zu anderen Fürsten geleitete,an die sie warme Empfehlungsschreiben mithatten.Dann gelangten sie nach einer Reise von vielenTagen zu festen Plätzen, Städten und gar nichtschlecht eingerichteten volkreichen Staaten. Zwar18liegen unter dem Äquator, wie Raphael erzählte,und von da aus auf beiden Seiten etwa bis zurGrenze der Sonnenbahn wüste und der dörrendenSonnenglut dauernd ausgesetzte Einöden: Unwirtlichkeitringsum und ein trostloser Anblick, abschreckendalles und unkultiviert, Schlupfwinkel von wildenTieren und Schlangen oder schließlich auchvon Menschen, die Bestien weder an Wildheit nochan Gefährlichkeit nachstehen. Fährt man aber weiter,so wird alles allmählich milder: das Klimaweniger rauh, die Erde von einladendem Grünschimmernd, zahmer die Natur der Lebewesen. Endlichbekommt man Menschen, Städte und feste Plätzezu Gesicht, und unter ihnen herrscht ein ununterbrochenerHandelsverkehr, nicht nur untereinander undmit den Nachbarn, sondern auch mit fernen Völkern,und zwar zu Wasser und zu Lande.

Dadurch bot sich für Raphael die Gelegenheit,viele Länder diesseits und jenseits des Meeres zu besuchen;denn jedes Schiff, das ausgerüstet wurde,nahm ihn und seine Begleiter sehr gern mit. Wie ererzählte, hatten die Schiffe, die sie in den erstenLändern zu sehen bekamen, flache Kiele und Segelaus zusammengenähten Papyrusblättern oder ausWeidengeflecht, anderswo auch aus Häuten. Auf derWeiterfahrt begegneten sie Schiffen mit spitzgeschnäbeltenKielen und Segeln aus Hanf; am Endewar alles so wie bei uns. Die Seeleute waren nichtunerfahren in Meeres- und Himmelskunde. Abereinen außerordentlichen Dank erntete Raphael dafür,daß er sie im Gebrauch des Kompasses unterwies,den sie bis dahin überhaupt noch nicht kannten. Deshalbhatten sie sich auch nur zaghaft ans Meer gewöhnt19und vertrauten sich ihm nicht ohne Grundnur im Sommer an. Jetzt aber achten die Seeleuteim Vertrauen auf den Magnetstein die Gefahren desWinters gering, allerdings mehr sorglos als gefahrlos.Daher besteht die Gefahr, diese Erfindung, dieihnen, wie man glaubte, großen Vorteil bringenwerde, könne infolge ihrer Unvorsichtigkeit großeSchäden verursachen.

Was Raphael an den einzelnen Orten, wie er erzählte,gesehen hat, das alles hier mitzuteilen, würdezu weit führen und ist auch nicht der Zweck diesesBuches. Vielleicht werde ich es einmal an andererStelle erzählen, besonders alles das, dessen Kenntnisvon Nutzen ist, wie z.B. in erster Linie dierichtigen und klugen politischen Maßnahmen, die erbei gesitteten Völkern wahrgenommen hat. In betreffdieser Dinge befragten wir ihn nämlich ammeisten, und über sie sprach er auch am liebsten,während wir es vorläufig unterließen, uns nach Ungeheuernzu erkundigen, dem Langweiligsten, dases gibt. Denn Scyllen und räuberische Celänonen,menschenfressende Lästrygonen und dergleichenabscheuliche Ungeheuer sind fast überall zu finden,aber Bürger, die in einem vernünftig und weise geleitetenStaate leben, wohl nirgends. Wenn er nunaber auch bei jenen unbekannten Völkern viele verkehrteEinrichtungen wahrgenommen hat, so hat erdoch auch nicht weniges aufgezählt, was als Beispieldienen kann, die Fehler unserer Städte, Nationen,Völker und Herrschaften zu verbessern, undworüber ich, wie gesagt, an anderer Stelle einmalsprechen muß. Jetzt will ich nur seinen Berichtüber Sitten und Einrichtungen der Utopier wiedergeben,20wobei ich jedoch das Gespräch vorausschicke,in dessen Verlauf ihn eine Wendung dazu veranlaßte,diesen Staat zu erwähnen.

Mit großer Klugheit hatte Raphael aufgezählt,was hier und dort falsch war – sicherlich war essehr viel auf beiden Seiten des Ozeans –, dann aberauch, welche Maßnahmen bei uns und ebenso beijenen anderen verständiger sind. Er hatte nämlichSitten und Einrichtungen eines jeden Volkes so festim Gedächtnis, als hätte er an jedem von ihm besuchtenOrte sein ganzes Leben zugebracht. Dastaunte Peter und meinte: »Ich muß mich in der Tatwundern, mein Raphael, daß du nicht in die Diensteeines Königs trittst; denn das weiß ich zur Genüge:es gibt keinen, dem du nicht sehr willkommenwärest, da du es mit diesem deinen Wissen unddieser deiner Kenntnis von Gegenden und Menschenverstehst, ihn nicht bloß zu unterhalten, sondernauch durch Beispiele zu belehren und ihm mit deinemRat zu helfen. Auf diese Weise könntest du fürdich selbst ausgezeichnet sorgen und zugleich allendeinen Angehörigen sehr nützen.«

»Was meine Angehörigen betrifft«, erwiderte Raphael,»so kümmern die mich wenig; ihnen gegenüberhabe ich nämlich, wie ich glaube, meine Pflichtso ziemlich erfüllt. Denn was andere erst, wenn siealt und krank sind, abtreten, ja sogar auch dannnur ungern, wenn sie es nicht länger behalten können,das habe ich unter meine Verwandten undFreunde verteilt, und zwar zu einer Zeit, da ichnicht mehr bloß gesund und frisch war, sondern sogarschon in jungen Tagen. Sie müßten also, meineich, mit meiner Freigebigkeit eigentlich zufrieden21sein und dürften nicht außerdem noch verlangen underwarten, daß ich mich ihretwegen einem König alsKnecht verdinge.«

»Halt!« sagte da Peter. »Ich meinte, du solltestnicht ein Knecht, sondern ein Diener von Königenwerden.«

»Das ist nur ein ganz kleiner Unterschied«, antworteteRaphael.

»Wie du die Sache auch nennen magst«, sagte daPeter, »ich bin jedenfalls der Ansicht, daß das derWeg ist, nicht nur anderen in persönlichem undöffentlichem Interesse zu nützen, sondern auch deineeigene Lage glücklicher zu gestalten.«

»Glücklicher? auf einem Wege, vor dem mirgraut?« fragte Raphael. »Jetzt lebe ich, ganz wiees mir beliebt, und das ist, wie ich sicher vermute,bei den wenigsten Fürstendienern der Fall. Es gibtja auch genug Leute, die sich um die Freundschaftder Mächtigen bemühen. Da sollte man es nicht füreinen großen Verlust halten, wenn diese auf michund den einen oder den anderen meinesgleichen verzichtenmüssen.«

»Es ist klar, mein Raphael«, erwiderte ich, »daßdu weder nach Reichtum noch nach Macht verlangst.Und fürwahr, einen Mann von dieser deiner Gesinnungverehre und achte ich nicht weniger als irgendeinender Mächtigsten. Indessen wirst du, wie mirscheint, durchaus deiner selbst und deiner edlen Gesinnung,ja eines wahren Philosophen würdig handeln,wenn du es fertig brächtest, selbst unter Verzichtauf etwas persönliche Bequemlichkeit, deineBegabung und deinen Eifer dem Wohle des Gemeinwesenszu widmen. Das könntest du aber niemals22mit so großem Erfolge tun, als wenn du zum Rateeines großen Fürsten gehörtest und ihm richtige undgute Ratschläge erteiltest, und das würdest du ja,wie ich sicher weiß, tun. Denn ein Fürst ist gleichsamein nie versiegender Quell, von dem sich einSturzbach alles Guten und Bösen auf das ganzeVolk ergießt. Dein theoretisches Wissen aber ist sovollkommen, daß du gar keine große praktische Erfahrungnötig hast, und deine Lebenserfahrung anderseitsso groß, daß du gar kein theoretisches Wissenbrauchst, um einen ausgezeichneten Ratgeber jedesbeliebigen Königs abzugeben.«

»Da befindest du dich in einem doppelten Irrtum,mein lieber Morus«, erwiderte Raphael, »einmal hinsichtlichmeiner und sodann hinsichtlich der Sacheselbst. Ich besitze nämlich gar nicht die Fähigkeit,die du mir zuschreibst, und auch wenn ich sie imhöchsten Grade besäße, würde ich doch selbst durchden Verzicht auf meine Muße den Interessen desStaates in keinerlei Weise dienen. Erstens nämlichbeschäftigen sich die Fürsten selbst alle zumeistlieber mit militärischen Dingen, von denen ich nichtsverstehe und auch nichts verstehen möchte, als mitden segensreichen Künsten des Friedens, und weitgrößer ist ihr Eifer, sich durch Recht oder Unrechtneue Reiche zu erwerben als die schon erworbenengut zu verwalten. Ferner ist von allen Ratgebernder Könige jeder entweder in Wahrheit so weise,daß er den Rat eines anderen nicht braucht, oder erdünkt sich so weise, daß er ihn nicht gutheißenmag. Dabei pflichten sie unter schmarotzerischenSchmeicheleien den ungereimtesten Äußerungen dererbei, die bei dem Fürsten in höchster Gunst stehen23und die sie sich deshalb durch ihre Zustimmungverpflichten wollen. Und gewiß ist es ganz natürlich,daß einem jeden seine eigenen Einfälle zusagen.So findet der Rabe ebenso wie der Affe ameigenen Jungen seinen Gefallen. Wenn aber jemandim Kreise jener Leute, die auf fremde Meinungeneifersüchtig sind oder die eigenen vorziehen, etwasvorbringen sollte, das, wie er gelesen hat, zu andererZeit vorgekommen ist oder das er anderswogesehen hat, so benehmen sich die Zuhörer geradeso, als ob der ganze Ruf ihrer Weisheit gefährdetwäre und als ob man sie danach für Narren haltenmüßte, wenn sie nicht imstande sind, etwas zu finden,was sie an dem von den anderen Gefundenenschlecht machen können. Wenn sie keinen anderenAusweg wissen, so nehmen sie ihre Zuflucht zu Redensartenwie: So hat es unseren Vorfahren gefallen;wären wir doch ebenso klug wie sie! Und nacheinem solchen Ausspruch setzen sie sich hin, alshätten sie damit die Sache völlig und trefflich erledigt.Gerade als ob es eine große Gefahr bedeutete,wenn sich jemand dabei ertappen läßt, in irgendetwas gescheiter zu sein als seine Vorfahren!Und doch lassen wir alle ihre guten Einrichtungenmit großem Gleichmut gelten; wenn sie aber beiirgend etwas hätten klüger zu Werke gehen können,so ergreifen wir sofort gierig diese Gelegenheit undhalten hartnäckig daran fest. Das ist auch die Quelledieser hochmütigen, sinnlosen und eigensinnigen Urteile,auf die ich schon oft gestoßen bin, besondersaber auch einmal in England.«

»Hör einmal!« rief ich da, »du bist auch bei unsgewesen?«

24»Allerdings«, antwortete er, »und zwar habe ichmich dort einige Monate aufgehalten, nicht langenach jener Niederlage, die den Bürgerkrieg Westenglandsgegen den König durch eine beklagenswerteNiedermetzelung der Aufständischen gewaltsambeendete. In jener Zeit hatte ich dem ehrwürdigenVater Johannes Morton, dem Erzbischof vonCanterbury, Kardinal und damals auch noch Lordkanzlervon England, viel zu danken, einem Manne,lieber Peter – dem Morus erzähle ich damit nichtsNeues –, den man nicht weniger wegen seiner Klugheitund Tüchtigkeit als wegen seines Ansehens verehrenmuß. Er war von mittlerer Statur, sein Rückenwar von seinem, wenn auch hohen Alter nochnicht gebeugt; seine Miene flößte Ehrfurcht, nichtScheu ein. Im Verkehr war er nicht unzugänglich,aber doch ernst und würdevoll. Er fand ein Vergnügendaran, Bittsteller bisweilen etwas schrofferanzureden, aber nicht etwa in böser Absicht, sondernum die Sinnesart und Geistesgegenwart einesjeden auf die Probe zu stellen. Über letztere Eigenschaft,die ihm ja selber gleichsam angeboren war,freute er sich stets, wofern keine Unverschämtheitdamit verbunden war, und sie schätzte er als geeignetzu der Führung der Geschäfte. Seine Redezeugte von feiner Bildung und Energie; seineRechtserfahrung war groß, seine Begabung unvergleichlich,sein Gedächtnis geradezu fabelhaft stark.Diese ausgezeichneten Naturanlagen vervollkommneteer noch durch Studium und Übung. Seinen Ratschlägenschenkte der König, wie es schien, währendmeiner Anwesenheit das größte Vertrauen, undsie waren eine starke Stütze für den Staat. Denn in25frühester Jugend und gleich von der Schule weg anden Hof gebracht, war er sein ganzes Leben langin den wichtigsten Geschäften tätig gewesen undvon mannigfachen Schicksalsstürmen beständig hinund her geworfen worden, und dadurch hatte er sichunter vielen großen Gefahren eine Lebensklugheiterworben, die nur schwer wieder verlorengeht, wennsie auf diese Weise gewonnen wird.

Als ich eines Tages an seiner Tafel saß, wollte esder Zufall, daß einer von euren Laienjuristen zugegenwar. Dieser begann – ich weiß nicht, wieer darauf kam –, eifrig jene strenge Justiz zu loben,die man damals in England Dieben gegenüber übte.Wie er erzählte, wurden allenthalben bisweilenzwanzig an einem Galgen aufgehängt. Da nur sehrwenige der Todesstrafe entgingen, wundere er sich,so meinte er, um so mehr, welch widriges Geschickdaran schuld sei, daß sich trotzdem noch überallso viele herumtrieben. Da sagte ich – vor dem Kardinalwagte ich es nämlich, offen meine Meinung zuäußern –: »Da brauchst du dich gar nicht zu wundern;denn diese Bestrafung der Diebe geht überdas, was gerecht ist, hinaus und liegt nicht im Interessedes Staates.

Als Sühne für Diebstähle ist die Todesstrafe nämlichzu grausam, und, um vom Stehlen abzuschrecken,ist sie trotzdem unzureichend. Denn einerseits isteinfacher Diebstahl doch kein so schlimmes Verbrechen,daß es mit dem Tode gebüßt werden müßte,anderseits aber gibt es keine so harte Strafe, diejenigenvon Räubereien abzuhalten, die kein anderesGewerbe haben, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen.Wie mir daher scheint, folgt ihr in dieser26Sache – wie ein guter Teil der Menschheit übrigensauch – dem Beispiel der schlechten Lehrer, die ihreSchüler lieber prügeln als belehren. So verhängtman harte und entsetzliche Strafen über Diebe, währendman viel eher dafür hätte sorgen sollen, daßsie ihren Unterhalt haben, damit sich niemand dergrausigen Notwendigkeit ausgesetzt sieht, erst zustehlen und dann zu sterben.«

»Dafür ist ja doch zur Genüge gesorgt«, erwiderteer. »Wir haben ja das Handwerk und den Ackerbau.Beides würde sie ernähren, wenn sie nicht aus freienStücken lieber Gauner sein wollten

»Halt, so entschlüpfst du mir nicht!« antworteteich. »Zunächst wollen wir nicht von denen reden,die, wie es häufig vorkommt, aus inneren oder auswärtigenKriegen als Krüppel heimkehren wie voreiner Reihe von Jahren aus der Schlacht gegen dieCornwaller und unlängst aus dem Kriege mit Frankreich.Für den Staat oder für den König opfernsie ihre gesunden Glieder und sind nun zu gebrechlich,um ihren alten Beruf wieder auszuüben, und zualt, um sich für einen neuen auszubilden. Diese Leutewollen wir also, wie gesagt, beiseite lassen, da esnur von Zeit zu Zeit zu einem Kriege kommt, undbetrachten wir nur das, was tagtäglich geschieht!

Da ist zunächst die so große Zahl der Edelleute.Selber müßig, leben sie wie die Drohnen von derArbeit anderer, nämlich von der der Bauern aufihren Gütern, die sie bis aufs Blut aussaugen, umihre persönlichen Einkünfte zu erhöhen. Das istnämlich die einzige Art von Wirtschaftlichkeit, diejene Menschen kennen; im übrigen sind sie Verschwender,und sollten sie auch bettelarm dadurch27werden. Außerdem aber scharen sie einen gewaltigenSchwarm von Tagedieben um sich, die niemalsein Handwerk gelernt haben, mit dem sie sich ihrBrot verdienen könnten. Diese Leute wirft man sofortauf die Straße, sobald der Hausherr stirbt odersie selbst krank werden; denn lieber füttert manFaulenzer durch als Kranke, und oft ist auch derErbe gar nicht in der Lage, die väterliche Dienerschaftweiter zu halten. Inzwischen leiden jene Menschentapfer Hunger oder treiben tapfer Straßenraub.Was sollten sie denn sonst auch tun? Habennämlich erst einmal ihre Kleider und ihre Gesundheitdurch das Herumstrolchen auch nur ein weniggelitten, so mag sie, die infolge ihrer Krankheit vonSchmutz starren und in Lumpen gehüllt sind, keinEdelmann mehr in Dienst nehmen. Aber auch dieBauern getrauen es sich nicht; denn sie wissen ganzgenau: einer, der in Nichtstun und genießerischemLeben groß geworden und gewohnt ist, mit Schwertund Schild einherzustolzieren, mit von Eitelkeit umnebelterMiene auf seine gesamte Umgebung herabzublickenund jedermann im Vergleich mit sich zuverachten, eignet sich keineswegs dazu, einem armenManne mit Hacke und Spaten für geringen Lohnund karge Kost treu zu dienen.«

»Und doch müssen wir gerade diese Menschenklasseganz besonders hegen und pflegen«, erwiderteder Rechtsgelehrte. »Denn gerade auf diesen Männern,die mehr Mut und Edelsinn besitzen als Handwerkerund Landleute, beruht die Kraft und Stärkeunseres Heeres, wenn es einmal nötig ist, sich imFelde zu schlagen.«

»In der Tat«, antwortete ich, »ebenso gut könntest28du sagen, um des Krieges willen müsse man dieDiebe hegen und pflegen; denn an ihnen wird eseuch ganz gewiß nie fehlen, solange ihr diese Menschenklassenoch habt. Und gewiß, Räuber sindkeine feigen Soldaten und die Soldaten nicht diefeigsten unter den Räubern: so gut passen dieseBerufe zueinander. Indessen ist diese weitverbreitetePlage keine Eigentümlichkeit eures Volkes; sie istnämlich fast allen Völkern gemeinsam. Frankreichz.B. sucht eine noch andere, verderblichere Pestheim: das ganze Land ist auch im Frieden – wennjener Zustand überhaupt Frieden ist – von Söldnernüberschwemmt und bedrängt. Sie sind ausdemselben Grunde da, der euch bestimmt hat, diefaulen Dienstleute hierzulande durchzufüttern, weilnämlich närrische Weise der Ansicht gewesen sind,das Staatswohl erfordere die ständige Bereitschafteiner starken und zuverlässigen Schutztruppe besondersaltgedienter Soldaten; denn zu Rekrutenhat man kein Vertrauen. Daher müssen sie schondeshalb auf einen Krieg bedacht sein, um geübteSoldaten zur Hand zu haben, und sie müssen sichnach Menschen umsehen, die kostenlos abgeschlachtetwerden können, damit nicht, wie Sallust so feinsagt, Hand und Herz durch Untätigkeit zu erschlaffenbeginnen.

Wie verderblich es aber ist, derartige Bestien zufüttern, hat nicht bloß Frankreich zu seinem eigenenSchaden erfahren; auch das Beispiel der Römer,Karthager, Syrer und vieler anderer Völker beweistes. Bei diesen allen haben die stehenden Heere baldbei dieser und bald bei jener Gelegenheit nicht bloßdie Regierung gestürzt, sondern auch das flache29Land und sogar die festen Städte zugrunde gerichtet.Aber wie unnötig ist solch ein stehendes Heer!Das kann man schon daraus ersehen, daß auch diefranzösischen Söldner, die doch durch und durchgeübte Soldaten sind, sich nicht rühmen können, imKampfe mit euren Aufgeboten sehr oft den Sieg davongetragenzu haben. Ich will jetzt nichts weitersagen; es könnte sonst den Anschein erwecken, alswollte ich euch, die ihr hier zugegen seid, schmeicheln.Aber man kann gar nicht glauben, daß sicheure Handwerker in der Stadt und eure ungeschlachtenBauern auf dem Lande vor dem faulen Troß derEdelleute sehr fürchten außer denjenigen, denen esinfolge ihrer körperlichen Schwäche an Kraft undKühnheit fehlt oder deren Energie durch häuslicheNot geschwächt wird. So wenig ist also zu befürchten,daß diese Leute etwa verweichlicht werdenkönnten, wenn sie für einen nützlichen Lebensberufausgebildet und in Männerarbeit geübt werden.Vielmehr erschlaffen jetzt ihre gesunden und kräftigenKörper – die Edelleute geruhen nämlich, nurausgesuchte Leute zugrunde zu richten – durchNichtstun, oder sie werden durch fast weibische Beschäftigungverweichlicht. Auf keinen Fall liegt es,will mir scheinen, – wie es sich auch sonst mitdieser Sache verhalten mag – im Interesse desStaates, nur für den Kriegsfall, den ihr doch nurhabt, wenn ihr ihn haben wollt, eine unermeßlicheSchar von Menschen dieser Sorte durchzufüttern,die den Frieden so gefährden, auf den man dochum so viel mehr bedacht sein sollte als auf denKrieg.

Und doch ist das nicht der einzige Zwang zum30Stehlen. Es gibt noch einen anderen, der euch, wieich meine, in höherem Grade eigentümlich ist.«

»Welcher ist das?« fragte der Kardinal.

»Eure Schafe«, sagte ich. »Sie, die gewöhnlich sozahm und genügsam sind, sollen jetzt so gefräßigund wild geworden sein, daß sie sogar Menschenverschlingen sowie Felder, Häuser und Städte verwüstenund entvölkern. In all den Gegenden euresReiches nämlich, wo die feinere und deshalb teurereWolle gewonnen wird, genügen dem Adel und denEdelleuten und sogar bisweilen Äbten, heiligen Männern,die jährlichen Einkünfte und Erträgnisse nichtmehr, die ihre Vorgänger aus ihren Gütern erzielten.Nicht zufrieden damit, daß sie mit ihrem faulen undüppigen Leben der Allgemeinheit nichts nützen, sonderneher schaden, lassen sie kein Ackerland übrig,zäunen alles als Viehweiden ein, reißen die Häusernieder, zerstören die Städte, lassen nur die Kirchenals Schafställe stehen und, gerade als ob bei euchdie Wildgehege und Parkanlagen nicht schon genugGrund und Boden der Nutzbarmachung entzögen,verwandeln diese braven Leute alle bewohntenPlätze und alles sonst irgendwo angebaute Land inEinöden.

Damit also ein einziger Verschwender, unersättlichund eine grausige Pest seines Vaterlandes,einige tausend Morgen zusammenhängenden Ackerlandesmit einem einzigen Zaun umgeben kann,vertreibt man Pächter von Haus und Hof. Entwederumgarnt man sie durch Lug und Trug oder überwältigtsie mit Gewalt; man plündert sie aus odertreibt sie, durch Gewalttätigkeiten bis zur Erschöpfunggequält, zum Verkauf ihrer Habe. So oder so31wandern die Unglücklichen aus, Männer und Weiber,Ehemänner und Ehefrauen, Waisen, Witwen,Eltern mit kleinen Kindern oder mit einer Familie,weniger reich an Besitz als an Zahl der Personen,wie ja die Landwirtschaft vieler Hände bedarf. Siewandern aus, sage ich, aus ihren vertrauten und gewohntenHeimstätten und finden keinen Zufluchtsort.Ihren gesamten Hausrat, der ohnehin keinengroßen Erlös bringen würde, auch wenn er aufeinen Käufer warten könnte, verkaufen sie um einSpottgeld, wenn sie ihn sich vom Halse schaffen müssen.Ist dann der geringe Erlös in kurzer Zeit aufder Wanderschaft verbraucht, was bleibt ihnen dannschließlich anderes übrig, als zu stehlen und am Galgenzu hängen – nach Recht und Gesetz natürlich –oder sich herumzutreiben und zu betteln, obgleichsie auch dann als Vagabunden eingesperrtwerden, weil sie herumlaufen, ohne zu arbeiten?Und doch will sie niemand als Arbeiter in Dienstnehmen, so eifrig sie sich auch anbieten. Denn mitder Landarbeit, an die sie gewöhnt sind, ist es vorbei,wo nicht gesät wird; genügt doch ein einzigerSchaf- oder Rinderhirt als Aufsicht, um von seinenHerden ein Stück Land abweiden zu lassen, zu dessenBestellung als Saatfeld viele Hände notwendigwaren.

So kommt es auch, daß an vielen Orten dieLebensmittel wesentlich teurer geworden sind. Ja,auch die Wolle ist so im Preis gestiegen, daß eureweniger bemittelten Tuchmacher sie überhaupt nichtmehr kaufen können und dadurch in der Mehrzahlarbeitslos werden. Nachdem man nämlich die Weideflächenso vergrößert hatte, raffte eine Seuche eine32unzählige Menge Schafe hinweg, gleich als ob Gottdie Habgier der Besitzer hätte bestrafen wollen mitder Seuche, die er unter ihre Schafe sandte und die– so wäre es gerechter gewesen – die Eigentümerselbst hätte treffen müssen. Mag aber auch die Zahlder Schafe noch so sehr zunehmen, der Preis derWolle fällt nicht, weil der Handel damit, wenn manihn auch nicht Monopol nennen darf, da ja nicht bloßeiner verkauft, sicher doch ein Oligopol ist. DieSchafe befinden sich nämlich fast sämtlich in denHänden einiger weniger, und zwar eben der reichenLeute, die keine Notwendigkeit dazu drängt, eherzu verkaufen, als es ihnen beliebt, und es beliebtihnen nicht eher, als bis sie beliebig teuer verkaufenkönnen. Wenn ferner auch die übrigen Viehsortenin gleicher Weise im Preise gestiegen sind, so istdafür derselbe Grund maßgebend, und zwar hierfürerst recht, weil sich nämlich nach Zerstörung derBauernhöfe und nach Vernichtung der Landwirtschaftniemand mehr mit der Aufzucht von Jungviehabgibt. Jene Reichen treiben nämlich nur Schafzucht,ziehen aber kein Rindvieh mehr auf. Sie kaufenvielmehr anderswo Magervieh billig auf, mästenes auf ihren Weiden und verkaufen es dann für vielGeld weiter. Und nur deshalb empfindet man, meineich, den ganzen Schaden dieses Verfahrens nochnicht in vollem Umfange, weil jene bis jetzt diePreise nur dort hochgetrieben haben, wo sie verkaufen.Schaffen sie aber erst einmal eine Zeitlang dasVieh schneller fort, als es nachwachsen kann, sonimmt dann schließlich auch dort, wo es aufgekauftwird, der Bestand allmählich ab, und es entstehtdann durch starken Mangel notwendigerweise eine33Notlage. So hat die ruchlose Habgier einiger wenigerdas, was das ganz besondere Glück dieser eurerInsel zu sein schien, gerade euer Verderben werdenlassen. Denn diese Verteuerung der Lebensmittel istfür einen jeden der Anlaß, soviel Dienerschaft wiemöglich zu entlassen: wohin, so frage ich, wennnicht zur Bettelei oder, wozu man ritterliche Gemüterleichter überreden kann, zur Räuberei?

Was soll man aber dazu sagen, daß sich zu dieserelenden Verarmung und Not noch lästige Verschwendungssuchtgesellt? Denn sowohl die Dienerschaftdes Adels wie die Handwerker und fastebenso die Bauern selbst, ja, alle Stände überhaupt,treiben viel übermäßigen Aufwand in Kleidung undzu großen Luxus im Essen. Denke ferner an dieKneipen, Bordelle und an die andere Art von Bordellen,ich meine die Weinschenken und die Bierhäuser,schließlich an die so zahlreichen nichtsnutzigenSpiele, wie Würfelspiel, Karten, Würfelbecher,Ball-, Kugel- und Scheibenspiel! Treibt nicht allesdies seine Anbeter geradeswegs zum Raube auf dieStraße, sobald sie ihr Geld vertan haben?

Bekämpft diese verderblichen Seuchen! Trefft dieBestimmung, daß diejenigen, die die Gehöfte undländlichen Siedlungen zerstört haben, sie wiederaufbauen oder denen abtreten, die zum Wiederaufbaubereit sind und bauen wollen! Schränkt jeneüblen Aufkäufe der Reichen und die Freiheit ihresHandels ein, der einem Monopol gleichkommt! DieZahl derer, die vom Müßiggang leben, soll kleinerwerden; der Ackerbau soll wieder aufleben; dieWollspinnerei soll wieder in Gang kommen, damites eine ehrbare Beschäftigung gibt, durch die jene34Schar von Tagedieben einen nutzbringenden Erwerbfindet, sie, die die Not bisher zu Dieben gemachthat oder die jetzt Landstreicher oder müßigeDienstmannen sind und ohne Zweifel dereinst Diebesein werden! Soviel steht fest: wenn ihr diesenÜbelständen nicht abhelft, so mögt ihr euch umsonsteurer Gerechtigkeit bei der Bestrafung von Diebstählenrühmen! Eure Justiz blendet wohl durchden Schein, aber gerecht oder nützlich ist sie nicht.Wenn ihr den Menschen eine klägliche Erziehungzuteil werden und ihren Charakter von zarter Jugendan allmählich verderben laßt, um sie offenbar erstdann zu bestrafen, wenn sie als Erwachsene dieSchandtaten begehen, die man von Kindheit an beiihnen dauernd erwartet hat, was tut ihr da anderes,ich bitte euch, als daß ihr sie erst zu Dieben machtund dann bestraft?«

Schon während ich so sprach, hatte sich jenerRechtsgelehrte zum Reden fertig gemacht und sichentschlossen, jene übliche Methode der Schuldisputantenanzuwenden, die sorgfältiger wiederholen alsantworten; in dem Grade macht für sie ihr Gedächtniseinen guten Teil ihres Ruhmes aus. »Was du dasagst, klingt in der Tat recht hübsch«, erwiderteer. »Freilich darf man nicht vergessen, daß du alsFremder über diese Dinge mehr nur etwas hasthören als genau erforschen können, was ich mitwenigen Worten beweisen werde. Und zwar will ichzuerst deine Ausführungen der Reihe nach durchgehen;sodann will ich zeigen, worin du dich infolgevon Unkenntnis unserer Verhältnisse getäuscht hast;zum Schluß will ich alle deine Thesen entkräftenund widerlegen.

35Um also mit dem ersten Teile meines Versprechenszu beginnen, so hast du, wie mir scheint,…«

»Still!« rief da der Kardinal. »Da du nämlich soanfängst, wirst du, wie mir scheint, nicht mit einigenwenigen Worten nur antworten wollen. Deshalbsoll dir für den Augenblick die Mühe zu antwortenerspart bleiben. Wir wollen dir jedoch diese Verpflichtunguneingeschränkt für eure nächste Zusammenkunftaufheben, die ich schon morgen stattfindenlassen möchte, falls ihr, du und Raphael,nichts anderes vorhaben solltet. Inzwischen aberhätte ich von dir, mein Raphael, sehr gern gehört,warum du der Ansicht bist, Diebstahl sei nicht mitdem Tode zu bestrafen, und welche andere Strafe duselbst vorschlägst, die mehr dem öffentlichen Interesseentspricht; denn dafür, den Diebstahl einfachzu dulden, bist du doch gewiß auch nicht. Wenn manaber jetzt sogar trotz der Lebensgefahr das Stehlennicht läßt, welche Gewalt oder welche Befürchtungkönnte dann die Verbrecher abschrecken, nachdemihnen erst einmal ihr Leben gesichert ist? Würdensie es nicht so auffassen, als ob die Milderung derStrafe sie gewissermaßen durch eine Prämie zumVerbrechen geradezu ermuntere?«

»Ich bin durchaus der Ansicht, gütiger Vater«, erwiderteich, »daß es ganz ungerecht ist, einem Menschendas Leben zu nehmen, weil er Geld gestohlenhat; denn auch sämtliche Glücksgüter können meinerMeinung nach ein Menschenleben nicht aufwiegen.Wollte man nun aber sagen, diese Strafe solle dieRechtsverletzung oder die Übertretung der Gesetze,nicht das gestohlene Geld aufwiegen, müßte man dannnicht erst recht jenes strengste Recht als größtes Unrecht36bezeichnen? Denn weder darf man Gesetze nachArt eines Manlius billigen, so daß bei einer Gehorsamsverweigerungauch in den leichtesten Fällen sofortdas Schwert zum Todesstreiche gezückt wird, nochso stoische Grundsätze, daß man die Vergehen alle alsgleich beurteilt und der Ansicht ist, es sei kein Unterschied,ob einer einen Menschen tötet oder ihm nurGeld raubt, Vergehen, zwischen denen überhaupt keineÄhnlichkeit oder Verwandtschaft besteht, wenn Rechtund Billigkeit überhaupt noch etwas gelten. Gott hates verboten, jemanden zu töten, und wir töten soleichten Herzens um eines gestohlenen Sümmchenswillen? Sollte es aber jemand so auffassen wollen,als ob jenes göttliche Gebot die Tötung einesMenschen nur insoweit verbiete, als sie nicht einmenschliches Gesetz gebietet, was steht dann dem imWege, daß die Menschen auf dieselbe Weise untersich festsetzen, inwieweit Unzucht zu dulden sei undEhebruch und Meineid? Gott hat einem jeden dieVerfügung nicht nur über ein fremdes, sondern sogarüber das eigene Leben genommen; wenn abermenschliches Übereinkommen, sich unter gewissenVoraussetzungen gegenseitig töten zu dürfen, so vielgelten soll, daß es seine dienstbaren Geister vonden Bindungen jenes Gebotes befreit und diese dannohne jede göttliche Strafe Menschen ums Leben bringendürfen, die Menschensatzung zu töten befiehlt,bleibt dann nicht jenes Gottesgebot nur insoweit inGeltung, als Menschenrecht es erlaubt? Und so wirdes in der Tat dahin kommen, daß auf dieselbe Weisedie Menschen festsetzen, inwieweit Gottes Gebotebeachtet werden sollen! Und schließlich hat sogardas mosaische Gesetz, obwohl erbarmungslos und37hart, da es für Sklavenseelen, und zwar für verstockte,erlassen war, den Diebstahl trotzdem nurmit Geld und nicht mit dem Tode bestraft. Wir wollendoch nicht glauben, daß Gott mit dem neuen Gesetzder Gnade, durch das er als Vater seinen Kinderngebietet, uns größere Freiheit gewährt hat,gegeneinander zu wüten!

Das sind die Gründe, die ich gegen die Todesstrafevorzubringen habe. In welchem Grade aberwidersinnig und sogar verderblich für den Staateine gleichmäßige Bestrafung des Diebes und desMörders ist, das weiß, meine ich, jeder. Wenn nämlichder Räuber sieht, daß einem, der wegen bloßenDiebstahls verurteilt ist, keine geringere Strafedroht, als wenn der Betreffende außerdem noch desMordes überführt wird, so veranlaßt ihn schon dieseeine Überlegung zur Ermordung desjenigen, den erandernfalls nur beraubt hätte. Denn abgesehen davon,daß für einen, der ertappt wird, die Gefahrnicht größer ist, gewährt ihm der Mord sogar nochgrößere Sicherheit und mehr Aussicht, daß die Tatunentdeckt bleibt, da ja der, der sie anzeigen könnte,beseitigt ist. Während wir uns also bemühen, denDieben durch allzu große Strenge Schrecken einzujagen,sp*rnen wir sie dazu an, gute Menschen umzubringen.

Was ferner die übliche Frage nach einer besserenArt der Bestrafung anlangt, so ist diese viel leichterzu finden als eine noch weniger gute. Warum solltenwir denn eigentlich an der Nützlichkeit jener Methodeder Bestrafung von Verbrechen zweifeln, die,wie wir wissen, in alten Zeiten so lange den Römernzugesagt hat, die doch so große Erfahrung in der38Staatsverwaltung besaßen? Diese pflegten nämlichüberführte Schwerverbrecher zur Arbeit in denSteinbrüchen und Bergwerken zu verurteilen, wo siedauernd Fesseln tragen mußten. Jedoch habe ich indieser Beziehung auf meinen Reisen bei keinemVolke eine bessere Einrichtung gefunden als in Persienbei den sogenannten Polyleriten, einem ansehnlichenVolke mit einer recht verständigen Verfassung,das dem Perserkönig nur einen jährlichenTribut zahlt, im übrigen aber unabhängig ist undnach eigenen Gesetzen lebt. Sie wohnen weitab vomMeere, sind fast ganz von Bergen eingeschlossen,begnügen sich in jeder Beziehung durchaus mitden Erträgnissen ihres Landes und pflegen mitanderen Völkern wenig Verkehr. Infolgedessen sindsie auch, einem alten Herkommen ihres Volkes entsprechend,nicht auf Erweiterung ihres Gebietes bedacht.Innerhalb dieses selbst aber bieten ihnen ihreBerge sowie das Geld, das sie dem Eroberer zahlen,mühelos Schutz vor jeder Gewalttat. Völlig freivom Kriegsdienst, führen sie ein nicht ebenso glänzendeswie bequemes Leben in mehr Glück als Vornehmheitund Berühmtheit, ja nicht einmal dem Namennach, meine ich, hinreichend bekannt außer inder Nachbarschaft. Wer nun bei den Polyleritenwegen Diebstahls verurteilt wird, gibt das Gestohlenedem Eigentümer zurück, nicht, wie es anderswoBrauch ist, dem Landesherrn, weil dieser nach ihrerMeinung auf das gestohlene Gut ebenso wenig Anspruchhat wie der Dieb selbst. Ist es aber abhandengekommen, so ersetzt und bezahlt man seinenWert aus dem Besitz der Diebe, den Rest behaltenihre Frauen und Kinder unverkürzt, und die Diebe39selbst verurteilt man zu Zwangsarbeit. Nur wennschwerer Diebstahl vorliegt, sperrt man sie ins Arbeitshaus,wo sie Fußfesseln tragen müssen; sonstbehalten sie ihre Freiheit und verrichten ungefesseltöffentliche Arbeiten. Zeigen sie sich widerspenstigund zu träge, so legt man sie zur Strafe nicht inFesseln, sondern treibt sie durch Prügel zur Arbeitan; Fleißige dagegen bleiben von Gewalttätigkeitenverschont; nur des Nachts schließt man sie in Schlafräumeein, nachdem man sie durch Namensaufrufkontrolliert hat. Die dauernde Arbeit ist die einzigeUnannehmlichkeit in ihrem Leben. Ihre Verpflegungist nämlich nicht kärglich. Für diejenigen, dieöffentliche Arbeiten verrichten, wird sie aus öffentlichenMitteln bestritten, und zwar in den einzelnenGegenden auf verschiedene Weise. Hier und danämlich deckt man den Aufwand für sie aus Almosen;wenn diese Methode auch unsicher ist, sobringt doch bei der mildtätigen Gesinnung jenesVolkes keine andere einen reicheren Ertrag. Anderswowieder sind gewisse öffentliche Einkünfte fürdiesen Zweck bestimmt. In manchen Gegenden findetdafür auch eine feste Kopfsteuer Verwendung.Ja, an einigen Orten verrichten die Sträflingekeine Arbeit für die Öffentlichkeit, sondern, wennein Privatmann Lohnarbeiter braucht, so mietet erdie Arbeitskraft eines beliebigen von ihnen auf demMarkte für den betreffenden Tag und zahlt dafüreinen festgesetzten Lohn, nur etwas weniger, als erfür freie Lohnarbeit würde zahlen müssen. Außerdemsteht ihm das Recht zu, faule Sklaven zu peitschen.Auf diese Weise haben sie niemals Mangel an Arbeit,und außer seinem Lebensunterhalt verdient40jeder täglich noch etwas, was er an die Staatskasseabführt. Sie allein sind alle in eine bestimmte Farbegekleidet und tragen das Haar nicht vollständig geschoren,sondern nur ein Stück über den Ohren verschnitten,und das eine Ohr ist etwas gestutzt.Speise, Trank und Kleidung von seiner Farbe darfsich jeder von seinen Freunden geben lassen; werdagegen ein Geldgeschenk gibt oder annimmt, wirdmit dem Tode bestraft; und nicht weniger gefährlichist es auch für einen Freien, aus irgendeinemGrunde von einem Sträfling Geld anzunehmen, undebenso für die Sklaven – so nennt man nämlich dieSträflinge –, Waffen anzurühren. Jede Landschaftmacht ihre Sklaven durch ein eigenes, unterscheidendesZeichen kenntlich, das abzulegen bei Todesstrafeverboten ist. Dieselbe Strafe trifft auch den,der sich außerhalb seines Bezirks sehen läßt odermit einem Sklaven eines anderen Bezirks ein Wortspricht. Die Planung einer Flucht ist ebenso gefährlichwie ihre Ausführung; schon von einem solchenPlane gewußt zu haben, bedeutet für den Sklavenden Tod und für den Freien Knechtschaft. Dagegensind auf Anzeigen Preise ausgesetzt, und zwar erhältein Freier Geld, ein Sklave dagegen die Freiheit;beiden aber gewährt man Verzeihung undStraflosigkeit, auch wenn sie von der Sache gewußthaben. Dadurch will man verhüten, daß es mehrSicherheit bietet, auf einem schlimmen Plane zu beharrenals ihn zu bereuen.

So also ist diese Angelegenheit gesetzlich geregelt,wie ich es beschrieben habe. Wie menschlichund zweckmäßig dieses Verfahren ist, kann manleicht einsehen. Übt es doch nur insoweit Strenge41aus, als die Verbrechen beseitigt werden; dabeikostet es kein Menschenleben, und die Übeltäterwerden so behandelt, daß sie gar nicht anders können,als gut zu sein und den Schaden, den sie vorherangerichtet haben, durch ihr weiteres Lebenwieder gutzumachen.

Daß ferner Sträflinge in ihre alte Lebensweiseverfallen könnten, ist durchaus nicht zu befürchten.Infolgedessen halten sich auch Fremde, die irgendwohinreisen müssen, unter keiner anderen Führungfür sicherer als unter der jener Sklaven, die dannvon einer Gegend zur anderen unmittelbar wechseln.Denn sie besitzen nichts, was sie zu einemRaubüberfall reizen könnte: in der Hand haben siekeine Waffe, Geld würde ihre verbrecherische Tatnur verraten, und der Ertappte müßte mit Bestrafungund völliger Aussichtslosigkeit, irgendwohinfliehen zu können, rechnen. Wie sollte es nämlichjemand auch fertig bringen, völlig unbemerkt zufliehen, wenn sich seine Kleidung in jedem Stückvon der seiner Landsleute unterscheidet? Er müßtesich denn gerade nackend entfernen. Ja, auch indem Falle würde den Ausreißer das Ohr verraten.Aber könnten die Sträflinge nicht vielleicht an eineVerschwörung gegen den Staat denken? Wäre dasnicht doch eine Gefahr? Als ob irgendeine Gruppesolch eine Hoffnung hegen dürfte, ehe nicht dieSklaven zahlreicher Landschaften unruhig gewordenund aufgewiegelt sind, denen es nicht einmal erlaubtist zusammenzukommen, miteinander zu sprechenoder sich gegenseitig zu grüßen, die also nochviel weniger eine Verschwörung anzetteln könnten!Sollte man ferner annehmen dürfen, sie würden diesen42Plan inzwischen unbesorgt ihren Anhängern anvertrauen,während sie doch wissen, daß Verschweigengefährlich, Verrat aber höchst vorteilhaft ist?Und dabei hat niemand so gänzlich die Hoffnungaufgegeben, doch irgendwann einmal die Freiheitwieder zu erlangen, wenn er sich gehorsam zeigtund eine Besserung in der Zukunft zuversichtlicherwarten läßt. Wird doch in jedem Jahre ein paarSklaven zum Lohn für geduldiges Ausharren dieFreiheit wieder geschenkt.«

So sprach ich. Als ich dann noch hinzufügte, esliege meiner Meinung nach gar kein Grund vor, diesesVerfahren nicht auch in England anzuwenden,und zwar mit viel größerem Erfolg als jenen Rechtsbrauch,den der Jurist so sehr gelobt hatte, da erwidertemir dieser sofort: »Niemals ließe sich dieserBrauch in England einführen, ohne daß der Staatdadurch in die größte Gefahr geriete!« Und bei diesenWorten schüttelte er den Kopf, verzog den Mundund schwieg dann, und alle Anwesenden stimmtenihm zu. Da meinte der Kardinal: »Man kannnicht so leicht voraussagen, ob die Sache günstigoder ungünstig ausgeht, solange man sie überhauptnoch nicht erprobt hat. Aber nach Verkündigungeines Todesurteils könnte ja der Landesherr einenAufschub der Vollstreckung anordnen und unter Einschränkungder Privilegien der Asylstätten diesesneue Verfahren erproben. Sollte es sich durch denErfolg als zweckmäßig bewähren, so wäre es wohlrichtig, es zur dauernden Einrichtung zu machen.Andernfalls könnte man ja die vorher Verurteiltenauch dann noch hinrichten, und das wäre von nichtgeringem Vorteil für den Staat und nicht ungerechter,43als wenn es gleich geschähe, und auch in derZeit des Aufschubs könnte keine Gefahr daraus erwachsen.Ja, wie mir sicher scheint, würde dieselbeBehandlung auch den Landstreichern gegenüber sehrangebracht sein; denn gegen sie haben wir zwar bisjetzt eine Menge Gesetze erlassen, aber trotzdemnoch nichts erreicht.«

Sobald der Kardinal das gesagt hatte – dasselbe,worüber sich alle verächtlich geäußert hatten, alssie es von mir hörten –, wetteiferte jeder, ihmdas höchste Lob zu spenden, besonders jedoch seinemVorschlag in betreff der Landstreicher, weil erden von sich aus hinzugefügt hatte.

Vielleicht wäre es besser, das, was jetzt folgte,gar nicht zu erwähnen – es war nämlich lächerlich–, aber ich will es doch erzählen; denn es warnicht übel und gehörte in gewissem Sinne zu unsererSache. Es stand zufällig ein Schmarotzer dabei, deroffenbar den Narren spielen wollte, sich aber soschlecht verstellte, daß er mehr einem wirklichenNarren glich, indem er mit so faden Äußerungennach Gelächter haschte, daß man häufiger über seinePerson als über seine Worte lachte. Zuweilen jedochäußerte der Mensch auch etwas, was nicht ganz soalbern war, so daß er das Sprichwort bestätigte:»Wer viel würfelt, hat auch einmal Glück.« Dameinte einer von den Tischgenossen, ich hätte mitmeiner Rede gut für die Diebe gesorgt und der Kardinalauch noch für die Landstreicher; nun bleibenur noch übrig, von Staats wegen auch noch die zuversorgen, die durch Krankheit oder Alter in Notgeraten und arbeitsunfähig geworden seien. »Laßmich das machen!« rief da der Spaßvogel. »Ich will44auch das in Ordnung bringen! Denn es ist meinsehnlicher Wunsch, mich vom Anblick dieser SorteMenschen irgendwie zu befreien. Mehr als einmalsind sie mir schwer zur Last gefallen, wenn siemich mit ihrem Klagegeheul um Geld anbettelten.Niemals jedoch konnten sie das schön genug anstimmen,um auch nur einen Pfennig von mir zu erpressen.Es ist bei mir nämlich immer das eine vonbeiden der Fall: entweder habe ich keine Lust,etwas zu geben, oder ich habe nicht die Möglichkeitdazu, weil ich nichts zu geben habe. Infolgedessenwerden die Bettler jetzt allmählichvernünftig. Um sich nämlich nicht unnötig anzustrengen,reden sie mich gar nicht mehr an, wennsie mich vorübergehen sehen. So wenig erhoffen sievon mir noch etwas, in der Tat nicht mehr, alswenn ich ein Priester wäre. Aber jetzt befehle ich,ein Gesetz zu erlassen, dem zufolge alle jene Bettlerohne Ausnahme auf die Benediktinerklöster verteiltund zu sogenannten Laienbrüdern gemachtwerden; die Weiber aber, ordne ich an, sollen Nonnenwerden.«

Da lächelte der Kardinal und stimmte im Scherzzu, die anderen dann auch im Ernst. Indessen heitertedieser Witz über die Priester und Möncheeinen Theologen, einen Klosterbruder, so auf, daßer, sonst ein ernster, ja beinahe finsterer Mann,jetzt gleichfalls anfing, Spaß zu machen. »Aber auchso«, rief er, »wirst du die Bettler nicht loswerden,wenn du nicht auch für uns Klosterbrüder sorgst!«

»Aber das ist doch schon geschehen«, erwiderteder Parasit. »Der Kardinal hat ja vortrefflich füreuch gesorgt, indem er für die Tagediebe Zwangsarbeit45festsetzte; denn ihr seid doch die größtenTagediebe.«

Da blickten alle auf den Kardinal. Als sie abersahen, daß er auch diese Bemerkung nicht zurückwies,fingen sie alle an, sie mit großem Vergnügenaufzunehmen; nur der Klosterbruder machte eineAusnahme. Der nämlich, mit solchem Essig übergossen,geriet dermaßen in Zorn und Hitze –worüber ich mich auch gar nicht wundere –, daß ersich nicht mehr beherrschen konnte und zu schimpfenanfing. Er nannte den Menschen einen Taugenichts,einen Verleumder, einen Ohrenbläser und ein Kindder Verdammnis und führte zwischendurch schrecklicheDrohungen aus der Heiligen Schrift an. Jetztaber begann der Witzbold ernsthaft zu spaßen, undda war er ganz in seinem Element. »Zürne nicht,lieber Bruder!« sagte er. »Es steht geschrieben:›Durch standhaftes Ausharren sollt ihr euch dasLeben gewinnen.‹« Darauf erwiderte der Klosterbruder– ich will nämlich seine eigenen Worte wiedergeben–: »Ich zürne nicht, du Galgenstrick,oder ich sündige wenigstens nicht damit. Denn derPsalmist sagt: ›Zürnt und sündigt nicht!‹« Daraufermahnte der Kardinal den Klosterbruder in sanftemTone, sich zu mäßigen. Doch der antwortete:»Herr, ich spreche nur in redlichem Eifer, wie ich estun muß. Denn auch heilige Männer haben einenredlichen Eifer bewiesen, weswegen es heißt: ›DerEifer um dein Haus hat mich verzehrt‹. Und in denKirchen singt man:

›Die Spötter Elisas,
Während er hinaufsteigt zum Hause Gottes,
Bekommen den Eifer des Kahlkopfs zu spüren‹,

46wie ihn vielleicht auch dieser Spötter da, dieserPossenreißer, dieser Bruder Liederlich noch zu spürenbekommen wird.«

»Du handelst vielleicht in ehrlicher Erregung«,sagte der Kardinal, »aber mir will scheinen, eswürde möglicherweise frömmer, bestimmt aber klügervon dir sein, wenn du nicht mit einem törichtenund lächerlichen Menschen einen lächerlichen Streitbeginnen wolltest.«

»Nein, Herr, das würde nicht klüger von mirsein«, erwiderte er. »Sagt doch selbst der weiseSalomo: ›Antworte dem Narren gemäß seiner Narrheit!‹,wie ich es jetzt tue und ihm die Grube zeige,in die er fallen wird, wenn er nicht recht auf derHut ist. Wenn nämlich die vielen Spötter Elisas,der doch nur ein Kahlkopf war, den Eifer des Kahlkopfeszu spüren bekommen haben, um wieviel mehrwird ein einziger Spötter den Eifer der vielen Klosterbrüderzu spüren bekommen, unter denen sichdoch viele Kahlköpfe befinden! Und außerdemhaben wir ja noch eine päpstliche Bulle, auf Grundderen alle, die sich über uns lustig machen, derKirchenbann trifft.«

Sobald der Kardinal sah, daß der Streit kein Endenehmen wollte, gab er dem Schmarotzer einen Wink,sich zu entfernen, und brachte die Rede auf einanderes Thema, das auch Anklang fand. Bald daraufstand er von der Tafel auf, entließ uns und widmetesich seinen Lehnsleuten, deren Anliegen er sichanhörte.

»Sieh da, mein lieber Morus, wie lang ist doch dieGeschichte geworden, mit der ich dich belästigthabe! Ich hätte mich entschieden geschämt, so ausführlich47zu werden, wenn du es nicht dringend zuwissen verlangt hättest und wenn es mir nicht denEindruck gemacht hätte, als wolltest du auch nichtein Wort von jenem Gespräch ausgelassen wissen;mit solcher Aufmerksamkeit hörtest du mir zu. Ichmußte dies jedoch alles erzählen – freilich hättees wesentlich kürzer geschehen können –, um dieUrteilsfähigkeit dieser Leute ins rechte Licht zurücken: wovon sie nämlich nichts wissen wollten,als sie es aus meinem Munde hörten, eben das billigtensie auf der Stelle, als es der Kardinal billigte,und zwar gingen sie in ihrer Lobhudelei so weit, daßsie sich sogar die Einfälle seines Schmarotzers, diesein Herr im Scherz nicht zurückwies, in schmeichlerischerWeise gefallen ließen und sie beinahe fürErnst nahmen. Daraus kannst du ermessen, wie hochdie Höflinge mich mit meinen Ratschlägen einschätzenwürden.«

»In der Tat, mein lieber Raphael«, erwiderte ich,»deine Erzählung war ein großer Genuß für mich;so klug und treffend zugleich hast du alles gesagt.Außerdem war es mir währenddem so, als befändeich mich wieder in meiner Heimat, und nicht bloßdies, sondern als erlebte ich gewissermaßen nocheinmal meine Kindheit, bei der angenehmen Erinnerungan jenen Kardinal, an dessen Hofe ich alsKnabe erzogen worden bin. Lieb und wert warst dumir ja auch sonst schon, mein Raphael, aber umwieviel teurer du mir durch die so hohe Ehrung desAndenkens an jenen Mann geworden bist, kannstdu dir kaum vorstellen. Im übrigen kann ich bis jetztmeine Ansicht in keinerlei Weise ändern; ich binvielmehr entschieden der Meinung, wenn du dich48entschließen könntest, deine Abneigung gegen dieFürstenhöfe aufzugeben, so könntest du mit deinenRatschlägen der Öffentlichkeit den größten Nutzenstiften. Deshalb ist dies deine höchste Pflicht, diePflicht eines braven Mannes. Und wenn vollendsdein Plato der Ansicht ist, die Staaten würden erstdann glücklich sein, wenn entweder die PhilosophenKönige seien oder die Könige sich mit Philosophiebefaßten, wie fern wird da das Glück noch sein,wenn es die Philosophen sogar für unter ihrerWürde halten, den Königen ihren guten Rat zuteilwerden zu lassen.«

»Sie sind nicht so ungefällig«, antwortete er, »daßsie das nicht gern tun würden – sie haben es jaauch schon durch die Veröffentlichung zahlreicherBücher getan –, wenn nur die Machthaber bereitwären, die guten Ratschläge auch zu befolgen. Aberohne Zweifel hat Plato richtig vorausgesehen, daßdie Könige nur dann die Ratschläge philosophierenderMänner gutheißen werden, wenn sie sich selbstmit Philosophie beschäftigen. Sind sie doch vonKindheit an mit verkehrten Meinungen getränkt undvon ihnen angesteckt, was Plato in eigener Personam Hofe des Dionysius erfahren mußte. Odermeinst du nicht, ich würde auf der Stelle fortgejagtoder verspottet werden, wenn ich am Hofeirgendeines Königs gesunde Maßnahmen vorschlügeund verderbliche Saaten schlechter Ratgeber auszureißenversuchte?

Wohlan, stelle dir vor, ich lebte am Hofe desKönigs von Frankreich und säße mit in seinem Rate,während man in geheimster Zurückgezogenheit unterdem Vorsitze des Königs selbst in einem Kreise der49klügsten Männer mit großem Eifer darüber verhandelt,mit welchen Ränken und Machenschaften derKönig es fertig bringen kann, Mailand zu behaupten,jenes immer aufs neue abfallende Neapel wiederzugewinnen,ferner Venedig zu vernichten und sichganz Italien zu unterwerfen, sodann Flandern, Brabantund schließlich ganz Burgund seinem Reicheeinzuverleiben und außerdem noch andere Völker,in deren Land der König schon längst im Geiste eingefallenist. Hier rät der eine, mit den Venetianernein Bündnis zu schließen, aber nur für so lange, alses den Franzosen Nutzen bringt; mit ihnen gemeinschaftlicheSache zu machen, ja auch einen Teil derBeute ihnen anzuvertrauen und dann wieder zurückzuverlangen,wenn alles nach Wunsch gegangen ist;ein anderer wieder schlägt vor, deutsche Landsknechteanzuwerben; ein dritter, Schweizer mit Geldkirre zu machen; ein vierter, sich die Gunst der kaiserlichenMajestät durch Gold wie durch ein Weihgeschenkzu erkaufen. Ein anderer wieder rät demFürsten, sich mit dem König von Aragonien gütlich zueinigen und ihm gleichsam als Unterpfand des Friedensdas Königreich Navarra abzutreten, das ihm abergar nicht gehört. Unterdessen will ein anderer denPrinzen von Kastilien durch eine Aussicht auf eineVerschwägerung ins Garn locken und einige Grandenseines Hofes durch eine bestimmte Barzahlungauf die Seite Frankreichs ziehen. Nun aber stößtman auf die allergrößte Schwierigkeit, was mannämlich bei alledem in betreff Englands beschließensoll: immerhin müsse man mit ihm doch wenigstensFriedensverhandlungen anknüpfen und das immerunsicher bleibende Bündnis durch recht starke Bande50befestigen; die Engländer solle man zwar Freundenennen, ihnen aber wie Feinden mißtrauen und deshalbdie Schotten für jeden Fall schlagfertig, gleichsamauf Posten, in Bereitschaft halten und sie sofortauf die Engländer loslassen, sobald sich dieseirgendwie rührten. Außerdem müsse man einenhohen, in der Verbannung lebenden Adligen unterstützen,und zwar im geheimen – eine offene Protektionlassen nämlich die Verträge nicht zu –,der den englischen Thron für sich beanspruche. Dassolle für den König von Frankreich eine Handhabesein, den König von England im Zaume zu halten,dem er nicht trauen dürfe.

Und nun denke dir, hier, bei einem solchen Drangeder Geschäfte, wenn so viele ausgezeichnete Männerum die Wette Ratschläge für den Krieg erteilen,stünde ich armseliges Menschenkind auf und hießeplötzlich den Kurs ändern, schlüge vor, Italien aufzugeben,und behauptete, man müsse im Lande bleiben;das eine Königreich Frankreich sei schon fastzu groß, als daß es ein einziger gut verwaltenkönne; der König solle doch nicht glauben, er dürfenoch an die Einverleibung anderer Reiche denken;und ich riete ihnen dann weiter, dem Beispiele derAchorier zu folgen, eines Volkes, das der InselUtopia im Südosten gegenüberliegt. In alten Zeitenhatten sie einmal einen Krieg geführt, um ihremKönig den Besitz eines zweiten Reiches zu sichern,das er auf Grund einer alten Verwandtschaft als seinErbe beanspruchte. Als sie endlich ihr Ziel erreichthatten, mußten sie jedoch einsehen, daß die Behauptungdes Landes keineswegs leichter war als seineEroberung, daß vielmehr ohne Unterlaß Auflehnungen51im Inneren oder Überfälle auf die Unterworfenenvon außen daraus entstanden, daß sie sodauernd entweder für oder gegen jene kämpfenmußten, daß sich niemals die Möglichkeit bot, dasHeer zu entlassen, daß sie selber inzwischen ausgebeutetwurden, daß ihr Geld ins Ausland ging,daß sie ihr Blut für ein wenig Ruhm eines Fremdenvergossen, daß der Friede im Inneren durchausnicht gesicherter war, daß der Krieg die Moral verdarb,daß die Raubsucht den Menschen gleichsamin Fleisch und Blut überging, daß die Rauflust infolgeder Metzeleien zunahm und daß man die Gesetzenicht mehr achtete. Und das alles, weil derKönig sein Interesse, das durch die Sorge für zweiReiche zersplittert wurde, jedem einzelnen nichtnachdrücklich genug zuwenden konnte. Da nun dieAchorier sahen, diese so schlimmen Zustände würdenauf andere Weise kein Ende nehmen, faßten sieendlich einen Entschluß und ließen ihrem Fürstenin überaus höflicher Form die Wahl, welches Reichvon beiden er behalten wolle; beide könne er nämlichnicht länger behalten; sie seien ein zu großesVolk, um von einem ›halbierten‹ König regiert zuwerden, wie sich ja auch niemand gern mit einemanderen Maultiertreiber würde teilen wollen.So sah sich denn jener brave Fürst gezwungen,sein neues Reich einem seiner Freunde zu überlassen– der übrigens bald darauf gleichfalls verjagtwurde – und sich mit dem alten zu begnügen.Ferner würde ich darauf hinweisen, daß alle diesekriegerischen Versuche, die um des Königs willenso viele Völker in Unruhe versetzen würden, durchirgendein Mißgeschick schließlich doch ohne Erfolg52enden könnten, nachdem seine Geldmittel erschöpftund sein Volk ruiniert seien. Ich würde ihm deshalbraten, sein ererbtes Reich nach Möglichkeit zu pflegenund zu fördern und es zu höchster Blüte zubringen, seine Untertanen zu lieben und sich vonihnen lieben zu lassen, mit ihnen zusammen zu leben,sie mit Milde zu regieren und andere Reiche inFrieden zu lassen, da ihm ja schon genug und übergenugzugefallen sei. Mit was für Ohren, meinst du,mein Morus, müßte man da wohl meine Rede aufnehmen?«

»Wahrhaftig, nicht mit sehr geneigten«, erwiderteich.

»Fahren wir also fort!« sagte er. »Die Ratgeberirgendeines Königs debattieren und klügeln mit ihmaus, mit welchen Schelmenstreichen sie Gelder fürihn aufhäufen können. Einer rät dazu, den Geldwertzu erhöhen, wenn der König selber eine Zahlung zuleisten hat, ihn aber anderseits unter das rechte Maßzu senken, wenn ihm eine Zahlung zu leisten ist. Aufdiese Weise bezahlt er eine große Schuld mit wenigGeld und erhält für eine kleine ausstehende Forderungviel. Ein anderer wieder schlägt vor, eineKriegsgefahr vorzutäuschen, unter diesem VorwandGeld aufzubringen und dann zum geeignet erscheinendenZeitpunkt Frieden zu schließen, und zwarunter feierlichen Zeremonien; dadurch solle derbreiten Masse des dummen Volkes vorgegaukeltwerden, der fromme Fürst habe offenbar aus Mitleidkein Menschenblut vergießen wollen. Ein dritterruft ihm gewisse alte, von Motten angefressene undlängst nicht mehr angewendete Gesetze ins Gedächtnis,nach denen sich kein Mensch mehr richte, weil53sich niemand besinnen könne, daß sie überhauptjemals erlassen worden seien, und er fordert ihn auf,Strafgelder für diese Nichtbefolgung einzuziehen:kein Ertrag sei ergiebiger und zugleich ehrenhafter,da er ja die Maske der Gerechtigkeit zur Schautrage. Ein vierter wieder fordert den König auf,unter Androhung hoher Geldstrafen eine Menge Verbotezu erlassen, zumeist von Handlungen, die nichtden Interessen des Volkes dienen, gegen Geld aberLeuten Dispens zu erteilen, deren Privatinteressenein Verbot im Wege steht. Auf diese Weise ernte erden Dank des Volkes und habe doppelten Gewinn,einmal aus der Bestrafung der Leute, die ihre Erwerbsgierins Netz lockt, und sodann aus dem Verkaufder Vorrechte an andere, für um so mehr Geldnatürlich, je gewissenhafter der Fürst ist; denn einguter Herrscher begünstigt nur ungern einen Privatmannzum Nachteile seines Volkes und deshalb nurfür viel Geld. Wieder ein anderer sucht den Königzu überreden, Richter anzustellen, die in jeder beliebigenSache zu seinen Gunsten entscheiden;außerdem solle er sie einladen, in seinem Palasteund in seiner Gegenwart über seine Angelegenheitenzu verhandeln; dann werde keiner seiner Prozesseso offensichtlich faul sein, daß nicht einer der Richter,sei es aus Lust am Widerspruch oder aus Scheuvor Wiederholung von schon Gesagtem oder im Haschennach der königlichen Gunst irgendeinen Ritzentdecken würde, in den man eine Rechtsverdrehungeinklemmen könne. Wenn dann erst einmal bei Meinungsverschiedenheitder Richter über die an sichvöllig klare Sache debattiert und die Wahrheit inFrage gestellt werde, so biete sich dem König die54günstige Gelegenheit, das Recht zu seinem eigenenVorteil auszulegen, und die anderen würden sich ausHochachtung oder aus Furcht seiner Meinung anschließen.Und in diesem Sinne fällt dann später derGerichtshof unbedenklich das Urteil; denn es kannja niemandem an einem Vorwand fehlen, sich zugunstendes Fürsten zu entscheiden. Genügt es ihmdoch, daß entweder die Billigkeit für ihn sprichtoder der Wortlaut des Gesetzes oder die gewaltsamverdrehte Auslegung des Sinnes eines Schriftstückesoder, was gewissenhaften Richtern schließlich mehrgilt als alle Gesetze, des Fürsten unbestreitbaresRecht der obersten Entscheidung. Kurz, alle Ratgebersind der gleichen Ansicht und wirken zusammenim Sinne jenes Wortes des Crassus, keineMenge Gold sei groß genug für einen Fürsten, derein Heer unterhalten müsse. Außerdem kann nachihrer Meinung ein König gar kein Unrecht tun, mager es auch noch so sehr wünschen; denn der gesamteBesitz aller seiner Untertanen wie auch diese selbstsind, so glauben sie, sein Eigentum, und jedem einzelnengehört nur so viel, wie ihm seines KönigsGnade noch läßt. Der aber muß großen Wertdarauf legen, daß dieser Rest möglichst geringist; denn seine Sicherheit beruht darauf, daß seinVolk nicht durch Reichtum oder Freiheit übermütigwird, weil beides eine harte und ungerechte Herrschaftweniger geduldig ertragen läßt, währendanderseits Armut und Not abstumpfen, geduldigmachen und den Untertanen in ihrer Bedrängnis dengroßzügigen Geistesschwung der Empörung nehmen.

Nun stelle dir wieder vor, ich stünde jetzt nocheinmal auf und behauptete, alle diese Pläne seien für55den König unehrenhaft und verderblich; denn nichtnur seine Ehre, sondern auch seine Sicherheit beruheweniger auf seinem eigenen Reichtum als aufdem seiner Untertanen. Ich würde dann weiter ausführen,daß sich diese einen König nicht in dessen,sondern in ihrem eigenen Interesse wählen, um nämlich,dank seiner eifrigen Bemühung, selber in Ruheund Sicherheit vor Gewalttaten zu leben. Deshalbhat der Fürst, so würde ich weiter sagen, diePflicht, mehr auf seines Volkes Wohlergehen alsauf sein eigenes bedacht zu sein, genau so wie es diePflicht eines Hirten ist, mehr für die Ernährungseiner Schafe als für seine eigene zu sorgen, wenigstensin seiner Eigenschaft als Schafhirt. Denn inder Armut des Volkes einen Schutz zu sehen, ist, wieschon die Erfahrung lehrt, ein gewaltiger Irrtum.Wo könnte man nämlich mehr Zank und Streit findenals unter Bettlern? Und wer ist eifriger auf Umsturzbedacht als der, dem seine augenblicklicheLage so gar nicht gefallen will? Oder wen beseeltschließlich ein kühneres Verlangen nach einem allgemeinenDurcheinander, in der Hoffnung auf irgendwelchen Gewinn, als den, der nichts mehr zu verlierenhat? Sollte nun aber wirklich ein König vonseinen Untertanen so sehr verachtet oder gehaßtwerden, daß er sie nicht anders im Zaume haltenkann, als indem er mit Mißhandlungen, Ausplünderungund Güterparzellierung gegen sie vorgehtund sie an den Bettelstab bringt, dann wäre es wirklichbesser für ihn, er legte seine Herrschaft nieder,als daß er sie mit Hilfe solcher Künste behauptet;sie retten ihm wohl den Namen seinerHerrschaft, aber ihrer Erhabenheit geht er bestimmt56verlustig. Denn es ist eines Königs nicht würdig,über Bettler zu herrschen, sondern vielmehr überreiche und glückliche Menschen. Eben das meintsicherlich der hochgemute und geistig überlegeneFabricius mit der Antwort, er wolle lieber Reichengebieten als selber reich sein. Und in der Tat!Als einzelner in Vergnügen und Genüssen schwimmen,während ringsherum andere seufzen und jammern,das heißt nicht Hüter eines Thrones, sonderneines Kerkers sein. Kurzum: wie es demjenigen Arztean jeder Erfahrung fehlt, der eine Krankheit nurdurch eine andere zu heilen versteht, so mag derseine völlige Unfähigkeit zur Herrschaft über Freieruhig eingestehen, der das Leben der Staatsbürgernur dadurch zu bessern weiß, daß er ihnen nimmt,was das Leben lebenswert macht. Ja wahrhaftig,er soll doch lieber seine Trägheit oder seinen Stolzaufgeben; denn diese Laster ziehen ihm in der Regeldie Verachtung oder den Haß seines Volkes zu. Ersoll rechtschaffen von seinen Mitteln leben und seineAusgaben den Einnahmen anpassen. Er soll fernerdie Missetaten einschränken und lieber durch richtigeBelehrung seiner Untertanen verhüten, als sieerst anwachsen zu lassen und dann zu bestrafen.Gesetze, die gewohnheitsmäßig aus der Übung gekommensind, soll er nicht aufs Geratewohl erneuern,zumal wenn sie schon lange nicht mehr angewendetund niemals vermißt worden sind. Er sollauch niemals für ein derartiges Vergehen eine Geldstrafeeinziehen, was der Richter auch einem Privatmanneals unbillig und unlauter untersagenwürde. Ferner würde ich jenen Ratgebern ein Gesetzder Macarenser mitteilen, die gleichfalls nicht57eben weit von Utopia entfernt wohnen. An dem Tageseiner Regierungsübernahme verpflichtet sich nämlichihr König unter Darbringung feierlicher Opfereidlich, nie auf einmal mehr als tausend Pfund Goldoder den entsprechenden Wert in Silber in seinenKassen zu haben. Diese Bestimmung soll ein vortrefflicherKönig getroffen haben, dem das Wohlseines Landes mehr als sein persönlicher Reichtumam Herzen lag. Mit dieser Maßnahme wollte er inseinem Volke einer Geldknappheit infolge Anhäufungeiner zu großen Geldsumme vorbeugen. Er sahnämlich ein, dieser Betrag werde für den Monarchengroß genug sein zum Kampfe gegen die Rebellenund groß genug für die Monarchie zur Abwehrfeindlicher Angriffe; dagegen sei er nicht groß genug,um zu Einfällen in fremdes Gebiet Lust zumachen. Das war der hauptsächlichste Grund fürden Erlaß des genannten Gesetzes. Der nächsteGrund aber war, daß jener König glaubte, auf dieseWeise einen Mangel an den Zahlungsmitteln verhütetzu haben, die täglich im Handelsverkehr derBürger im Umlauf waren. Auch war er der Ansicht,ein König werde bei allen unvermeidlichen Ausgaben,die den Staatsschatz über das gesetzlicheMaß hinaus belasten, keine Möglichkeiten zu einergewaltsamen Maßnahme suchen. Einen solchen Königwerden die Bösen fürchten und die Guten lieben.Würde ich also dies und noch mehr dergleichenbei Leuten vorbringen, die leidenschaftlich denentgegengesetzten Grundsätzen huldigen, was fürtauben Ohren würde ich da wohl predigen?«

»Stocktauben, ohne Zweifel«, erwiderte ich. »Undin der Tat, darüber wundere ich mich auch gar nicht.58Auch will es mir, um die Wahrheit zu sagen, nichtangebracht erscheinen, derartige Reden zu haltenund solche Ratschläge zu erteilen, die, wie mansicher weiß, niemals befolgt werden. Was könntedenn auch der Nutzen einer so ungewöhnlichen Redesein, oder wie sollte sie überhaupt eine Wirkung ausübenauf Leute, die von einer ganz anderen Überzeugungvoreingenommen und tief durchdrungensind? Unter lieben Freunden, im vertraulichen Gespräch,ist solches theoretisches Philosophieren nichtohne Reiz, aber in einem Rate von Fürsten, wo mitgewichtiger Autorität über Fragen von Bedeutungverhandelt wird, ist für so etwas kein Platz.«

»Da haben wir ja«, rief er, »was ich immer sagte:An Fürstenhöfen will man eben von Philosophienichts wissen.«

»Gewiß«, erwiderte ich, »es ist wahr: nichts vondieser rein theoretischen Philosophie, die da meint,jeder beliebige Satz sei überall am Platze. Aber esgibt ja noch eine andere Art von Philosophie, diedie besonderen Bedingungen ihres Landes und ihrerZeit besser kennt. Ihr ist die Bühne, auf der siezu spielen hat, bekannt, sie paßt sich ihr an undführt ihre Rolle in dem Stück, das gerade gegebenwird, gefällig und mit Anstand durch. Dasist die Philosophie, die für dich in Betracht kommt.Wie wäre es übrigens, wenn du bei der Aufführungeiner Komödie des Plautus, gerade während dieHaussklaven untereinander Possen treiben, in derTracht eines Philosophen auf der Bühne erschienestund aus der Octavia die Stelle hersagtest, in derSeneca mit Nero disputiert? Wäre es da nichtbesser, du trätest nur als Statist auf, anstatt Unpassendes59zu deklamieren und dadurch eine solcheTragikomödie vorzuführen? Du würdest ja dasStück, das man gerade spielt, verderben und überden Haufen werfen, indem du so ganz Verschiedenartigesdurcheinandermengst, selbst wenn das, wasdu bringst, der wertvollere Beitrag wäre. Was fürein Stück gerade aufgeführt wird, darin mußt du sogut wie möglich mitspielen, und du darfst das ganzeStück nicht deshalb in Unordnung bringen, weil direin hübscheres von einem anderen Verfasser in denSinn gekommen ist.

So ist es im Staate, so bei den Beratungen derFürsten. Kann man verkehrte Meinungen nicht mitder Wurzel ausrotten und kann man Übeln, die sichdurch lange Gewohnheit eingenistet haben, nichtnach seiner innersten Überzeugung abhelfen, so darfman deshalb doch nicht gleich den Staat im Stichelassen und im Sturme das Schiff nicht deshalb preisgeben,weil man den Winden nicht Einhalt gebietenkann. Man darf auch nicht den Menschen eine ungewöhnlicheund lästige Rede aufdrängen, die, wieman weiß, auf Leute, die entgegengesetzter Meinungsind, gar keinen Eindruck machen wird. Manmuß es lieber auf einem Umwege versuchen undsich bemühen, an seinem Teile alles geschickt zubehandeln und, was man nicht zum Guten wendenkann, wenigstens zu einem möglichst kleinen Übelwerden zu lassen. Denn unmöglich können alle Verhältnissegut sein, solange nicht alle Menschen gutsind. Darauf aber werde ich wohl noch manchesJahr warten müssen.«

»Dieses Verhalten«, meinte er, »hätte nichts andereszur Folge, als daß ich, in dem Bestreben, die Raserei60anderer zu heilen, selber mit ihnen zu rasen anfinge.Denn wenn ich die Wahrheit sagen will, so muß ich soreden; ob es dagegen eines Philosophen würdig ist,die Unwahrheit zu sagen, weiß ich nicht. Mir wenigstenswiderstrebt es. Es mag schon sein, daß meineRede jenen Leuten vielleicht unwillkommen undlästig ist. Trotzdem aber sehe ich nicht ein, warumsie ihnen bis zur Unschicklichkeit ungewöhnlich erscheinensollte. Wenn ich nun entweder das anführte,was Plato in seinem Staate fingiert, oderdas, was die Utopier in ihrem Staate tun, so könntedas, obgleich es an sich das Bessere wäre – unddas ist es auch wirklich –, doch unpassend erscheinen,weil es hier Privatbesitz der einzelnengibt, dort aber alles gemeinsamer Besitz aller ist.

Wie ist es denn nun aber eigentlich mit meinerRede? Abgesehen davon, daß den Leuten, die aufeinem anderen Wege kopfüber vorwärtsstürzen wollen,ein Mann nicht lieb sein kann, der sie zurückruftund auf Gefahren aufmerksam macht, was enthieltsie denn sonst, das nicht überall gesagt werdendürfte oder sogar gesagt werden sollte? Müßteman freilich alles als unerhört und widersinnigbeiseite lassen, was verkehrter menschlicher Anschauungzufolge als seltsam erscheint, dann müßtenwir unter den Christen das meiste von allem geheimhalten,was Christus gelehrt und uns so strengzu verleugnen verboten hat, daß er uns sogar gebotenhat, auch das, was er seinen Jüngern nur insOhr geflüstert hatte, öffentlich auf den Dächern zuverkünden. Steht doch diese Lehre zum größtenTeile weit weniger im Einklang mit unseren heutigenSitten als meine Rede, nur daß die Volksredner61in ihrer Schlauheit, wie mir scheint, deinenRat befolgt haben. Als sie nämlich sahen, daß dieMenschen nur ungern ihr Verhalten der VorschriftChristi anpaßten, paßten sie umgekehrt seine Lehre,als wäre sie biegsam wie ein Richtmaß aus Blei,den herrschenden Sitten an, damit beides einigermaßenwenigstens in Übereinstimmung miteinandergebracht würde. Ich kann aber nicht einsehen, welchenNutzen sie damit gestiftet haben, außer daßdie Bosheit größere Sicherheit genießt, und ichselbst würde in der Tat in dem Rate eines Fürstenebensowenig Nutzen stiften. Entweder nämlichwürde ich eine abweichende Meinung äußern –das wäre dann genau so, als wenn ich gar nichtssagte –, oder eine zustimmende, und damit würdeich zum Helfershelfer ihres Wahnsinns, wie Miciobei Terenz sagt. Denn was jenen von dir erwähntenUmweg anlangt, so kann ich nicht einsehen, wasfür eine Bewandtnis es damit haben soll. Du meinst,man müsse auf ihm zu erreichen suchen, daß dieVerhältnisse, wenn man sie nun einmal nicht gründlichbessern kann, wenigstens geschickt behandeltwerden und sich, soweit das geht, möglichst wenigschlecht gestalten. Denn von Vertuschen kann hierkeine Rede sein, und die Augen darf man nicht zudrücken.Die schlechtesten Ratschläge sollen offengebilligt und die verderblichsten Verfügungen unterschriebenwerden. Ein Schurke, ja fast ein Hochverräterwürde sein, wer unheilvolle Beschlüsse inarglistiger Weise doch guthieße.

Ferner bietet sich einem gar keine Gelegenheit,sich irgendwie nützlich zu machen, wenn man untersolche Amtsgenossen gerät, die auch den besten62Mann verderben, anstatt sich selbst durch ihn bessernzu lassen. Der Umgang mit diesen verdorbenenMenschen wird dich entweder auch verderben, oder,wenn du auch selbst unbescholten und ohne Schuldbleibst, so wirst du doch fremder Bosheit und Torheitzum Deckmantel dienen. So viel fehlt also daran,daß du mit jenem deinen Umwege etwas zumBesseren wenden könntest.

Deshalb erklärt auch Plato mit einem wunderschönenGleichnis, warum sich die Weisen mit Fugund Recht von politischer Betätigung fernhalten sollen.Sie sehen nämlich, wie das Volk auf die Straßenströmt und ununterbrochen von Regengüssendurchnäßt wird, können es aber nicht dazu bewegen,sich vor dem Regen in Sicherheit zu bringen und indie Häuser zu gehen. Weil sie aber wissen, daß sie,wenn sie auch auf die Straße gehen, nichts weitererreichen, als daß sie selbst mit einregnen, so bleibensie im Hause und sind damit zufrieden, wenigstensselber in Sicherheit zu sein, wenn sie schonfremder Torheit nicht steuern können.

Wenn ich freilich ganz offen meine Meinungkundgeben soll, mein lieber Morus, so muß ichsagen: ich bin in der Tat der Ansicht, überall, woes noch Privateigentum gibt, wo alle an alles dasGeld als Maßstab anlegen, wird kaum jemals einegerechte und glückliche Politik möglich sein, es seidenn, man will dort von Gerechtigkeit sprechen, wogerade das Beste immer den Schlechtesten zufällt,oder von Glück, wo alles unter ganz wenige verteiltwird und wo es auch diesen nicht in jeder Beziehunggut geht, der Rest aber ein elendes Daseinführt.

63So erwäge ich denn oft die so klugen und ehrwürdigenEinrichtungen der Utopier, die so wenig Gesetzeund trotzdem eine so ausgezeichnete Verfassunghaben, daß das Verdienst belohnt wird undtrotz gleichmäßiger Verteilung des Besitzes allenalles reichlich zur Verfügung steht. Und dann vergleicheich im Gegensatz dazu mit ihren Gebräuchendie so vieler anderer Nationen, die nicht aufhörenzu ordnen, von denen allen aber auch nichteine jemals so richtig in Ordnung ist. Bei ihnen bezeichnetjeder, was er erwirbt, als sein Privateigentum;aber ihre so zahlreichen Gesetze, die sie tagtäglicherlassen, reichen nicht aus, jemandem denErwerb dessen, was er sein Privateigentum nennt,oder seine Erhaltung oder seine Unterscheidung vonfremdem Besitz zu sichern, was jene zahllosen Prozessedeutlich beweisen, die ebenso ununterbrochenentstehen, wie sie niemals aufhören. Wenn ich mirdas so überlege, werde ich Plato doch besser gerechtund wundere mich weniger darüber, daß eres verschmäht hat, für jene Leute irgendwelche Gesetzezu erlassen, die eine auf Gesetzen beruhendegleichmäßige Verteilung aller Güter unter alle ablehnen.In seiner großen Klugheit erkannte er offensichtlichohne weiteres, daß es nur einen einzigenWeg zum Wohle des Staates gibt: die Einführungder Gleichheit des Besitzes. Diese ist aber wohl niemalsdort möglich, wo die einzelnen ihr Hab undGut noch als Privateigentum besitzen. Denn, wojeder auf Grund gewisser Rechtsansprüche an sichbringt, soviel er nur kann, teilen nur einigewenige die gesamte Menge der Güter unter sich,mag sie auch noch so groß sein, und lassen den64anderen nur Mangel und Not übrig. Und in derRegel ist es so, daß die einen in höchstem Gradedas Los der anderen verdienen; denn die Reichensind habgierige, betrügerische und nichtsnutzigeMenschen, die Armen dagegen bescheidene undschlichte Männer, die durch ihre tägliche Arbeitdem Gemeinwesen mehr als sich selbst nützen. Ichbin daher der festen Überzeugung, das einzige Mittel,auf irgendeine gleichmäßige und gerechte Weiseden Besitz zu verteilen und die Sterblichen glücklichzu machen, ist die gänzliche Aufhebung desPrivateigentums. Solange es das noch gibt, wird derweitaus größte und beste Teil der Menschheit diebeängstigende und unvermeidliche Last der Armutund der Kümmernisse dauernd weiterzutragen haben.Sie kann wohl ein wenig erleichtert werden, dasgebe ich zu; aber sie völlig zu beseitigen, das ist,so behaupte ich, unmöglich. Man könnte ja für denBesitz des einzelnen an Grund und Boden ein bestimmtesHöchstmaß festsetzen und ebenso eine bestimmteGrenze für das Barvermögen; man könnteauch durch Gesetze einer zu großen Macht des Fürstenund einer zu großen Anmaßung des Volkesvorbeugen. Ferner könnte man die Erlangung vonÄmtern durch allerlei Schliche oder durch Bestechungund die Forderung von Aufwand währendder Amtstätigkeit unterbinden. Andernfalls nämlichbietet sich Gelegenheit, sich das verausgabte Gelddurch Betrug und Raub wieder zu verschaffen, undman sieht sich gezwungen, reichen Leuten die Ämterzu geben, die man lieber Fähigen hätte geben sollen.Durch solche Gesetze kann man die erwähntenÜbelstände wohl mildern und abschwächen, ebenso65wie man kranke Körper in hoffnungslosem Zustandedurch unablässige warme Umschläge zu stärkenpflegt. Aber auf eine vollständige Behebung derÜbelstände und auf den Eintritt eines erfreulichenZustandes darf man ganz und gar nicht hoffen, solangejeder noch Privateigentum besitzt. Ja, währendman an der einen Stelle zu heilen sucht, verschlimmertman die Wunde an anderen Stellen. Soentsteht abwechselnd aus der Heilung des einen dieKrankheit des anderen; denn niemandem kann manetwas zulegen, was man einem anderen nicht erstweggenommen hat.«

»Aber ich bin gerade der entgegengesetzten Meinung«,erwiderte ich, »daß man sich nämlich niemalsdort wohl fühlen kann, wo Gütergemeinschaft herrscht.Denn wie könnte die Menge der Güter ausreichen,wenn jeder sich um die Arbeit drückt, weil ihn jakeine Rücksicht auf Erwerb zur Arbeit ansp*rntund weil ihn die Möglichkeit, sich auf den Fleißanderer zu verlassen, träge werden läßt? Aber wennauch die Not die Menschen zur Arbeit anstachelnsollte, würde man da nicht dauernd durch Mordund Aufruhr in Gefahr schweben, falls niemand aufGrund irgendeines Gesetzes das, was er erwirbt, alssein Eigentum schützen könnte? Zumal wenn dieAutorität der Behörden und die Achtung vor ihnengeschwunden ist, wie könnte dann für beides Platzsein bei Menschen, zwischen denen keinerlei Unterschiedbesteht? Das kann ich mir nicht einmal vorstellen.«

»Über diese deine Ansichten wundere ich michgar nicht«, erwiderte Raphael; »denn von einem solchenStaate hast du entweder gar keine Anschauung66oder nur eine falsche. Wärest du jedoch mit mir inUtopien gewesen und hättest du dort mit eigenenAugen die Sitten und Einrichtungen kennengelernt,wie ich es getan habe, der ich über fünf Jahre dortgelebt habe und gar nicht wieder hätte fortgehenmögen, außer um die Kenntnis von dieser neuenWelt zu verbreiten, so würdest du entschieden zugeben,du habest nirgends anderswo ein Volk miteiner guten Verfassung gesehen außer dort.«

»Und doch«, sagte Peter Ägid, »wirst du michin der Tat nur schwer davon überzeugen können,daß es in jener neuen Welt ein Volk mit bessererVerfassung gibt als in dieser uns bekannten. Habenwir doch hier ebenso kluge Köpfe, und die Staatswesensind, meine ich, älter als dort; auch verdankenunsere Kulturgüter ihre Entstehung zumgrößten Teile langer Erfahrung, wobei ich nichtunerwähnt lassen will, daß bei uns manches durchZufall entdeckt worden ist, was zu erdenken keinScharfsinn ausgereicht hätte.«

»Über das Alter der Staaten würdest du richtigerurteilen können«, erwiderte jener, »wenn dudie Geschichtswerke über jene Welt genau gelesenhättest. Darf man ihnen glauben, so hat es dortfrüher Städte gegeben als bei uns Menschen. Allesaber, was bis heute der Scharfsinn erfunden oderder Zufall entdeckt hat, konnte hier wie dort vorhandensein. Im übrigen ist es meine feste Überzeugung:Mögen wir jenen Leuten auch an Gaben desGeistes voraussein, an Eifer und Fleiß bleiben wirtrotzdem weit hinter ihnen zurück. Wie nämlich ausihren Chroniken hervorgeht, hatten sie vor unsererLandung dort niemals etwas von unserer Welt 67– sie nennen uns Ultraäquinoktialen –,außer daß in alten Zeiten, vor nunmehr 1200 Jahren,in der Nähe der Insel Utopia ein vom Sturm dorthinverschlagenes Schiff durch Schiffbruch unterging.Dabei warfen die Wellen etliche Römer und Ägypteran den Strand, die dann nie wieder fortgingen.

Und nun sieh, wie die Utopier in ihrem Fleißediese in ihrer Art einzige Gelegenheit ausnutzten!Es gab im ganzen römischen Reiche keine irgendwienützliche Kunstfertigkeit, die sie nicht von dengestrandeten Fremdlingen erlernt oder die sie nicht,im Besitze der Keime ihrer Kenntnis, weiter ausgebildethätten. Von solchem Vorteil war es für sie,daß auch nur ein einziges Mal ein paar Leute vonhier dorthin verschlagen wurden. Sollte aber einähnlicher glücklicher Zufall früher einmal jemandenvon dort hierher gebracht haben, so ist dasheute ebenso gänzlich vergessen, wie sich vielleichtspätere Geschlechter auch meines Aufenthaltes dortnicht mehr erinnern werden. Und während sich dieUtopier schon bei der ersten Berührung mit uns alleunsere nützlichen Erfindungen aneigneten, wird esdagegen lange dauern, bis wir irgendeine Einrichtungübernehmen, die bei ihnen besser ist als beiuns. Dies halte ich auch für den Hauptgrund dafür,daß trotz unserer geistigen und materiellen Überlegenheitihr Staat dennoch klüger verwaltet wirdund glücklicher aufblüht.«

»Also, mein lieber Raphael«, sagte ich, »so bitteich dich dringend, gib uns eine Beschreibung derInsel und fasse dich nicht zu kurz, sondern erläutereuns der Reihe nach Landschaft, Flüsse, Städte,Menschen, Sitten, Einrichtungen, Gesetze, kurz alles,68was wir, wie du meinst, gern kennenlernen wollen!Du kannst aber annehmen, daß wir alles wissenmöchten, was wir bis jetzt nicht wissen.«

»Nichts werde ich lieber tun«, erwiderte er; »denndas habe ich noch frisch im Gedächtnis. Aber dieSache erfordert Zeit.«

»So wollen wir denn hineingehen«, sagte ich, »undfrühstücken; dann nehmen wir uns Zeit, ganz wiees uns beliebt!«

»Einverstanden!« erwiderte er.

Und so gingen wir ins Haus und frühstückten.Danach kehrten wir an den alten Platz zurück undnahmen auf derselben Bank Platz. Den Dienernsagte ich, wir wollten von niemandem gestört werden.Dann erinnerten Peter Ägid und ich denRaphael an sein Versprechen. Als er uns nun insolcher Spannung und Erwartung sah, saß er ersteine Weile schweigend und nachdenklich da, dannbegann er folgendermaßen.

(Ende des ersten Buches. Es folgt das zweite.)

ZWEITES BUCH
Des Raphael Hythlodeus Redeüber den besten Zustand des Staates
Von Thomas Morus

Die Insel der Utopier hat in der Mitte – da istsie nämlich am breitesten – eine Ausdehnung von200 Meilen, ist über eine große Strecke hin nichtviel schmäler und nimmt nach den beiden Enden zuallmählich ab. Diese runden die ganze Insel zu einemHalbkreise von 500 Meilen Umfang ab und geben ihr69die Gestalt des zunehmenden Mondes. Zwischen denbeiden Hörnern befindet sich eine Meeresbucht vonetwa elf Meilen Breite. Land umgibt diese gewaltigeWasserfläche auf allen Seiten und schützt sievor Winden. Sie ist weniger stürmisch bewegt undgleicht mehr einem ruhigen See von ungeheurer Ausdehnung,macht fast die ganze Ausbuchtung desLandes zu einem Hafen und ermöglicht den Schiffsverkehrnach allen Richtungen.

Die Einfahrt in den Hafen gefährden auf dereinen Seite Untiefen und auf der anderen Klippen.Etwa in der Mitte ragt ein einzelner Felsen empor,der aber ungefährlich ist. Auf ihm steht ein Turm,in den die Utopier eine Besatzung gelegt haben. Dieübrigen Klippen sind unsichtbar und deshalb gefährlich.Die Fahrstraßen kennen nur die Eingeborenen,und so kann ein Ausländer ohne einen Lotsenaus Utopien nur schwer in diese Bucht eindringen;könnten doch die Utopier selber kaum ohne Gefahrdort einlaufen, wenn nicht gewisse Seezeichen vomStrande aus die Richtung angäben, und durch ihreUmsetzung wären sie imstande, jeder auch noch sogroßen feindlichen Flotte den Untergang zu bereiten.

Auf der anderen Seite liegen gut besuchte Häfen.Aber überall ist der Zugang zum Lande so starkdurch Natur oder Kunst befestigt, daß auch nur eineHandvoll Verteidiger selbst gewaltige Truppenmassenabwehren könnte. Übrigens war dieses Land,wie man berichtet und wie der Augenschein deutlichzeigt, vor Zeiten noch keine Insel. Vielmehr haterst Utopus, der als Eroberer die Insel nach sichbenannt hat – bis dahin hieß sie Abraxa – undder den rohen und unkultivierten Volksstamm in70Kultur und Gesittung auf eine solche Höhe gebrachthat, daß er die übrigen Völker übertrifft, das Landzur Insel gemacht. Kaum war er nämlich dort gelandetund Herr des Landes geworden, so ließ ereine Strecke von 15 Meilen auf der Seite, wo dieHalbinsel mit dem Festlande zusammenhing, ausstechenund führte so das Meer ringsherum. Da erzu dieser Arbeit, um sie nicht als Schmach empfindenzu lassen, nicht nur die Eingeborenen zwang,sondern außerdem alle seine Soldaten hinzuzog, verteiltesie sich auf eine gewaltige Menge Menschen,und so wurde das Werk mit unglaublicher Schnelligkeitvollendet. Bei den Nachbarvölkern aber, diees anfangs als ein aussichtsloses Beginnen insLächerliche gezogen hatten, erregte der Erfolg Staunenund Schrecken.

Die Insel hat 54 Städte, alle geräumig und prächtig,in Sprache, Sitten, Einrichtungen und Gesetzeneinander völlig gleich. Sie sind alle in derselbenWeise angelegt und haben, soweit das bei der Verschiedenheitdes Geländes möglich ist, dasselbeAussehen. Die geringste Entfernung zwischen ihnenbeträgt 24 Meilen; anderseits wieder ist keine soabgelegen, daß man nicht von ihr aus eine anderean einem Tage zu Fuß erreichen könnte.

Aus jeder Stadt kommen alljährlich drei erfahreneGreise in Amaurotum zusammen, um sich über gemeinsameAngelegenheiten der Insel zu beraten.Diese Stadt wird nämlich als erste und als Hauptstadtbetrachtet, weil sie gleichsam im Herzen desLandes und somit für die Abgeordneten aller Landesteilebequem liegt.

Ackerland ist den Städten planmäßig zugeteilt,71und zwar so, daß einer jeden nach jeder Richtunghin mindestens 12 Meilen Anbaufläche zur Verfügungstehen, nach manchen Richtungen hin jedochnoch viel mehr, nämlich dort, wo die Städte weiterauseinanderliegen. Keine Stadt ist auf Erweiterungihres Gebietes bedacht; denn die Einwohner betrachtensich mehr als seine Bebauer denn als seine Besitzer.

Auf dem flachen Lande haben die Utopier Höfe,die zweckmäßig über die ganze Anbaufläche verteiltund mit landwirtschaftlichen Geräten versehen sind;in ihnen wohnen Bürger, die abwechselnd dorthinziehen. Jeder ländliche Haushalt zählt an Männernund Frauen mindestens 40 Köpfe, wozu noch zweizur Scholle gehörige Knechte kommen. EinemHaushalte stehen ein Hausvater und eine Hausmuttervor, gesetzte und an Erfahrung reiche Personen, undan der Spitze von je 30 Familien steht ein Phylarch.

Aus jeder Familie wandern jährlich 20 Personenin die Stadt zurück, nachdem sie zwei ganze Jahreauf dem Lande zugebracht haben, und werden durchebensoviel neue aus der Stadt ersetzt. Diese werdendann von denen, die schon ein Jahr dort gewesensind und deshalb größere Erfahrung in derLandwirtschaft besitzen, angelernt, um ihrerseitswiederum im folgenden Jahre andere zu unterweisen.Dadurch will man Fehler in der Getreideversorgungverhüten, die infolge Mangels an Erfahrunggemacht werden könnten, wenn alle dort zu gleicherZeit unerfahrene Neulinge wären. Diese Sitte, mitden Bebauern zu wechseln, ist zwar die gewöhnliche,weil niemand gegen seinen Willen und nurunter Zwang das mühsamere Leben auf dem Landelänger ohne Unterbrechung zubringen soll; viele72jedoch, denen die Landwirtschaft von Natur Freudemacht, erwirken sich einen Aufenthalt von mehr Jahren.

Die Ackerbauer bestellen das Land, treiben Viehzucht,beschaffen Holz und fahren es bei Gelegenheitzu Wasser oder zu Lande nach der Stadt.Kücken ziehen sie in gewaltiger Menge auf, undzwar mit Hilfe einer wunderbaren Vorrichtung. Sielassen nämlich die Hühnereier nicht von den Hennenausbrüten, sondern setzen sie in großer Zahleiner gleichmäßigen Wärme aus, erwecken sie dadurchzum Leben und ziehen dann die Kücken groß.Kaum sind diese ausgeschlüpft, so laufen sie denMenschen wie ihren Müttern nach und erkennensie immer wieder. Pferde ziehen die Utopier in ganzgeringer Zahl auf, und zwar nur sehr feurige Tiere;sie sind einzig und allein für Übungen der Jugendin der Reitkunst bestimmt. Denn alle Arbeit bei derFeldbestellung oder beim Transport verrichtenOchsen. Sie sind zwar, wie die Utopier offen zugeben,nicht so feurig wie die Pferde, besitzen aberdafür ihrer Meinung nach mehr Ausdauer und einegrößere Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten.Außerdem erfordert ihr Unterhalt weniger Aufwandan Mühe und Kosten, und zuletzt sind sie, wenn sieausgedient haben, doch noch für die Ernährung zugebrauchen.

Getreide verwenden die Utopier nur zur Brotbereitung;denn als Getränk dient ihnen Wein vonTrauben oder Äpfeln oder Birnen oder schließlichauch Wasser, das sie bisweilen unvermischt trinken,oft aber auch mit Honig oder Süßholz verkocht,das es bei ihnen in nicht geringer Menge gibt. DenVerbrauch von Lebensmitteln durch die Stadt und73ihre Umgebung haben sie zwar ermittelt und kennenihn ganz genau, trotzdem bauen sie viel mehr Getreidean und ziehen auch viel mehr Vieh auf, alsfür den Eigenbedarf nötig ist, um dann den Überschußan ihre Nachbarn abzugeben. Alles, was siean Hausrat brauchen, den es auf dem Lande nichtgibt, verlangen sie von der Stadt und erhalten esauch ohne jede Gegenleistung bereitwillig von denBehörden; denn die meisten von ihnen kommen sowiesoin jedem Monat an einem Feiertage in derStadt zusammen. Wenn die Erntezeit naht, meldendie Phylarchen der Ackerbauer den städtischen Behörden,wieviel Bürger sie ihnen schicken sollen.Diese Schar Erntearbeiter trifft am festgesetztenTage rechtzeitig ein, und bei gutem Wetter erledigtman dann so ziemlich an einem einzigen Tage diegesamte Erntearbeit.

Die Städte, namentlich Amaurotum

Wer eine Stadt kennt, kennt alle: so völlig ähnlichsind sie einander, soweit nicht die Beschaffenheitdes Geländes dem entgegensteht. Ich will deshalbirgendeine beschreiben; es kommt nämlich wirklichnicht viel darauf an, welche. Aber welche lieber alsAmaurotum? Denn keine verdient es mehr, da dieserStadt die übrigen die Würde als Sitz des Senatsübertragen haben und da ich sie infolge meines ununterbrochenenfünfjährigen Aufenthaltes dort besserals jede andere kenne.

Amaurotum also liegt am flachen Abhange einesBerges und ist fast quadratisch angelegt. Denn in74voller Breite beginnt die Stadt ein wenig unterhalbdes Gipfels und erstreckt sich etwa zwei Meilenweit bis zum Flusse Anydrus, wobei sie sich längsdes Ufers beträchtlich länger hinzieht. Der Anydrusentspringt aus einer schwachen Quelle 80 Meilenoberhalb Amaurotums, wird dann durch den Zuflußanderer Wasserläufe, darunter zweier von mittlererGröße, wasserreicher und breiter und ist vor derStadt selbst eine halbe Meile breit. Bald daraufnimmt er an Breite noch mehr zu und mündet dann60 Meilen weiter in den Ozean. Auf dieser ganzenStrecke zwischen der Stadt und dem Meere sowienoch ein paar Meilen oberhalb der Stadt hemmenEbbe und Flut in ihrem sechsstündigen Wechsel denschnellen Lauf des Flusses. Wenn die Meeresflut30 Meilen tief eindringt, drängt sie das Wasser desFlusses zurück und füllt sein Bett vollständig mitihren Wellen. Das Flußwasser nimmt dann nochein ganzes Stück weiter stromaufwärts den Salzgeschmackdes Meeres an; von da ab wird es allmählichwieder süß, fließt klar durch die Stadt unddrängt der bei Ebbe zurückströmenden Flut fast biszur Mündung rein und unvermischt nach.

Die Brücke, die Amaurotum mit dem gegenüberliegendenUfer verbindet, besteht nicht aus hölzernenPfeilern und Balken, sondern ist ein Steinbaumit einem wunderschönen Brückenbogen. Sie befindetsich an der Stelle, die vom Meere am weitestenentfernt ist, damit die Schiffe an dieser ganzenSeite der Stadt ungehindert entlangfahren können.

Es gibt dort noch einen anderen Wasserlauf, derzwar nur klein, aber recht ruhig und erfreulich ist.Er entspringt auf demselben Berge, auf dem die75Stadt liegt, fließt mitten durch sie und mündetin den Anydrus. Weil seine Quelle ein Stück außerhalbder Stadt liegt, haben sie die Amaurotanerringsum mit Befestigungen umgeben, die bis zurStadt reichen. So gehört die Quelle zur Stadt, undbeim Einbruch einer feindlichen Macht kann dasWasser nicht abgefangen und abgelenkt oder verdorbenwerden. Von dort aus leitet man es inRöhren aus gebranntem Stein in verschiedenen Richtungenzu den unteren Stadtteilen. Läßt das irgendwodie Beschaffenheit des Geländes nicht zu, sosammelt man in geräumigen Zisternen das Regenwasser,das dann den gleichen Dienst leistet.

Eine hohe und breite Mauer mit zahlreichen Türmenund Schutzwehren umgibt die Stadt auf allenSeiten; ein trockener, aber tiefer, breiter und durchDorngestrüpp unwegsamer Graben umzieht dieStadtmauer auf drei Seiten; auf der vierten dientder Fluß selbst als Wehrgraben.

Die Straßen sind ebenso zweckmäßig für den Wagenverkehrwie für den Windschutz angelegt. DieHäuser sind keineswegs unansehnlich; man übersiehtihre lange und längs der ganzen Straße ununterbrocheneReihe von der gegenüberliegenden Häuserfrontaus. Der Weg zwischen diesen beiden Frontenist 30 Fuß breit. An der Rückseite der Häuser ziehtsich die ganze Straße entlang eine breite Gartenanlagehin, die von der Rückseite anderer Häuserreiheneingezäunt ist.

Jedes Haus hat einen Eingang von der Straße herund eine Hintertür, die in den Garten führt. DieTüren haben zwei Flügel, lassen sich durch einenleisen Druck mit der Hand öffnen und schließen sich76dann von selbst wieder, so daß ein jeder ins Haushinein kann: so wenig ist irgendwo etwas Eigentumeines einzelnen; denn sogar die Häuser wechseltman alle zehn Jahre, und zwar verlost man sie.

Auf die erwähnten Gärten halten die Utopiergroße Stücke. In ihnen haben sie Wein, Obst, Gemüseund Blumen in solcher Pracht und Pflege, daßes alles übertrifft, was ich irgendwo an Fruchtbarkeitund gutem Geschmack gesehen habe. Ihren Eiferdabei sp*rnt nicht bloß ihr Vergnügen an der Gartenarbeitan, sondern auch der Wettstreit der Straßenzügein der Pflege der einzelnen Gärten. Undsicherlich wird man nicht leicht in der ganzen Stadtetwas finden, was für die Bürger nützlicher oderunterhaltsamer wäre, und, wie es scheint, hat deshalbauch der Gründer des Reiches auf nichts größereSorgfalt verwendet als auf derartige Gärten.

Wie es nämlich heißt, hat Utopus selber gleichvon Anfang an diesen ganzen Plan der Stadt festgelegt.Die Ausschmückung jedoch und den weiterenAusbau überließ er den Nachkommen in der Erkenntnis,daß ein Menschenalter dazu nicht ausreichenwerde. Daher steht in den Geschichtsbüchernder Utopier, die die Geschichte von 1760 Jahren seitEroberung der Insel umfassen, fleißig und gewissenhaftgeschrieben sind und von ihnen aufbewahrtwerden, die Häuser seien im Anfang niedrig gewesen,eine Art Baracken und Hütten, ohne Sorgfaltaus irgendwelchem Holz errichtet, die Wände mitLehm verschmiert, mit spitzen Giebeln und Strohdächern.Aber heutzutage ist jedes Haus ein stattlicherBau von drei Stockwerken; die Außenseiteder Wände besteht aus Granit oder einer anderen77harten oder auch gebrannten Steinmasse, die inwendigmit Schutt ausgefüllt wird. Die Dächersind flach und mit einer gewissen Stuckmasse belegt,die nicht teuer, aber so zusammengesetzt ist,daß sie nicht brennt und noch wetterfester als Bleiist. Vor den Winden schützen sich die Utopier durchFenster aus Glas, das dort sehr viel verwendet wird;bisweilen benutzen sie auch an dessen Stelle dünneLeinwand, die sie mit durchsichtigem Öl oder einerBernsteinmasse bestreichen. Das hat den doppeltenVorteil, daß mehr Licht und weniger Wind durchgelassenwird.

Die Obrigkeiten

Je dreißig Familien wählen sich alljährlich einenVorsteher; in der alten Landessprache heißt erSyphogrant, in der jüngeren Phylarch. Zehn Syphograntenmit ihren Familien unterstehen einemVorgesetzten, der jetzt Protophylarch genannt wird,in alten Zeiten aber Tranibore hieß. Schließlich ernennendie Syphogranten in ihrer Gesamtheit, zweihundertan der Zahl, auch den Bürgermeister. Nachdemsie sich eidlich verpflichtet haben, den nachihrer Ansicht Tüchtigsten zu wählen, ernennen sieauf Grund geheimer Abstimmung einen der vier Bürger,die ihnen das Volk namhaft macht, zum Bürgermeister;jedes Stadtviertel wählt nämlich einen undschlägt ihn dem Senat vor. Das Amt wird aufLebenszeit verliehen, wenn dem nicht der Verdachtentgegensteht, es gelüste den Inhaber nach Alleinherrschaft.Die Traniboren wählt man jährlich, dochwechselt man mit ihnen nicht ohne triftige Gründe.78Die übrigen Beamten werden alle auf ein Jahr gewählt.Alle drei Tage, im Bedarfsfalle bisweilen auchöfter, kommen die Traniboren mit dem Bürgermeisterzu einer Beratung zusammen, besprechen Stadtangelegenheitenund entscheiden rasch etwa vorliegendePrivatstreitigkeiten, die übrigens ganz seltensind. Zu den Senatssitzungen werden regelmäßigzwei Syphogranten hinzugezogen, die jeden Tagwechseln; dabei ist vorgesehen, daß keine städtischeAngelegenheit entschieden wird, über die nicht dreiTage vor der Beschlußfassung im Senat verhandeltworden ist. Außerhalb des Senats oder der Volksversammlungenüber allgemeine Angelegenheiten zuberaten, ist bei Todesstrafe verboten. Diese Bestimmungsoll eine tyrannische Unterdrückung desVolkes und eine Änderung der Verfassung durch eineVerschwörung des Bürgermeisters und der Traniborenerschweren. Und eben deshalb wird auch jede wichtigeAngelegenheit vor die Versammlungen der Syphograntengebracht; diese besprechen sie mit denFamilien, beraten dann unter sich und teilen ihreEntscheidung dem Senat mit. Zuweilen kommt dieSache vor den Rat der ganzen Insel. Auch ist eseine Gewohnheit des Senats, über einen Antrag nichtgleich an dem Tage zu beraten, an dem er zumersten Male eingebracht wird, sondern die Verhandlungauf die nächste Sitzung zu verschieben.Es soll nämlich niemand unbedachtsam mit dem herausplatzen,was ihm zuerst auf die Zunge kommt,und dann mehr auf die Verteidigung seiner Ansichtals auf das Interesse der Stadt bedacht sein.Auch soll niemand das Gemeinwohl der Erhaltungder guten Meinung von seiner Person opfern, in79einer Art sinnloser und verkehrter Scham, weil ersich nicht merken lassen will, daß er es im Anfangan der nötigen Voraussicht hat fehlen lassen, währender doch von vornherein darauf hätte bedachtsein müssen, lieber überlegt als rasch zu sprechen.

Die Handwerke

Ein Gewerbe betreiben alle, Männer und Frauenohne Unterschied: den Ackerbau, und auf ihn verstehtsich jedermann. Von Jugend auf werden siedarin unterwiesen, zum Teil durch Unterricht in denSchulen, zum Teil auch auf den Feldern in der Näheder Stadt, wohin man sie wie zu einem Spiele führt.Hier sehen sie der Arbeit nicht bloß zu, sondernüben sie auch aus und stärken bei dieser Gelegenheitzugleich ihre Körperkräfte.

Neben der Landwirtschaft, die, wie gesagt, allebetreiben, erlernt jeder noch irgendein Handwerkals seinen besonderen Beruf. Das ist in der Regelentweder die Tuchmacherei oder die Leinewebereioder das Maurer- oder das Zimmermanns- oder dasSchmiedehandwerk. In keinem anderen Berufe nämlichist dort eine nennenswerte Anzahl Menschenbeschäftigt. Denn der Schnitt der Kleidung ist, abgesehendavon, daß sich die Geschlechter sowie die Ledigenund die Verheirateten in der Tracht voneinanderunterscheiden, auf der ganzen Insel einheitlich undstets der gleiche in jedem Lebensalter, wohlgefälligfürs Auge, bequem für die Körperbewegung und vorallem für Kälte und Hitze berechnet. Diese Kleidungfertigt sich jede Familie selber an. Von den80obenerwähnten anderen Gewerben aber erlernt jedereins, und zwar nicht nur die Männer, sondern auchdie Frauen. Letztere jedoch, als die körperlichSchwächeren, üben nur die leichteren Gewerbe aus;in der Regel verarbeiten sie Wolle und Flachs; denMännern weist man die übrigen, mühsameren Beschäftigungenzu. Meistenteils erlernt jeder dasväterliche Handwerk; denn dazu neigen die meistenvon Natur. Hat aber jemand zu einem anderen BerufeNeigung, so nimmt ihn durch Adoption eineFamilie auf, die dasjenige Gewerbe betreibt, zu demer Lust hat. Dabei sorgen nicht nur sein Vater, sondernauch die Behörden dafür, daß er zu einemwürdigen und ehrbaren Familienvater kommt. Ja,wenn jemand ein Handwerk gründlich erlernt hatund noch ein anderes dazu erlernen will, so ist ihmdas auf demselben Wege möglich. Versteht er dannbeide, so übt er aus, welches er will, es sei denn,daß die Stadt eins von beiden nötiger braucht.

Die besondere und beinahe einzige Aufgabe derSyphogranten ist es, sich angelegentlich darum zukümmern, daß niemand untätig herumsitzt, sonderndaß jeder sein Gewerbe mit Fleiß betreibt, ohne sichjedoch, gleich einem Lasttiere, in ununterbrochenerArbeit vom frühesten Morgen an bis in die tiefeNacht abzumühen; denn das wäre eine mehr alssklavische Plackerei. Und doch ist das fast überalldas Los der Arbeiter, außer bei den Utopiern. Dieseteilen nämlich den Tag mitsamt der Nacht in vierundzwanziggleiche Stunden ein und kennen eineArbeitszeit von nur sechs Stunden. Drei Stundenarbeiten sie am Vormittag; danach essen sie zu Mittagund halten eine Rast von zwei Stunden. Dann81arbeiten sie wieder drei Stunden und beschließen denTag mit dem Abendessen. Da sie die erste Stundevon Mittag an rechnen, gehen sie gegen acht Uhr zuBett; acht Stunden brauchen sie zum Schlafen.

Über all die Zeit zwischen den Stunden der Arbeit,des Schlafes und des Essens darf ein jedernach seinem Belieben verfügen, nicht etwa um siedurch Schwelgerei und Trägheit schlecht auszunützen,sondern um die arbeitsfreie Zeit nach Herzenslustauf irgendeine andere Beschäftigung nutzbringendzu verwenden. Die meisten treiben in diesenPausen literarische Studien. Es herrscht nämlichder Brauch, täglich in den frühen Morgenstundenöffentliche Vorlesungen zu halten; zu ihrem Besuchesind diejenigen verpflichtet, die zu wissenschaftlicherArbeit namentlich ausgewählt sind. Aus jedemStande aber strömt eine gewaltige Menge Hörer,Männer wie Frauen, zu den Vorlesungen, die einenzu diesen, die anderen zu jenen, je nach ihren persönlichenNeigungen. Wenn jedoch einer auch dieseZeit lieber auf seine berufliche Tätigkeit verwendenwill, was bei vielen der Fall ist, deren Geistsich nicht zur Höhe wissenschaftlicher Betrachtungerhebt, so hindert man ihn nicht daran; er erntetvielmehr sogar noch Lob, weil er sich dem Staatenützlich macht.

Nach dem Abendessen verbringen die Utopier nocheine Stunde mit Spielen, während des Sommers inihren Gärten, während des Winters aber in jenenSälen, in denen sie gemeinsam essen. Entweder treibensie dort Musik, oder sie erholen sich in derUnterhaltung. Das Würfeln und andere solche ungehörigeund verderbliche Spiele sind ihnen nicht82einmal bekannt; üblich jedoch sind bei ihnen zweidem Schach nicht unähnliche Spiele. Das eine istder Zahlenkampf, bei dem die Zahlen einanderstechen; bei dem anderen kämpfen, in Schlachtreiheaufgestellt, die Tugenden mit den Lastern. In diesemSpiele zeigt sich sehr hübsch der Streit derLaster untereinander und ihre einmütige Verbundenheitgegen die Tugenden, ebenso welche Laster undTugenden einander entgegengesetzt sind, mit welchenKräften ferner die Laster offen gegen die Tugendenkämpfen und mit welchen Ränken und Listensie versteckt angreifen, mit welchen Hilfsmittelnanderseits die Tugenden die Kräfte des Lasters brechen,mit welchen Künsten sie ihre Versuchungenvereiteln und auf welche Weise endlich die eine oderdie andere Partei den Sieg davonträgt.

Um aber einer irrtümlichen Auffassung eurerseitsvorzubeugen, müssen wir an dieser Stelle einenPunkt genauer betrachten. Wenn die Utopier nämlichnur sechs Stunden arbeiten, könnte man vielleichtmeinen, es müsse das einen Mangel an dennotwendigen Gütern zur Folge haben. Aber geradedas Gegenteil ist der Fall. Diese Arbeitszeit genügtnicht nur, sondern wird nicht einmal ganz gebrauchtzur Produktion eines Vorrats an allem, was zu denBedürfnissen oder Annehmlichkeiten des Lebens gehört.Das werdet auch ihr einsehen, wenn ihr euchüberlegt, ein wie großer Teil des Volkes in anderenLändern untätig dahinlebt: erstens fast alle Frauen,also die Hälfte der Gesamtheit, oder wenn irgendwodie Frauen arbeiten, schnarchen dort meistens anihrer Stelle die Männer; außerdem dann die Priesterund die sogenannten frommen Männer, was für83eine große und faule Schar ist das! Nimm noch alldie Reichen und besonders die Grundbesitzer dazu,die man allgemein als Standespersonen und Edelleutebezeichnet! Zu ihnen rechne noch ihre Dienerschaft,jenen ganzen zusammengespülten Haufenvon Raufbolden und Windbeuteln! Vergiß schließlichauch die kräftigen und gesunden Bettler nicht,die ihren Müßiggang mit irgendeinem Gebrechenbemänteln, und die Zahl der Leute, die durch ihreTätigkeit für die gesamten Bedürfnisse der Sterblichensorgen, wirst du dann viel geringer finden,als du angenommen hast. Und nun überlege dir,wie wenige von diesen selbst mit wirklich notwendigenArbeiten beschäftigt sind! Da nämlich bei unsdas Geld der Maßstab für alles ist, müssen wir vielevöllig unnütze und überflüssige Gewerbe betreiben,die bloß der Verschwendung und der Genußsuchtdienen. Würde man nämlich diese ganze Masse,die jetzt im Arbeitsprozeß steht, nur auf dieso wenigen Gewerbe verteilen, die ein angemessenernatürlicher Bedarf erfordert, so würde eingroßer Überfluß an Waren entstehen, und diePreise würden notwendigerweise zu tief sinken,als daß die Handwerker ihren Lebensunterhalt davonbestreiten könnten. Aber wenn alle die, diejetzt ihre Kräfte in nutzloser Tätigkeit verzetteln,und wenn noch dazu der ganze Schwarm derer,die jetzt in Nichtstun und Trägheit erschlaffenund von denen jeder einzelne so viel von denProdukten verbraucht, die die Arbeitskraft andererliefert, wie zwei der Arbeiter, wenn man also allediese zu Arbeiten, und zwar zu nützlichen, verwendete,so würde, wie leicht einzusehen ist, ungemein84wenig Zeit mehr als reichlich genügen, um alles zubeschaffen, was zum Leben notwendig oder nützlichist; du kannst auch noch hinzusetzen, zum Vergnügen,soweit es echt und natürlich ist. Und das bestätigenin Utopien die Tatsachen selber. Denn dortsind in einer ganzen Stadt einschließlich ihrer nächstenUmgebung aus der Gesamtzahl der nach Alterund Kräften zur Arbeit tauglichen Männer undFrauen kaum fünfhundert von ihr befreit. Unterihnen sind die Syphogranten zwar nach dem Gesetzzur Arbeit nicht verpflichtet, sie machen aber vondieser Bestimmung keinen Gebrauch, um die anderendurch ihr Beispiel um so leichter zur Arbeit anzusp*rnen.Dieselbe Vergünstigung genießen diejenigen,denen das Volk auf Vorschlag der Priester und aufGrund geheimer Abstimmung der Syphograntendauernde Arbeitsbefreiung zur Durchführung ihrerStudien bewilligt. Erfüllt einer von ihnen die aufihn gesetzte Hoffnung nicht, so stößt man ihn wiederunter die Handarbeiter zurück. Nicht selten trittaber auch das Gegenteil ein, daß nämlich ein Handwerkerjene freien Stunden so eifrig auf das Studiumverwendet und durch seinen Fleiß so großeFortschritte macht, daß man ihn von der Handarbeitbefreit und in die Klasse der Gebildeten aufrückenläßt. Aus deren Stande nimmt man die Gesandten,Priester, Traniboren und schließlich den Bürgermeisterselber, den die Utopier in ihrer alten SpracheBarzanes und in ihrer jüngeren Ademus nennen.Da nun fast die ganze übrige Masse des Volkesweder untätig noch mit unnützen Gewerben beschäftigtist, kann man leicht ermessen, in wie wenigenStunden viel nützliche Arbeit geleistet wird.

85Zu dem von mir Erwähnten kommt für die Utopiernoch die Erleichterung hinzu, daß bei ihnen diemeisten unentbehrlichen Gewerbe weniger Arbeit alsbei anderen Völkern erfordern. Erstens nämlich istbei diesen zum Bau oder zur Ausbesserung von Gebäudendeshalb so vieler Hände Arbeit dauernd notwendig,weil der zu wenig wirtschaftliche Erbe dasHaus, das sein Vater erbaut bat, allmählich verfallenläßt. Was er mit ganz geringen Kosten hätte erhaltenkönnen, muß sein Nachfolger mit großen Kostenerneuern. Ja, häufig sagt auch ein Haus, dasdem einen ungeheuer viel Geld gekostet hat, demverwöhnten Geschmack des anderen nicht zu. Dasich dieser nicht darum kümmert, verfällt es in kurzerZeit, und sein Besitzer baut sich an andererStelle ein neues Haus für nicht weniger Geld. Aberbei den Utopiern kommt es, dank der allgemeinenOrdnung und dank ihrer Verfassung, nur ganz seltenvor, daß man einen neuen Platz für den Bau einesHauses sucht. Und sie beheben nicht nur rasch dievorhandenen Schäden, sondern beugen auch drohendenvor. Infolgedessen bleiben ihre Gebäude beiganz geringem Aufwand an Arbeit überaus langeerhalten, und die Bauhandwerker haben bisweilenkaum etwas zu tun, außer daß sie angewiesen werden,daheim Bauholz zu bearbeiten und bisweilenSteine quadratisch zu behauen und fertigzumachen,damit gegebenenfalls ein Haus schnellerhochkommt.

Beachte ferner, wie wenig Arbeit zur Anfertigungder Kleidung der Utopier erforderlich ist! Zunächsttragen sie bei der Arbeit einfach Leder oder Felle,die bis zu sieben Jahren halten. Beim Ausgehen86ziehen sie einen mantelähnlichem Rock über, derjene gröberen Unterkleider verdeckt. Diese Röckehaben auf der ganzen Insel die gleiche Farbe, undzwar die Naturfarbe des Stoffes. Die Utopier verbrauchenalso nicht bloß viel weniger wollenesTuch, als das anderswo der Fall ist, sondern derStoff kostet ihnen auch viel weniger. Aber noch wenigerArbeit macht die Herstellung von Leinwand, unddeshalb trägt man sie auch noch mehr. Beim Leinensieht man nur auf Weiße, bei der Wolle nur aufSauberkeit; feinere Webart wird gar nicht bezahlt.Und während sonst nirgends einer Person vier oderfünf wollene Oberkleider von verschiedener Farbeund ebenso viele Untersachen aus Seide genügen –etwas eleganteren Leuten nicht einmal zehn –, begnügtsich hier in Utopien ein jeder mit nur einemAnzug, und zwar zumeist für zwei Jahre. Warumsollte sich dort jemand auch mehr Kleidung wünschen?Wenn er sie nämlich bekäme, wäre er wederbesser vor der Kälte geschützt, noch würde er inseiner Kleidung auch nur um ein Haar hübscheraussehen.

Da die Utopier also alle in nützlichen Gewerbenbeschäftigt sind und diese selbst auch eine geringereArbeitszeit erfordern, braucht man sich nicht zuwundern, daß bisweilen alle Erzeugnisse im Überflußvorhanden sind. Dann führt man eine ungeheureMenge Arbeiter zur Ausbesserung öffentlicherStraßen, die schadhaft geworden sind, ausder Stadt hinaus; sehr oft setzt man aber auch, wennsich keinerlei Arbeit der Art nötig macht, die Arbeitszeitvon Staats wegen herab. Die Behördenzwingen nämlich die Bürger nicht zu unnötiger Arbeit;87denn die Einrichtung dieses Staates hat daseine Hauptziel im Auge, soweit es die dringendenBedürfnisse des Staates erlauben, den Sklavendienstdes Körpers nach Möglichkeit einzuschränken, damitdie dadurch gewonnene Zeit auf die freie Ausbildungdes Geistes verwendet werden kann. Darinliegt nämlich nach ihrer Ansicht das Glück dasLebens.

Der Verkehr der Utopier miteinander

Doch glaube ich nunmehr darlegen zu müssen, aufwelche Weise die Bürger miteinander verkehren,welche inneren wirtschaftlichen Beziehungen bestehenund wie die Verteilung der Güter vor sichgeht.

Die Bürgerschaft besteht also aus Familien, diezumeist aus Verwandten zusammengesetzt sind. Dennsobald die Frauen körperlich reif sind, werden sieverheiratet und ziehen dann in die Wohnungen ihrerMänner. Dagegen verbleiben die Söhne und derenmännliche Nachkommen in ihren Familien und unterstehender Gewalt des Familienältesten, soweit diesernicht infolge seines Alters kindisch gewordenist; dann tritt der Nächstälteste an seine Stelle. Umaber eine zu starke Abnahme oder eine übermäßiggroße Zunahme der Bevölkerung zu verhindern, darfkeine Familie, deren es in jeder Stadt – die in demzugehörigen Landbezirk nicht mitgerechnet – 6000gibt, weniger als zehn und mehr als sechzehn Erwachsenehaben; die Zahl der Kinder kann man janicht im voraus festsetzen. Diese Bestimmung läßtsich mit Leichtigkeit aufrechterhalten, indem man88die überzähligen Mitglieder der übergroßen Familienin zu kleine versetzt.

Sollte aber einmal eine ganze Stadt mehr Einwohnerhaben, als sie haben darf, so füllt man mitdem Überschuß die Einwohnerzahl geringer bevölkerterStädte des Landes auf. Wenn aber etwa dieMenschenmasse der ganzen Insel mehr als billiganschwellen sollte, so bestimmt man aus jeder Stadtohne Ausnahme Bürger, die auf dem nächstgelegenenFestlande überall da, wo viel überflüssigesAckerland der Eingeborenen brachliegt, eine Kolonienach ihren heimischen Gesetzen einrichtenunter Hinzuziehung der Einwohner des Landes, fallssie mit ihnen zusammenleben wollen. Mit diesen zugleicher Lebensweise und zu gleichen Sitten vereint,verwachsen sie dann leicht miteinander, unddas ist für beide Völker von Vorteil. Sie erreichenes nämlich durch ihre Einrichtungen, daß ein Land,das vorher dem einen Volke zu klein und unergiebigerschien, jetzt für beide Völker mehr als genug hervorbringt.Diejenigen Eingeborenen aber, die es ablehnen,nach den Gesetzen der Kolonisten zu leben,vertreiben diese aus dem Gebiet, das sie selber fürsich in Anspruch nehmen, und gegen die, die Widerstandleisten, greifen sie zu den Waffen. Denndas ist nach Ansicht der Utopier der gerechtesteKriegsgrund, wenn irgendein Volk die Nutznießungund den Besitz eines Stückes Land, das es selbstnicht nutzt, sondern gleichsam zwecklos und unbebautin Besitz hat, anderen untersagt, denen es nachdem Willen der Natur ihren Lebensunterhalt liefernsoll. Wenn aber einmal infolge eines Unglücksfallesdie Einwohnerzahl einiger ihrer Städte so89sehr sinken sollte, daß sie aus anderen Teilen derInsel unter Wahrung der Größe einer jeden Stadtnicht wieder ergänzt werden kann – wie es heißt,ist das seit Menschengedenken nur zweimal infolgeeiner heftig wütenden Seuche der Fall gewesen –,so läßt man die Bürger aus der Kolonie zurückkommenund füllt mit ihnen die Einwohnerzahl derStädte wieder auf. Die Utopier sehen es nämlichlieber, daß ihre Kolonien eingehen, als daß die Einwohnerzahleiner der Städte ihrer Insel zurückgeht.

Doch ich komme auf das Zusammenleben der Bürgerzurück. Der Älteste ist, wie gesagt, das Oberhauptder Familie. Die Frauen dienen ihren Männern,die Kinder ihren Eltern und so überhaupt dieJüngeren den Älteren.

Jede Stadt zerfällt in vier gleiche Teile. In derMitte eines jeden befindet sich ein Markt für alleArten von Waren. Dorthin schafft man die Arbeitserzeugnisseeiner jeden Familie in bestimmte Häuser,und die einzelnen Warengattungen sind gesondertauf Speicher verteilt. Jeder Familienvater verlangtdort, was er selbst und die Seinen brauchen,und nimmt alles, was er haben will, mit, und zwarohne Bezahlung und überhaupt ohne jede Gegenleistung.Warum sollte man ihm nämlich auch etwasverweigern? Alles ist ja im Überfluß vorhanden,und man braucht nicht zu befürchten, daß jemanddie Absicht hat, mehr zu verlangen, als er braucht.Denn warum sollte man annehmen, es werde jemandüber seinen Bedarf hinaus fordern, wenn er sicherist, daß es ihm niemals an etwas fehlen wird? Werdendoch bei jedem Lebewesen Habsucht und Raubgierdurch die Furcht vor Mangel hervorgerufen90und beim Menschen allein außerdem noch durchStolz, da er es sich zum Ruhme anrechnet, durchein Prahlen mit überflüssigen Dingen die anderenzu übertreffen; für diese Art Fehler ist in den Einrichtungender Utopier überhaupt kein Platz.

Mit den erwähnten Märkten sind andere für Lebensmittelverbunden; auf diese bringt man außerGemüse, Obst und Brot auch Fische und Fleisch.Die Tiere sind außerhalb der Stadt auf geeignetenPlätzen, wo man Blut und Schmutz in fließendemWasser abwaschen kann, von Sklaven getötet undgereinigt worden. Die Bürger sollen sich nämlichnicht an das Schlachten von Tieren gewöhnen, weilman der Ansicht ist, die Gewöhnung an diese Tätigkeitertöte allmählich das Mitleid, den edelstenZug unseres Wesens. Auch soll nichts Schmutzigesund Unreines in die Stadt gebracht werden, dessenFäulnis die Luft verpesten und eine Krankheit einschleppenkönnte.

Außerdem stehen in jeder Straße, gleichweit voneinanderentfernt, einige geräumige Hallen, vondenen jede ihren eigenen Namen hat. Hier wohnendie Syphogranten, und jeder dieser Hallen sinddreißig Familien zugeteilt, auf jeder Seite fünfzehn,die dort ihre Mahlzeiten einzunehmen haben. DieKücheneinkäufer einer jeden Halle finden sich zueiner bestimmten Stunde auf dem Markte ein, meldendie Zahl der Esser und fordern die Lebensmittelan. In erster Linie berücksichtigt man bei dieser Verteilungdie Kranken, die in den öffentlichen Krankenhäuserngepflegt werden. Im Stadtbezirk gibt esnämlich vier, ein Stück von der Stadt entfernt; siesind so geräumig, daß man sie für ebenso viele91kleine Städte halten könnte. Dadurch ist es möglich,eine auch noch so große Zahl Kranker ohneMangel an Raum und deshalb bequem unterzubringensowie die an ansteckenden Krankheiten Leidendenvon den anderen recht weit zu entfernen. DieseKrankenhäuser sind so eingerichtet und mit allem,was zur Gesundheitspflege gehört, so reichlich ausgestattet,die Pflege ist so rücksichtsvoll und gewissenhaft,und die erfahrensten Ärzte sind so unermüdlichtätig, daß, wenn auch niemand gegenseinen Willen dort Aufnahme findet, doch wohl jederin der Stadt im Krankheitsfalle lieber im Krankenhausals daheim liegt.

Nachdem der Einkäufer für die Kranken die Lebensmittelnach ärztlicher Vorschrift empfangen hat,verteilt man weiterhin das Beste gleichmäßig aufdie Hallen je nach deren Kopfzahl. Nur auf denBürgermeister, den Oberpriester und die Traniborennimmt man besondere Rücksicht sowie auf Gesandteund alle etwa anwesenden Ausländer. Dochsind letztere nur vereinzelt und selten zu sehen;aber auch für sie stehen, wenn sie sich im Landeaufhalten, bestimmte Wohnungen eingerichtet bereit.

In den erwähnten Hallen findet sich die gesamteSyphograntie, durch den Klang einer ehernen Trompeteaufgefordert, zu den festgesetzten Stunden desMittags- und Abendessens ein, mit Ausnahme derin den Hospitälern oder daheim liegenden Kranken.Indes darf sich jedermann, wenn der Bedarfder Hallen gedeckt ist, Lebensmittel vom Markt mitnach Hause geben lassen; man weiß nämlich, daßdas niemand ohne Grund tun wird. Denn wenn esauch keinem verwehrt ist, zu Hause zu essen, so92tut das doch niemand gern, da es für unanständiggilt und töricht wäre, sich mühsam ein schlechtesMahl zuzubereiten, während in der Halle ganz inder Nähe ein reichliches und ausgezeichnetes Essenzu haben ist. In einer solchen Halle verrichten Sklavenalle schmutzigeren und mühsameren Arbeiten,dagegen besorgen das Kochen und Zubereiten derSpeisen sowie die Vorbereitung des ganzen Mahlesausschließlich die Frauen der einzelnen Familien,und zwar abwechselnd.

Je nach der Zahl der Esser speist man an dreioder mehr Tischen. Die Männer haben ihre Plätzean der Wand, die Frauen dagegen an der Außenseiteder Tische. So können sie, wenn es ihnen plötzlichübel wird, was bei Schwangeren bisweilen vorkommt,ohne Störung der Tischordnung aufstehenund zu den stillenden Müttern gehen. Diese sitzennämlich mit ihren Säuglingen für sich in einembesonders zu diesem Zweck bestimmten Speiseraum,wo es nie an Feuer und reinem Wasser fehlt; auchsind dort Wiegen vorhanden, so daß die Mütter ihreKleinen niederlegen oder, wenn sie wollen, amFeuer aus den Windeln nehmen, sich frei bewegenlassen und mit ihnen spielen können, damit sie wiederfrisch und munter werden. Jede Mutter stillt ihrKind selber, soweit das nicht Tod oder Krankheitunmöglich macht. Tritt dieser Fall ein, so besorgendie Frauen der Syphogranten rasch eine Amme;und das ist bald geschehen; denn die Frauen, diedazu imstande sind, bieten sich zu keiner Verrichtunglieber an, da solches Mitleid allgemeines Lobfindet und der Säugling später in der Amme seineMutter sieht.

93In der Ammenstube sitzen auch alle Kinder unterfünf Jahren; die übrigen Unmündigen – dazu rechnetman die noch nicht Heiratsfähigen beiderleiGeschlechts – bedienen entweder bei Tisch oder,soweit sie noch zu jung dazu sind, stehen sie dochdabei, und zwar in tiefstem Schweigen. Sie essen,was ihnen die am Tische Sitzenden reichen, undhaben keine besondere Tischzeit. Am ersten Tischin der Mitte sitzen der Syphogrant und seine Frau.Das ist der oberste Platz, von dem aus man die gesamteGesellschaft übersieht; denn dieser Tisch stehtim obersten Teile des Speisesaales quer. An den Syphograntenund seine Frau schließen sich zweider Ältesten an; an allen Tischen sitzt man nämlichzu viert. Falls aber ein Tempel in der betreffendenSyphograntie liegt, sitzen der Priester undseine Frau so mit dem Syphogranten zusammen,daß sie den Vorsitz führen. Auf beiden Seiten folgendann Jüngere, danach wieder Greise; auf dieseWeise sitzen im ganzen Saale die Gleichaltrigennebeneinander und doch auch mit anderen Altersstufenzusammen. Wie es heißt, hat man diese Einrichtungdeshalb getroffen, damit die Würde derAlten und die Ehrfurcht vor ihnen die Jüngeren vonungehöriger Ausgelassenheit in Rede und Benehmenabhält; denn nichts, was bei Tische gesprochen odergetan wird, kann den Nachbarn ringsum entgehen.Die einzelnen Gänge werden nicht vom ersten Platzeaus der Reihe nach gereicht, sondern die bestenGerichte werden immer zuerst allen Älteren vorgesetzt,deren Plätze besonders kenntlich sind; danachbedient man die übrigen ohne Unterschied.Jedoch geben die Greise von ihren Leckerbissen94ganz nach Belieben den Umsitzenden ab; um sienämlich im ganzen Saale in genügender Menge zuverteilen, sind es nicht genug. Auf diese Weise bleibtden Älteren die ihnen zukommende Ehre gewahrt,und trotzdem wird der Allgemeinheit die gleicheBevorzugung zuteil.

Zu Beginn einer jeden Mittags- und Abendmahlzeitwird ein Text moralischen Inhalts vorgelesen,der jedoch nur kurz ist, damit man der Sache nichtüberdrüssig wird. Im Anschluß daran führen die Älterenehrbare Gespräche, die weder trocken noch ohneWitz sind. Indessen halten sie nicht etwa währenddes ganzen Essens lange Reden; sie hören vielmehrauch den jungen Leuten gern zu. Ja, sie veranlassensie absichtlich zum Reden, um von dem Charakterund Geist eines jeden einen Begriff zu bekommen,wenn er sich in der bei einem Mahle herrschendenUngebundenheit offenbart. Die Mittagsmahlzeitensind ziemlich schlicht, die Abendmahlzeitendagegen reichlicher; denn auf jene folgt Arbeit, aufdiese Schlaf und nächtliche Ruhe, und diese hilftnach Ansicht der Utopier besser verdauen. Bei keinemAbendessen fehlt es an Musik, und bei jedemNachtisch gibt es allerlei Leckereien. Auch verbrenntman Räucherwerk, verspritzt wohlriechendesSalböl und bietet alles auf, um die Tischgenossenzu erheitern. Die Utopier neigen nämlich viel zusehr zu solcher Fröhlichkeit, um ein Vergnügen,das keinen Schaden anrichtet, für verboten zuhalten.

Derart also ist das gesellige Leben in der Stadt;auf dem Lande dagegen, wo man weiter auseinanderwohnt, ißt jeder für sich zu Hause. Dort fehlt es95nämlich keiner Familie an irgend etwas zum Leben;denn die Leute auf dem Lande sind es ja, die allesdas liefern, wovon die Städter leben.

Die Reisen der Utopier

Wer das Verlangen haben sollte, seine Freundein einer anderen Stadt zu besuchen oder sich auchnur den Ort selbst anzusehen, erhält von seinemSyphogranten und Traniboren mit Leichtigkeit dieErlaubnis dazu, wenn er irgendwie abkömmlich ist.Man schickt dann eine gewisse Anzahl Urlauberzusammen ab und gibt ihnen ein Schreiben des Bürgermeistersmit, in dem die Reisegenehmigung bestätigtund der Tag der Rückkehr vorgeschrieben ist.Die Reisenden bekommen einen Wagen mit einemstaatlichen Sklaven gestellt, der das Ochsengespannführen und besorgen muß; wenn sie aber nicht geradeFrauen bei sich haben, weisen sie den Wagenals lästig und hinderlich zurück. Obgleich sie auf derganzen Reise nichts mit sich führen, fehlt es ihnendoch an nichts; sie sind ja überall zu Hause. Solltensie sich irgendwo länger als einen Tag aufhalten, soübt jeder daselbst sein Gewerbe aus und wird vonseinen Handwerksgenossen aufs freundlichste behandelt.

Wenn sich aber jemand außerhalb seines Wohnbezirkseigenmächtig herumtreiben und ohne amtlichenUrlaubsschein aufgegriffen werden sollte,so betrachtet man ihn als Ausreißer, bringt ihnmit Schimpf und Schande in die Stadt zurück undzüchtigt ihn streng; im Wiederholungsfalle büßt96er mit dem Verlust seiner Freiheit. Wenn aberjemanden die Lust anwandeln sollte, auf seinen heimatlichenFluren spazierenzugehen, so hindert ihnniemand daran, vorausgesetzt, daß er die Erlaubnisseines Hausvaters und die Einwilligung seiner Frauhat. Wohin er aber auch aufs Land kommt, nirgendsgibt man ihm etwas zu essen, ehe er nicht dasdort vor dem Mittags- oder Abendessen üblicheArbeitspensum erledigt hat; unter dieser Bedingungkann er ganz nach Belieben innerhalb des Gebietesseiner Stadt spazierengehen. Wird er sich doch aufdiese Weise der Stadt ebenso nützlich machen, alswenn er sich in ihr selber aufhielte.

Ihr seht schon, in Utopien gibt es nirgends eineMöglichkeit zum Müßiggang oder einen Vorwandzur Trägheit. Keine Weinschenken, keine Bierhäuser,nirgends ein Bordell, keine Gelegenheit zur Verführung,keine Schlupfwinkel, keine Stätten der Liederlichkeit;jeder ist vielmehr den Blicken der Allgemeinheitausgesetzt, die ihn entweder zur gewohntenArbeit zwingt oder ihm nur ein ehrbaresVergnügen gestattet.

Diese Lebensführung des Volkes hat notwendigeinen Überfluß an jeglichem Lebensbedarf zur Folge,und da alle gleichmäßig daran teilhaben, ist esganz natürlich, daß es Arme oder gar Bettler überhauptnicht geben kann. Im Senat von Mentiranum,wo sich, wie erwähnt, alljährlich drei Abgeordneteaus jeder Stadt einfinden, stellt man zunächstfest, wovon es in den einzelnen Bezirkeneinen Überschuß gibt und worin irgendwo der Ertragzu gering gewesen ist. Dann gleicht man alsbaldden Mangel der einen Bezirke durch den Überfluß97der anderen aus, und zwar geschieht das unentgeltlich,ohne daß die Geber von den Empfängerneine Entschädigung erhalten. Dafür aber, daß eineStadt irgendeiner anderen aus ihren Beständen ohneGegenforderung liefert, erhält sie auch wieder, wassie braucht, von einer Stadt, der sie nichts gegebenhat. So bildet die ganze Insel gleichsam eine einzigeFamilie.

Nachdem aber die Utopier sich selbst zur Genügemit Vorräten versorgt haben, was nach ihrer Ansichterst dann der Fall ist, wenn sie wegen der Unsicherheitdes Ertrags im darauffolgenden Jahre füreinen Zeitraum von zwei Jahren vorgesorgt haben,führen sie aus dem Überschuß eine große MengeGetreide, Honig, Wolle, Leinen, Holz, Scharlach-und Purpurfarben, Felle, Wachs, Seife, Leder sowieaußerdem Vieh in andere Länder aus. Von demallen schenken sie ein Siebentel den Armen des betreffendenLandes, den Rest aber verkaufen sie zumäßigem Preise. Dieser Handel bringt ihnen nicht nurdiejenigen Waren ins Land, an denen es ihnen fehlt –das ist aber fast nichts weiter als Eisen –, sondernaußerdem eine große Menge Silber und Gold. Weil siedas schon lange so halten, haben sie an diesen Metallenüberall einen unglaublich großen Überfluß. Daherlegen sie jetzt auch nicht sonderlich viel Gewicht darauf,ob sie gegen bar oder auf Kredit verkaufen undden bei weitem größten Teil ihrer Forderungen alsAußenstände haben. Doch lehnen sie bei der Ausstellungvon Schuldscheinen die Bürgschaft von Privatpersonenregelmäßig ab und verlangen immer aufGrund formell ausgestellter Scheine die Bürgschaftder Stadt. Diese zieht dann am Zahltage den Betrag98von den Privatschuldnern ein, legt ihn in die Stadtkasseund hat bis zu seiner Anforderung durch die Utopierden Zinsgenuß. Diese verlangen aber niemals dengrößten Teil zurück; nach ihrer Ansicht ist es nämlicheine Ungerechtigkeit, anderen etwas wegzunehmen,was für sie von Nutzen ist, ihnen selbst aberkeinen Nutzen bringt. Wenn sie dagegen erforderlichenfallseinen Teil des betreffenden Geldes einemanderen Volke leihen wollen, so verlangen sie esdann erst zurück oder auch, wenn sie selbst Kriegführen müssen. Für diesen einen Zweck nämlichheben sie jenen gesamten Schatz, den sie im Landehaben, auf, um an ihm in äußerster oder plötzlicherGefahr einen Rückhalt zu haben, vor allem aber, umdamit für unmäßig hohen Sold ausländische Soldatenanzuwerben; denn diese setzen sie lieber derGefahr aus als ihre eigenen Bürger. Außerdem wissensie, daß in der Regel die Feinde selber mit vielGeld sich kaufen und gegeneinander hetzen lassen,sei es durch Verrat oder auch durch Entzweiung. Ausdiesem Grunde sorgen die Utopier für einen Staatsschatzvon unermeßlichem Werte. Er ist aber inihren Augen kein eigentlicher Schatz; sie halten esdamit vielmehr so, daß ich mich in der Tat schäme,es zu erzählen, weil ich fürchten muß, man wirdmeinen Worten nicht glauben. Und meine Befürchtungist um so berechtigter, je mehr ich mir bewußtbin, wie schwer man mich selbst dazu hättebringen können, es einem anderen zu glauben, wennich es nicht persönlich erlebt hätte. Es kann ja garnicht anders sein, als daß etwas um so wenigerGlauben findet, je mehr es von den Bräuchen derZuhörer abweicht. Da freilich auch die übrigen Einrichtungen99der Utopier so wesentlich anders als dieunsrigen sind, wird sich ein kluger Beurteiler derDinge vielleicht weniger wundern, wenn sie auchGold und Silber auf eine Weise benutzen, diemehr ihrem eigenen als unserem Brauche entspricht.Da die Utopier nämlich selber kein Geld verwenden,sondern es nur für einen Fall aufsparen, der ebensoguteintreten wie nicht eintreten kann, so schätztniemand von ihnen Gold und Silber, woraus dasGeld gemacht wird, höher, als es ihrem natürlichenWerte angemessen ist. Wer sieht da nicht, wie weitdort Gold und Silber unter dem Eisen stehen! Undin der Tat ist Eisen für die Menschheit ebensolebensnotwendig wie Wasser und Feuer, währendweder Gold noch Silber von Natur einen Vorzug besitzt,den wir nicht mit Leichtigkeit entbehren könnten;nur halten es die Menschen in ihrer Torheitwegen seines seltenen Vorkommens für so besonderswertvoll. Und dabei hat doch im Gegenteil die Natur,wie eine überaus gütige Mutter, uns gerade ihrebesten Gaben offen und frei vor Augen gestellt, wiedie Luft, das Wasser und die Erde selbst, das Nichtigeund Unnütze dagegen sehr weit entrückt. Würdenun Gold und Silber bei den Utopiern in irgendeinemTurme versteckt, so könnte der törichte Argwohnder großen Masse den Bürgermeister und denSenat verdächtigen, sie wollten das Volk auf hinterlistigeWeise betrügen, um selber irgendwelchen Vorteildaraus zu ziehen. Wenn sie ferner Schalen und anderederartige Schmiedearbeiten aus Gold und Silberherstellen ließen, so könnte einmal der Fall eintreten,daß man sie wieder einschmelzen und zur Soldzahlungan die Truppen verwenden müßte, und100natürlich würden dann die Besitzer der Gegenstände,das sehen sie ein, sich nur ungern wiederentreißen lassen, woran sie allmählich Freude gefundenhaben. Um es zu alledem nicht kommen zulassen, haben sich die Utopier ein Mittel ausgedacht,das mit ihren übrigen Einrichtungen ebensoübereinstimmt, wie es von den unsrigen stark abweicht,da ja bei uns Gold so hoch geschätzt undso sorgfältig aufbewahrt wird, und das deshalb nurdenen, die es aus Erfahrung kennen, glaubhaft erscheint.Während sie nämlich zum Essen und Trinkennur Gefäße aus Ton und Glas benutzen, die zwarsehr hübsch aussehen, aber trotzdem billig sind,fertigen sie aus Gold und Silber nicht bloß für dieGemeinschaftshallen, sondern auch für die Privathäuserallenthalben Nachtgeschirre und sonstige zuganz gewöhnlichem Gebrauch bestimmte Gefäße an.Außerdem stellen sie aus denselben Metallen Kettenund starke Fußfesseln zur Bestrafung der Sklavenher, und schließlich hängen von den Ohren derer,die durch irgendein Verbrechen ihre Ehre verlorenhaben, goldene Ringe herab; man steckt ihnen goldeneRinge an die Finger, hängt ihnen eine goldeneHalskette um und legt einen goldenen Reif um ihrenKopf. So sorgen die Utopier mit allen Mitteln dafür,daß Gold und Silber bei ihnen in Verruf kommt,und so erklärt es sich auch, daß in Utopien bei einersich etwa nötig machenden Ablieferung alles Goldesund Silbers, dessen gewaltsame Wegnahme denanderen Völkern fast ebensolche Schmerzen bereitet,als wenn man ihnen die Eingeweide auseinanderrisse,niemand glauben würde, auch nur einen Hellereinzubüßen.

101Außerdem sammeln die Utopier an den KüstenPerlen, in gewissen Felsen sogar Diamanten undKarfunkel. Doch suchen sie nicht danach, sondernnur, was sie zufällig finden, schleifen sie. Damitputzen sie ihre kleinen Kinder. In ihren ersten Lebensjahrenprahlen diese gern mit solchem Schmuckund sind stolz darauf; sobald sie aber ein wenigälter werden und merken, daß sich nur Kinder mitderartigem Tand abgeben, legen sie diesen Schmuckab, und zwar ohne besondere Ermahnung von seitenihrer Eltern, sondern einfach, weil sie sich seinerschämen, genau so wie bei uns die Kinder, wenn sieerst größer werden, von ihren Nüssen, Knöpfen undPuppen nichts mehr wissen wollen.

Wie stark aber diese Lebensgewohnheiten derUtopier, die von denen der übrigen Völker so sehrabweichen, ihr ganzes Empfinden verändern, ist mirniemals so klar zum Bewußtsein gekommen wie beieiner Gesandtschaft der Anemolier. Diese kam nachAmaurotum, als ich gerade dort war, und da wichtigeFragen zur Verhandlung standen, waren schonvor ihr jene früher erwähnten drei Abgeordnetenaus jeder Stadt eingetroffen. Nun waren allen Gesandtender Nachbarvölker, die schon früher dorthingekommen waren, die Sitten der Utopier bekannt.Sie wußten, daß prunkvolle Kleidung dortdurchaus nicht angesehen war, daß man Seide geradezuverachtete und daß Goldschmuck sogar inüblen Ruf brachte. Deshalb hatten sie sich darangewöhnt, in möglichst bescheidener Kleidung zu erscheinen.Die Anemolier aber wohnten weiter entferntvon den Utopiern und hatten deshalb wenigerVerkehr mit ihnen unterhalten. Als sie nun hörten,102die Utopier trügen alle die gleiche grobe Tracht,waren sie überzeugt, sie trieben deshalb keinen Aufwand,weil es ihnen an den nötigen Mitteln dazufehle, und beschlossen daher, mehr eitel als klug,prächtig wie Götter herausgeputzt aufzutreten unddie Augen der armseligen Utopier durch den Glanzihrer prunkvollen Kleidung zu blenden. So zogendenn die drei Gesandten an der Spitze eines Gefolgesvon dreihundert Mann in die Stadt ein, alle inbunter, die meisten in seidener Kleidung, die Gesandtenselbst – sie gehörten nämlich daheim zumAdel – in golddurchwirkten Gewändern, mit großenHalsketten und Ohrringen aus Gold, an denFingern goldene Ringe, die Filzkappen mit Bänderngeschmückt, die von Perlen und Edelsteinen funkelten,kurz, mit all den Dingen geputzt, die beiden Utopiern Strafen für Sklaven oder SchandmaleEhrloser oder Spielzeug kleiner Kinder sind. Undso lohnte es sich der Mühe zu sehen, wie den Anemoliernder Kamm schwoll, als sie ihren Prunk mitder Kleidung der Utopier verglichen; die Bevölkerungwar nämlich in Menge auf die Straßen geströmt.Anderseits aber machte es nicht wenigerSpaß zu beobachten, wie gründlich sie sich in ihrerHoffnung und Erwartung getäuscht sahen und wiewenig sie den Eindruck machten, mit dem sie gerechnethatten. Denn in den Augen aller Utopier,nur einige ganz wenige ausgenommen, die beiirgendeiner passenden Gelegenheit ins Ausland gekommenwaren, war jener ganze glänzende Aufwandeine Schmach. Sie grüßten gerade die Niedrigstenan Stelle ihrer Herren mit Ehrerbietung,die Gesandten selbst aber hielten sie wegen ihrer103goldenen Ketten für Sklaven und ließen sie vorübergehen,ohne ihnen überhaupt eine Ehrenbezeigung zuerweisen. Ja, auch die Knaben hättest du sehen sollen,die ihre Edelsteine und Perlen schon längst weggeworfenhatten. Beim Anblick der Edelsteine anden Filzkappen der Gesandten riefen und stießen sieihre Mütter an und sagten: »Sieh doch, Mutter, wasfür ein großer Schelm da noch die Perlen und Edelsteinchenträgt, als wenn er ein kleines Kind wäre!«Und die Mutter erwiderte gleichfalls ganz ernsthaft:»Sei still, mein Junge! Das wird einer von denNarren der Gesandten sein.« Andere wieder bemängeltendie goldenen Ketten: sie seien zu nichts zubrauchen, weil sie so dünn seien, daß der Sklave siemit Leichtigkeit zerbrechen könne; anderseits wiederseien sie so locker, daß er sie, wenn er Lusthabe, abschütteln und ungehindert und frei ausreißenkönne, wohin er wolle.

Die Gesandten hatten sich erst ein paar Tage inAmaurotum aufgehalten und schon eine UnmengeGold in niedrigster Verwendung gesehen; auch hattensie gemerkt, daß das Gold hier ebenso geringwie bei ihnen daheim hochgeschätzt wurde; außerdemsahen sie in den Ketten und Fußfesseln eineseinzigen Sklaven, der flüchtig geworden war, mehrGold und Silber zusammen verarbeitet, als die gesamteAusstattung der drei Gesandten wert war.Da ließen sie die Flügel hängen und legten beschämtjenen ganzen Aufputz ab, mit dem sie sichin so anmaßender Weise gebrüstet hatten, vor allemaber, nachdem sie durch vertrautere Unterhaltungmit den Utopiern ihre Sitten und Anschauungen kennengelernthatten. Sind doch diese ganz verwundert104darüber, wie einem Menschen das unsichere Gefunkeleines dürftigen Juwels oder Edelsteinchensüberhaupt Freude machen kann, während er irgendeinenStern und schließlich die Sonne selbst anschauendarf, und wie jemand so albern sein kann,daß er sich selber wegen eines Gewebes aus feinererWolle vornehmer dünkt, wenn diese Wolleselbst, mag der Faden auch noch so fein sein,früher einmal auf dem Rücken eines Schafes gesessenhat und inzwischen doch auch nichts anderesals Wolle gewesen ist. Ebenso wundern sich dieUtopier darüber, daß das Gold, das seiner Naturnach so unnütz ist, jetzt überall in der Welt sohoch geschätzt wird, daß der Mensch selbst, durchden und vor allem zu dessen Nutzen es diesen Werterlangt hat, viel weniger gilt als das Gold selber,und zwar so viel weniger, daß irgendein Dämlack,geistlos wie ein Holzklotz und ebenso schlecht wiedumm, trotzdem eine Menge kluger und braver Dienerhat, allein deshalb, weil er zufällig einen großenHaufen Goldstücke sein eigen nennt. Wenn nunirgendeine Fügung des Geschicks oder ein Trick derGesetze, der, ebenso wie das Schicksal, das Unterstezu oberst kehrt, dieses Gold dem Herrn des Hausesnimmt und es dem allerschlimmsten Taugenichtsseines Gesindes zukommen läßt, so würde jenerohne Zweifel bald darauf wie ein Anhängsel undeine Zugabe seiner Münzen unter die Dienerschaftseines ehemaligen Dieners geraten. Und noch mehrist man erstaunt, ja geradezu empört über dasunsinnige Gebaren der Leute, die jene Reichen,denen sie nichts schuldig und denen sie nicht verpflichtetsind, aus keinem anderen Grunde, als weil105sie reich sind, wie Götter anbeten, und zwar auchdann, wenn sie ihren schmutzigen Geiz zu genaukennen, um nicht mit tödlicher Sicherheit zu wissen,daß sie bei deren Lebzeiten von dem großenGeldhaufen auch nicht einen roten Heller bekommen.

Diese und andere derartige Ansichten der Utopiersind das Ergebnis teils ihrer Erziehung in einemStaate, dessen Einrichtungen von den Torheiten dergeschilderten Art weit entfernt sind, teils ihrer Beschäftigungmit Wissenschaft und Literatur. Allerdingssind in jeder Stadt nur wenige von den anderenArbeiten befreit, um sich ausschließlich der Ausbildungihres Geistes zu widmen, nämlich diejenigen,bei denen man von Kind auf hervorragende Anlagen,ausgezeichnete Begabung und Neigung zu wissenschaftlicherBeschäftigung beobachtet hat. Trotzdemaber genießen alle Kinder Unterricht, und ein guterTeil des Volkes, Männer und Frauen, beschäftigtsich das ganze Leben hindurch in den erwähntenarbeitsfreien Stunden mit den Wissenschaften.

Der Unterricht wird in der Landessprache erteilt;sie verfügt nämlich über einen reichen Wortschatz,zeichnet sich durch Wohllaut aus und ist wie keineandere zur Wiedergabe von Gedanken geeignet. Inannähernd derselben Art, jedoch überall auf verschiedeneWeise etwas zu ihrem Nachteil verändert,ist sie über einen großen Strich jenes Erdteils verbreitet.

Von allen unseren Philosophen, deren Namen indieser uns bekannten Welt berühmt sind, war denUtopiern vor unserer Ankunft auch nicht ein einziger,nicht einmal gerüchtweise, bekannt geworden;und doch haben sie in Musik, Dialektik, Arithmetik106und Geometrie etwa dieselben Entdeckungengemacht wie unsere alten Meister. Wenn sie aberauch die Alten beinahe in allem erreicht haben, sosind sie allerdings hinter den Erfindungen dermodernen Dialektiker weit zurückgeblieben; siehaben nämlich auch nicht eine einzige der in der»Kleinen Logik« so scharfsinnig ausgedachten Regelnüber Restriktion, Amplifikation und Suppositionerfunden, die hierzulande allenthalben schondie Kinder auswendig lernen. Wie sie ferner keineswegsden »zweiten Intentionen« nachzuforschenvermochten, so war auch nicht einer von ihnen imstande,den sogenannten »Menschen überhaupt«zu sehen, der doch, wie ihr wißt, ein wahrer Koloßund größer als jeder Riese ist und auf den wir damalsauch noch mit den Fingern gezeigt haben.

Dagegen kennen sie ganz genau den Lauf der Gestirneund die Bewegung der Himmelskreise. Ja, siehaben sich auch Instrumente von verschiedener Gestaltmit Kunst und Geschick ausgedacht, mit derenHilfe sie die Bewegungen und Stellungen der Sonne,des Mondes und ebenso der übrigen bei ihnen sichtbarenGestirne aufs genaueste erfaßt haben. Abervon Gunst und Mißgunst der Planeten und von jenemganzen Schwindel der Prophezeiung aus den Sternenlassen sie sich nicht einmal etwas träumen.Regen, Wind und die übrigen Wetterveränderungensagen sie aus gewissen Anzeichen voraus, die sie auslanger Erfahrung kennen. Über die Ursachen alldieser Erscheinungen aber, über Ebbe und Flut sowieüber den Salzgehalt des Meeres und schließlichüber den Ursprung und die Natur des Himmelsund der Erde lehren sie zum Teil dasselbe wie107unsere alten Philosophen. Wie diese aber schonuntereinander verschiedener Meinung sind, so stimmenauch die Utopier mit ihren neuen Erklärungenfür die Naturerscheinungen mit ihnen allen zum Teilnicht überein, sind aber auch untereinander nichtin jeder Beziehung derselben Ansicht.

In der Moralphilosophie behandeln die Utopierdieselben Fragen wie wir. Sie stellen Erörterungenan über die Güter des Geistes und des Körpers sowieüber die äußeren Güter, ferner ob diese alle odernur die Gaben des Geistes als Güter bezeichnet werdendürfen; auch untersuchen sie das Wesen derTugend und der Lust. Aber die erste und wichtigstealler Streitfragen ist die, worin wohl die Glückseligkeitdes Menschen besteht, ob in einem Dingeoder in mehreren. In diesem Punkte aber neigen sie,wie es scheint, mehr als billig zu der Ansicht derer,die für das Vergnügen eintreten, worin sie entwederdas menschliche Glück überhaupt oder doch wenigstensseinen wesentlichsten Bestandteil erblicken.Und worüber man sich noch mehr wundern muß, siestützen ihre so sinnenfreudige Ansicht auch mit Beweisgründen,die sie ihrer Religion entnehmen, einerernsten und strengen, ja fast düsteren und hartenLehre. Wenn sie nämlich über die Glückseligkeitverhandeln, so verbinden sie stets gewisse Grundsätzeihrer Religion mit der Philosophie, die mitVernunftgründen arbeitet; denn ohne diese Grundsätzeist die Vernunft nach Ansicht der Utopier zuungenügend und zu schwach, um für sich allein diewahre Glückseligkeit zu erforschen.

Diese Grundsätze sind folgende: Die Seele ist unsterblichund durch die Güte Gottes zur Glückseligkeit108geschaffen; für unsere Tugenden und gutenWerke erwarten uns nach diesem Leben Belohnungen,für unsere Missetaten aber Strafen. Diese Anschauungensind zwar religiöser Natur, aber nachAnsicht der Utopier führt schon die Vernunft dazu,an sie zu glauben und sie zu billigen. Nach Beseitigungdieser Grundsätze, so erklären sie ohne jedesBedenken, wird niemand so töricht sein zu meinen,er dürfe dem Vergnügen nicht auf jede Weise, aufrechte und unrechte, nachjagen. Nur müsse man sich,so erklären sie weiter, davor hüten, ein größeresVergnügen durch ein kleineres beeinträchtigen zulassen oder einem Vergnügen mit schmerzhaftenRückwirkungen nachzugehen. Denn den dornenvollenund beschwerlichen Pfad der Tugend zu wandelnund dabei nicht bloß auf des Lebens Annehmlichkeitenzu verzichten, sondern auch den Schmerzfreiwillig zu ertragen, und zwar ohne Aussicht aufirgendwelchen Gewinn – was könnte nämlich wohlauch der Gewinn sein, wenn man nach dem Todenichts erreichen soll, nachdem man dieses ganze Lebenfreudlos, also jämmerlich, zugebracht hat? –das ist in den Augen der Utopier das Sinnloseste,was es geben kann. Nun liegt aber nach ihrer Meinungdas Glück nicht in jeder Art von Vergnügen,sondern nur in einem rechtschaffenen und ehrbaren;zu diesem nämlich, als zu dem höchsten Gut, zieht,so sagen sie, die Tugend selbst unsere Natur hin,während nach Ansicht der Gegenpartei einzig undallein die Tugend unser Glück bedingt. Die Tugendbesteht nämlich, wie die Utopier meinen, in einemnaturgemäßen Leben, sofern uns Gott dazu geschaffenhat; naturgemäß aber lebt der, der in109allem, was er begehrt und meidet, den Geboten derVernunft gehorcht. Die Vernunft entfacht ferner imMenschen vor allem anderen die ehrfurchtsvolleLiebe zur göttlichen Majestät, und dieser verdankenwir es ja, daß wir sind und an der Glückseligkeitteilnehmen dürfen. Sodann mahnt uns die Tugendund regt uns dazu an, ein möglichst sorgenfreiesund frohes Leben zu führen und allen unseren Mitmenschen,entsprechend unserer natürlichen Gemeinschaftmit ihnen, zur Erreichung des gleichen Zieleszu verhelfen. Denn noch nie ist jemand ein sofinsterer und strenger Anhänger der Tugend undentschiedener Feind des Vergnügens gewesen, daßer von dir Anstrengungen, Nachtwachen und Kasteiungenverlangte, ohne nicht gleichzeitig dir aufzugeben,die Not und das Ungemach anderer nachKräften zu lindern, und ohne es nicht im Namen derMenschlichkeit für lobenswert zu halten, daß einMensch dem anderen Heil und Trost spendet. Wennnun die höchste Menschlichkeit darin besteht – undkeine Tugend ist dem Menschen eigentümlicher –,den Kummer der Mitmenschen zu lindern, ihre Traurigkeitzu beheben und in ihr Leben wieder dieFreude, das heißt das Vergnügen, zu bringen, wiesollte da nicht die Natur einen jeden ansp*rnen, diegleiche Wohltat auch sich selber zuteil werden zulassen? Denn entweder ist ein angenehmes, das heißtdem Vergnügen gewidmetes Leben verwerflich, danndarfst du nicht bloß niemandem zu einem Vergnügenverhelfen, sondern mußt es sogar von allennach Möglichkeit fernhalten, da es ihnen ja schädlichist und den Tod bringt. Oder aber, wenn duanderen ein Vergnügen als etwas Gutes nicht bloß110verschaffen darfst, sondern sogar verschaffen sollst,warum dann nicht vor allem dir selbst, dem du dochnicht weniger als anderen gewogen sein solltest?Denn wenn die Natur dich zur Güte gegen anderemahnt, verlangt sie doch nicht gleichzeitig von dirschonungslose Strenge gegen dich selbst.

Ein angenehmes Leben also, das heißt eben dasVergnügen, sagen die Utopier, stellt uns die Naturselbst gleichsam als Ziel aller unserer Handlungenhin, und ein Leben nach ihrer Vorschrift istin ihren Augen Tugend. Die Natur aber ruft auchdie Menschen auf, sich gegenseitig zu einem Lebenin größter Fröhlichkeit zu verhelfen. Und das tut siesicherlich mit Fug und Recht; denn keiner ist soerhaben über das allgemeine Menschenschicksal, daßdie Natur für ihn allein sorgen müßte, sie, die alle,die sie durch die Gleichheit der Gestalt zu einerGemeinschaft zusammenfaßt, in gleicher Weise hegtund pflegt. Und eben darum heißt sie dich auch immerwieder darauf achten, auf deinen eigenen Vorteilnicht so bedacht zu sein, daß du anderen dabeischadest.

Deshalb dürfen auch nach Ansicht der Utopiernicht bloß die Verträge zwischen Privatpersonennicht verletzt werden, sondern auch die öffentlichenBestimmungen über die Teilung der Lebensgüter,das heißt der materiellen Grundlage des Vergnügens,Bestimmungen, die entweder ein guter Fürstauf gesetzlichem Wege erlassen oder die ein Volkauf Grund einer allgemeinen Übereinkunft getroffenhat, ohne durch Tyrannei in seiner Willensäußerungbeschränkt oder durch Betrug umgarnt zu sein. OhneVerletzung dieser Gesetze für dein persönliches111Wohlergehen zu sorgen, erfordert die Klugheit,außerdem das allgemeine Wohl im Auge zu haben,das Pflichtgefühl; aber darauf auszugehen, einemanderen sein Vergnügen zu rauben, wofern man nursein eigenes erjagt, das ist in der Tat Unrecht. Sichselber dagegen etwas zu nehmen, um es anderen zudem, was sie haben, noch dazuzugeben, das eben isteine Pflicht der Menschlichkeit und Güte und bringteinem stets mehr Glück wieder ein, als es einemnimmt. Denn die Wohltaten anderer vergelten alsGegenleistung das gute Werk, und das bloße Bewußtsein,etwas Gutes getan zu haben, sowie die Erinnerungan die wohlwollende Liebe derer, denen man Gutesgetan hat, bereiten dem Herzen eine Freude, diegrößer ist, als es jenes Vergnügen des Körpers gewesenwäre, auf das man verzichtet hat. Und endlichvergilt Gott, wovon sich ein gläubiges Gemütmit Leichtigkeit aus der Religion überzeugt, einkurzes und geringes Vergnügen dereinst mit unermeßlicherund ewig währender Freude. So sind denndie Utopier nach sorgfältiger Untersuchung und genauerErwägung der Sache zu der Ansicht gekommen,daß alle unsere Handlungen, und darunterauch die tugendhaften selbst, letzten Endes auf dasVergnügen und damit auf die Glückseligkeit abzielen.

Vergnügen nennen die Utopier jede Bewegungund jeden Zustand des Körpers und des Geistes,worin wir unter Anleitung der Natur mit Behagenverweilen. Nicht ohne Grund fügen sie hinzu, daßdie Natur es so haben will. Denn von Natur bereitetalles das Wohlbehagen, was man nicht auf demWege des Unrechts begehrt oder wodurch nichts112anderes Angenehmeres verlorengeht oder was keineMühe und Arbeit im Gefolge hat; und danach verlangtnicht bloß das sinnliche Begehren, sondernauch die gesunde Vernunft. Anderseits aber gibt esDinge, die die Menschen gegen die Ordnung derNatur fälschlich als angenehm bezeichnen, und zwarauf Grund eines ganz törichten Sprachgebrauchs,gerade als ob wir es in der Hand hätten, mit denWorten auch die Dinge zu ändern. Alle diese Dingesind nach Ansicht der Utopier wertlos für die Glückseligkeit,ja sogar ihr im höchsten Grade hinderlich,und zwar deshalb, weil sie die ganze Seele desMenschen, in der sie sich einmal festgesetzt haben,mit einer verkehrten Meinung über das Vergnügenim voraus erfüllen, um für wahre und reine Freudennirgends Platz zu lassen. Es gibt nämlich sehr vieleDinge, die zwar ihrer eigentlichen Natur nachdurchaus nicht anziehend, sondern im Gegenteil sogarmeist recht unangenehm sind, die aber trotzdeminfolge der törichten Lockung ruchloser Begierdennicht bloß für die höchsten Genüsse gehalten, sondernauch sogar zu den wichtigsten Angelegenheitendes Lebens gerechnet werden.

Zu denen, die den falschen Vergnügen dieser Artnachgehen, zählen die Utopier diejenigen, die sichselber, wie früher erwähnt, um so besser dünken,je besser sie angezogen sind; dabei irren sie sich indiesem einen Punkte zweifach. Denn sie sind nichtweniger im Irrtum, wenn sie ihren Anzug, als wennsie sich selbst für etwas Besseres halten. Warumsollte nämlich im Hinblick auf die Brauchbarkeitder Kleidung ein Tuch aus feinerem Gewebe bessersein als eins aus gröberem? Und doch ist jenen Leuten113der Kamm geschwollen, als ob sie von Naturund nicht durch einen bloßen Irrtum etwas Bessereswären, und sie meinen, sie gewännen auch dadurchetwas an Wert. Deshalb beanspruchen sie auch,gleich als sei das ihr gutes Recht, für ihren eleganterenAnzug eine Ehrenbezeigung, auf die sie ineinfacherer Kleidung gar nicht wagen würden zuhoffen, und sind unwillig, wenn sie beim Vorübergehennicht weiter beachtet werden. Aber ist nichtgerade auch dieses Verlangen nach eitlen und nutzlosenEhrenbezeigungen ebenso unvernünftig? Dennwie kann wohl der entblößte Scheitel oder das gebeugteKnie eines anderen ein natürliches und wahresVergnügen bereiten? Wird das vielleicht einenSchmerz in deinen eigenen Knien heilen? Oder wirdes das hitzige Fieber in deinem eigenen Kopfe lindern?In der Vorstellung eines solchen Scheinvergnügensschmeicheln sie sich und klatschen sie sichBeifall, weil sie zufällig von Vorfahren abstammen,von denen eine lange Reihe für reich gegoltenhat – einen anderen Adel gibt es ja heutzutagenicht –, für reich besonders an Landgütern, und siedünken sich nicht um ein Haar weniger vornehm,wenn ihnen auch ihre Vorfahren von ihrem Reichtumnichts hinterlassen oder wenn sie ihr Erbe selberverpraßt haben.

Zu den Leuten dieser Art rechnen die Utopierauch die schon erwähnten Liebhaber von Gemmenund Edelsteinen, und sie kommen sich gewissermaßenwie Götter vor, wenn sie einmal einen ausnehmendwertvollen Stein erwerben, zumal wenn ervon der zu ihrer Zeit und in ihrem Lande besondersgeschätzten Art ist; denn nicht überall und nicht zu114jeder Zeit behalten die gleichen Arten ihren Wert.Sie kaufen aber einen Edelstein nur ohne Goldfassungund Umhüllung, und auch dann nur, wennder Verkäufer einen Eid und Bürgschaft dafür leistet,daß die Gemme und der Juwel echt sind; solcheAngst haben sie, daß der Augenschein sie täuschenkönnte. Warum aber sollte dir, der du den Edelsteinnur betrachten willst, ein künstlicher weniger Vergnügenmachen, den dein Auge von einem echtennicht zu unterscheiden vermag? Beide müßteneigentlich den gleichen Wert haben, für dich, beiGott, genau so wie für einen Blinden.

Was soll man ferner von denen sagen, die überflüssigeSchätze aufbewahren, nicht um sich überdie Verwendung des Haufens Geld, sondern nurüber seinen Anblick zu freuen? Genießen sie etwaeine echte Freude, oder narrt sie nicht vielmehr nurein Scheinvergnügen? Oder wie steht es mit denen,die den entgegengesetzten Fehler begehen und dasGold, das sie niemals verwenden, ja vielleicht auchniemals wieder zu Gesicht bekommen werden, vergrabenund aus Angst vor seinem Verlust es wirklichverlieren? Denn verlierst du dein Gold nicht, wenndu es der Verwendung durch dich selbst und vielleichtdurch die Menschen überhaupt entziehst undder Erde zurückgibst? Und doch bist du ausgelassenfroh darüber, daß du deinen Schatz versteckthast, als brauchtest du nun keine Sorge mehr zuhaben. Sollte dir aber jemand den Schatz stehlen,ohne daß du etwas von diesem Diebstahl merkst,und solltest du zehn Jahre danach sterben, wasmacht es dir da in dem ganzen Zeitraum von zehnJahren, um den du den Verlust deines Geldes überlebt115hast, aus, ob es gestohlen oder noch vorhandenwar? Sicherlich hast du in beiden Fällen den gleichenNutzen davon gehabt.

Zu diesen so unpassenden Freuden rechnen dieUtopier auch die der Glücksspieler, deren unsinnigesGebaren ihnen nur vom Hörensagen, nicht ausErfahrung bekannt ist, und außerdem die der Jägerund Vogelsteller. Denn was ist das für ein Vergnügen,so sagen sie, die Würfel auf das Spielbrett zuwerfen? Und dabei tut man das so oft, daß schonaus der häufigen Wiederholung ein Überdruß entstehenkönnte, wenn wirklich ein Vergnügen damitverbunden wäre. Oder wie könnte es angenehm seinund nicht vielmehr Widerwillen erregen, das Gebellund Geheul der Hunde zu hören? Oder inwiefernmacht es mehr Vergnügen, wenn ein Hundeinem Hasen als wenn er einem anderen Hundenachjagt? Denn in beiden Fällen handelt es sich dochum den gleichen Vorgang: es wird gelaufen – wenndir das Laufen Freude machen sollte. Wenn dich aberdie Aussicht auf Mord fesselt oder wenn du auf dieZerfleischung wartest, die sich vor deinen Augenabspielen soll, so müßte es doch eher dein Mitleiderregen, wenn du mit ansehen mußt, wie das armeHäslein von dem Hunde zerrissen wird, derSchwache von dem Stärkeren, der Scheue undFurchtsame von dem Wilden, der Harmlose schließlichvon dem Grausamen. Die Utopier haben deshalbdieses ganze Geschäft des Jagens als eine derFreien unwürdige Beschäftigung den Metzgern zugewiesen,deren Handwerk sie, wie oben erwähnt,von Sklaven ausüben lassen. Ihrer Anschauung nachist nämlich die Jagd die niedrigste Verrichtung dieses116Handwerks, die übrigen sind in ihren Augennützlicher und ehrbarer, weil sie die Tiere weitmehr schonen und nur aus Notwendigkeit töten, währendder Jäger einzig und allein im Morden und Zerfleischendes armen Tieres sein Vergnügen sucht. DiesesLustgefühl beim Anblick des Mordens hat nach Ansichtder Utopier sogar beim Morden der Tiere seinenUrsprung in einer grausamen Gemütsstimmung oderartet schließlich infolge ständiger Wiederholung desso rohen Vergnügens in Grausamkeit aus. Diese undalle sonstigen Genüsse derart – es gibt nämlichderen unzählige – hält zwar die große Masse derMenschen für Vergnügen, die Utopier dagegen erklärenrund heraus, mit dem wahren Vergnügenhabe das alles gar nichts zu tun, da ihm von Naturalles Erfreuliche fehle. Denn wenn es auch für gewöhnlichden Sinn mit Wohlbehagen erfüllt, wasja die Aufgabe des Vergnügens zu sein scheint, sogehen die Utopier doch nicht von ihrer Meinung ab.Der Grund dafür ist nämlich nicht die Natur derSache selbst, sondern die üble Gewohnheit der Menschen.Sie ist schuld daran, daß man Bitteres alssüß hinnimmt, genau so wie schwangere Frauen,deren Geschmack gestört ist, Pech und Talg fürsüßer als Honig halten. Aber das Urteil eines einzelnen,das durch Krankheit oder Gewöhnung getrübtist, kann die Natur nicht ändern, die des Vergnügensebensowenig wie die anderer Dinge.

Von den nach ihrer Ansicht echten Vergnügenunterscheiden die Utopier verschiedene Arten, undzwar weisen sie die einen der Seele und die anderendem Leibe zu. Zu den Vergnügen der Seele zählensie die geistige Betätigung sowie das Wohlbehagen,117das die Betrachtung der Wahrheit hervorruft. Dazukommt das angenehme Bewußtsein eines untadeligenLebenswandels und die sichere Hoffnung aufdie Glückseligkeit nach dem Tode. Die körperlicheLust zerfällt in zwei Arten. Die erste ist die, dieunsere Sinne mit einem deutlichen Wohlbehagenerfüllt. Das geschieht zum Teil durch die Erneuerungderjenigen Bestandteile unseres Körpers, diedurch die Wärmeerzeugung in unserem Inneren verbrauchtsind – diese führt uns nämlich Essen undTrinken wieder zu –, zum Teil auch durch Ausscheidungder in unserem Körper überflüssigenStoffe. Das wird erreicht durch Reinigung der Eingeweidevon den Exkrementen oder durch Zeugungvon Kindern oder wenn das Jucken eines Körperteilsdurch Reiben oder Kratzen gelindert wird. Bisweilenaber entsteht auch ein Vergnügen, das unseremKörper weder etwas zuführt, wonach die Organeverlangen, noch diese von etwas Lästigem befreit.Es ist aber eine Lustempfindung, die unsere Sinnetrotzdem mit einer Art geheimer Gewalt, aber ineiner deutlich sichtbaren Erregung zu kitzeln, anzuregenund an sich zu ziehen vermag; ein solchesVergnügen bereitet die Musik. Die zweite Art deskörperlichen Vergnügens erblicken die Utopier ineinem ruhigen und gleichmäßigen Zustand des Körpers,das heißt also in der durch keinerlei Unbehagengestörten Gesundheit des einzelnen. Dieseruft ja, falls kein Schmerz sie beeinträchtigt, schonan und für sich Wohlbehagen hervor, selbst wennkeine von außen kommende Lust auf den Körper einwirkensollte. Zwar tritt sie weniger hervor undreizt die Sinne weniger als jene ungestüme Lust an118Essen und Trinken; nichtsdestoweniger jedoch giltsie vielen in Utopien als das größte, fast allen aberals ein großes Vergnügen und gleichsam als dieGrundlage und der Grundstein aller Vergnügen.Denn sie allein macht unser Leben ruhig und lebenswert,und ohne sie ist bei keinem und nirgends nochRaum für irgendein Vergnügen. Denn auch wennman gar keine Schmerzen hat, dabei aber nicht gesundist, so ist doch dieser Zustand in den Augender Utopier kein Vergnügen, sondern Stumpfheit.Schon längst gilt bei ihnen die Lehre der Philosophennicht mehr, die da meinten, man dürfe einebeständige und ungestörte Gesundheit deshalb nichtfür ein Vergnügen halten, weil das Vorhandenseineines solchen nur infolge einer Erregung von außenher zu merken sei; auch diese Frage ist nämlicheifrig bei den Utopiern erörtert worden. Vielmehrsind sie jetzt im Gegenteil fast alle darin einig, daßdie Gesundheit sogar ganz besonders als ein Vergnügenanzusehen ist. Da nämlich mit der Krankheit,so sagen sie, der Schmerz verbunden ist, derder unversöhnliche Feind des Vergnügens ist, ebensowie die Krankheit der Feind der Gesundheit, warumsollte dann nicht anderseits mit einer ungestörtenGesundheit das Vergnügen verbunden sein? Dabeiist es nach ihrer Ansicht ohne Belang, ob man dieKrankheit selber als Schmerz oder den Schmerz nurals Begleiterscheinung der Krankheit bezeichnet; dieWirkung sei ja in beiden Fällen gleich stark. Magnun die Gesundheit entweder ein Vergnügen an undfür sich oder nur seine notwendige Ursache sein,wie das Feuer die Ursache der Hitze ist, ohne Zweifelist die Wirkung in beiden Fällen die, daß ein119Mensch, der sich einer eisernen Gesundheit erfreut,ein Vergnügen empfinden muß. Außerdem, so sagensie, wenn wir essen, was geschieht da anderes, alsdaß die Gesundheit, die allmählich erschüttert wordenwar, im Bunde mit der Speise gegen den Hungerankämpft? Während der betreffende Menschselbst dabei wieder erstarkt und seine gewohnteKraft wiedererlangt, bereitet ihm die Gesundheitjenes Vergnügen, das uns so erquickt. Wird nunaber die Gesundheit, die sich schon während desKampfes freut, nicht erst recht froh sein, wenn sieden Sieg errungen hat? Ist sie endlich wieder glücklichim Besitze ihrer alten Stärke, um die allein sieden ganzen Kampf geführt hat, wird sie dann etwagefühllos werden und ihr Glück nicht erkennen undkeinen großen Wert darauf legen? Daß man nämlichsagt, man könne die Gesundheit nicht empfinden,ist nach Meinung der Utopier ganz falsch. Wer empfindetdenn nicht, so sagen sie, wenn er nicht geradeschläft, daß er gesund ist, außer dem, der eseben nicht ist? Wer liegt in so festen Banden desStumpfsinns oder der Lethargie, daß er nicht zugebensollte, die Gesundheit bereite ihm Freude undGenuß? Was ist aber Genuß anderes als eineandere Bezeichnung für Vergnügen?

Nach alledem schätzen die Utopier besonders diegeistigen Vergnügen; sie halten sie nämlich für dieersten und wesentlichsten von allen, und in derHauptsache entstehen sie nach ihrer Meinung ausder Übung der Tugend und dem Bewußtsein einesrechtschaffenen Lebenswandels. Unter den körperlichenVergnügen stellen sie die Gesundheit an ersteStelle; denn die Annehmlichkeit des Essens und120Trinkens und alle anderen Ergötzlichkeiten der Artbetrachten sie zwar als erstrebenswert, aber nur umder Gesundheit willen. Solcherlei nämlich sei nichtan und für sich erfreulich, sondern nur insofern, alses einer sich heimlich einschleichenden Krankheitentgegenwirke. Wie deshalb der Verständige eherKrankheiten vorbeugen als nach Arznei verlangenund lieber die Schmerzen beseitigen als zu Trostmittelngreifen müsse, so sei es besser, man habediese Art Vergnügen gar nicht nötig, als daß mandarin ein Linderungsmittel erblicke. Sollte wirklichjemand in dieser Art Vergnügen sein Glück sehen,so müsse er notwendig zugeben, er werde dann erstam glücklichsten sein, wenn ihm ein Leben in beständigemHunger, Durst, Jucken, Essen, Trinken,Kratzen und Reiben beschieden sei. Daß ein solchesLeben aber nicht bloß häßlich, sondern auch jämmerlichwäre, sieht jeder ein. Diese Genüsse sindin der Tat die niedrigsten, weil sie keineswegs reinerNatur sind; denn immer sind sie von den entgegengesetztenSchmerzen begleitet. So ist mit demGenuß des Essens der Hunger verbunden, und zwarin einem recht ungleichen Verhältnis. Denn derSchmerz ist nicht nur heftiger, sondern hält auchlänger an, da er ja eher als das Vergnügen entstehtund erst zusammen mit ihm vergeht.

Vergnügen dieser Art also sind nach Ansicht derUtopier nicht zu schätzen, soweit sie nicht zum Lebennotwendig sind. Doch haben sie auch an ihnenihre Freude und erkennen dankbar die Liebe derMutter Natur an, die ihre Kinder mit den verlockendstenLustgefühlen zu den für sie immer wiederlebensnotwendigen Verrichtungen ansp*rnt. Wie121würde uns nämlich unser Leben anekeln, wenn wirebenso wie die übrigen Krankheiten, die uns seltenerbefallen, auch diese täglichen Erkrankungenan Hunger und Durst durch Gifte und bittere Arzneienbekämpfen müßten! Was dagegen Schönheit,Stärke und Gewandtheit anlangt, so hegen und pflegendie Utopier sie mit Vorliebe als eigentliche undwillkommene Gaben der Natur. Als eine Art angenehmeWürze des Lebens schätzen sie auch diejenigenGenüsse, die uns Auge, Ohr und Nase vermittelnund die die Natur ausschließlich für denMenschen, und zwar in besonderer Weise, geschaffenhat; denn keine andere Gattung von Lebewesenhat ein Auge für die Schönheit des Weltgebäudesoder wird irgendwie von Wohlgerüchen angenehmberührt, soweit sie nicht ihre Nahrung danach unterscheiden,oder hat ein Gehör für die verschiedenenAbstände harmonischer und dissonierender Töne.Bei allen diesen Genüssen aber sehen die Utopierdarauf, daß nicht ein kleinerer einem größeren imWege ist und daß niemals ein Vergnügen denSchmerz im Gefolge hat, was, wie sie meinen, notwendigbei einem nicht ehrbaren Vergnügen derFall ist. Den Reiz der Schönheit dagegen zu verachten,die Kräfte zu schwächen, die Beweglichkeitzu Trägheit werden zu lassen, seinen Körper durchFasten zu erschöpfen, seiner Gesundheit Gewalt anzutunund auch sonst von den Lockungen der Naturnichts wissen zu wollen, es sei denn, daß man seinGlück nur deshalb nicht wahrnimmt, um destoeifriger für das Wohl seiner Mitmenschen oder fürdas des Staates besorgt zu sein – eine Mühe, für dieman als Entschädigung eine größere Freude von122Gott erwartet –, aber sich zu kasteien, ohne jemandemzu nützen, sondern lediglich um eines nichtigenSchattens von Tugend willen oder um Mißgeschick,das einem aber vielleicht niemals widerfährt, leichterzu ertragen: das ist, so meinen die Utopier, ganzwidersinnig, eine Grausamkeit gegen sich selbst undder bitterste Undank gegen die Natur; denn dadurchverzichtet man auf alle ihre Wohltaten, gleich alsob man es verschmähte, ihr irgendwie zu Dank verpflichtetzu sein.

Das ist die Ansicht der Utopier über die Tugendund das Vergnügen, und, wie sie glauben, kann mankeine finden, mit der menschliche Vernunft derWahrheit näher kommt, es müßte denn sein, daßeine vom Himmel gesandte Religion einem Menschennoch frömmere Gedanken eingibt. Ob sie damitrecht oder unrecht haben, können wir aus Mangelan Zeit nicht genau untersuchen, auch ist dasgar nicht nötig; denn wir haben es ja nur unternommen,von ihren Einrichtungen zu erzählen, nichtaber diese in Schutz zu nehmen. Wie es sich aberauch mit den angeführten Grundsätzen der Utopierverhalten mag, davon bin ich fest überzeugt: nirgendsist das Volk tüchtiger, und nirgends ist derStaat glücklicher als in Utopien.

Die Utopier sind körperlich gewandt und rüstig;auch besitzen sie mehr Kräfte, als ihre Statur erwartenläßt; doch ist diese nicht unansehnlich. DerBoden ist zwar nicht überall fruchtbar und dasKlima nicht besonders gesund, aber sie härten sichgegen die Witterung durch eine mäßige Lebensweiseso sehr ab und verbessern die Beschaffenheit deszu bestellenden Landes mit solchem Eifer, daß nirgends123in der Welt der Ertrag an Feldfrucht undVieh reicher ist und nirgends die Menschen langlebigerund widerstandsfähiger gegen Krankheitensind. Deshalb kann man in Utopien die Landleutenicht nur die üblichen Arbeiten verrichten sehen,wie sie die von Natur geringere Fruchtbarkeit desBodens durch Kunst und Fleiß steigern, sondern mankann auch beobachten, wie irgendwo ein Wald vollständigausgerodet und anderswo wieder angepflanztwird. Dabei gibt nicht die Rücksicht auf den Ertrag,sondern auf den Transport den Ausschlag; das Holzsoll sich nämlich in größerer Nähe des Meeres oderder Flüsse oder der Städte selbst befinden, weilsein Transport von weither auf dem Landwege beschwerlicherist als der des Getreides. Die Utopiersind ein gewandtes, witziges und kunstfertigesVolk. Es genießt gern seine Muße, besitzt aber auchnötigenfalls genügend Ausdauer in körperlicher Arbeit.Sonst ist es in der Tat keineswegs arbeitswütig,doch kennt es keine Ermüdung, wenn es sichum geistige Interessen handelt.

Als wir den Utopiern von der griechischen Literaturund Wissenschaft erzählten – über die Lateinersprachen wir nicht, weil von ihnen, wie wirmeinten, höchstens die Historiker und Dichter ihrenlebhaften Beifall finden würden –, staunten wir,mit welchem Eifer sie darauf bestanden, unter unsererAnleitung Griechisch gründlich lernen zu dürfen.So begannen wir denn mit dem Unterricht,anfangs mehr deshalb, um nicht den Anschein zuerwecken, als wollten wir uns nicht der Mühe unterziehen,als weil wir mit irgendeinem Erfolg gerechnethätten. Sobald wir aber ein kleines Stück124vorangekommen waren, ließ uns ihr Fleiß erkennen,daß wir unseren Eifer nicht umsonst aufwendenwürden; denn die Utopier begannen, die Buchstabenso mühelos nachzuschreiben, die Worte so geläufigauszusprechen, so schnell sich einzuprägen und sogetreu zu wiederholen, daß es uns wie ein Wundervorkam. Allerdings gehörten die Leute, die nichtbloß aus freien Stücken und aus Begeisterung, sondernauch auf Grund einer Verfügung des Senatsdas Studium des Griechischen begannen, zu den erlesenstenGeistern der Gebildeten und standen in reifemAlter. Und so hatten sie denn noch vor Ablaufvon drei Jahren in ihrer sprachlichen Ausbildungkeine Lücken mehr und konnten gute Schriftsteller,abgesehen von Schwierigkeiten infolge einer fehlerhaftenTextstelle, ohne Anstoß lesen und verstehen.Wie ich wenigstens vermute, eigneten sie sich dieKenntnis der griechischen Sprache auch wegen ihrerteilweisen Verwandtschaft mit der Landesspracheleichter an. Ich nehme nämlich an, die Utopier stammenvon den Griechen ab; denn in ihrer fast persischklingenden Sprache haben sich noch in den Orts- undAmtsnamen Spuren des Griechischen erhalten.

Im Begriff, meine vierte Seereise nach Utopienanzutreten, nahm ich an Stelle von Waren einenziemlich großen Packen Bücher mit an Bord, weil ichfest entschlossen war, lieber gar nicht statt nachkurzer Zeit schon heimzukehren. So besitzen denndie Utopier folgendes von mir: die meisten WerkePlatos, mehrere Schriften des Aristoteles, sodannTheophrasts Buch über die Pflanzen, das aber leideran mehreren Stellen lückenhaft ist. Während derSeefahrt hatte ich nämlich auf das Buch weniger125Obacht gegeben, und so hatte sich eine Meerkatzeseiner bemächtigt und, ausgelassen und spielig, hierund da ein paar Blätter herausgerissen und zerfetzt.Von den Grammatikern haben sie nur denLascaris; den Theodorus habe ich nämlich garnicht mitgenommen, ebenso kein Wörterbuch, außerHesych und Dioscorides. Plutarchs kleine Schriftenhaben sie sehr gern, und auch Lucians Witzund Anmut fesseln sie. Von den Dichtern besitzensie Aristophanes, Homer und Euripides, fernerSophocles in den kleinen Typen des Aldus, vonden Historikern Thucydides, Herodot sowie Herodian.Sogar aus dem Gebiet der Medizin hattemein Reisegefährte Tricius Apinatus etwas mitgebracht,nämlich einige kleine Schriften des Hippocratesund die Mikrotechne Galens. Gerade aufdiese beiden Bücher legen die Utopier großen Wert;denn wenn sie die Heilkunde auch wohl weniger alsalle anderen Völker brauchen, so steht sie doch nirgendsin größerer Achtung, und zwar schon deshalb,weil man in Utopien ihre Kenntnis zu den schönstenund nützlichsten Teilen der Philosophie rechnet. Mitihrer Hilfe erforscht man nämlich die Geheimnisseder Natur, und man glaubt, nicht bloß einen wunderbarenGenuß davon zu haben, sondern auch diehöchste Gunst des Schöpfers und Werkmeisters derNatur zu gewinnen. Man ist ja der Meinung, erhabe nach Art der übrigen Künstler den sehenswertenMechanismus dieser Welt für den Menschenzur Betrachtung ausgestellt und ihn allein in seinemInneren für eine so gewaltige Schöpfung aufnahmefähiggemacht, und deshalb sei ihm ein wißbegierigerund achtsamer Betrachter und Bewunderer seines126Werkes lieber als einer, der ein so erhabenesund wundervolles Schauspiel stumpf und unerschüttertnicht beachtet.

So sind denn die Utopier infolge ihrer wissenschaftlichenAusbildung erstaunlich begabt für technischeErfindungen, die etwas dazu beitragen, dasLeben angenehm und bequem zu machen. Zwei Erfindungenjedoch verdanken sie uns, die Buchdruckerkunstund die Herstellung des Papiers, aberdoch nicht uns allein, sondern zu einem guten Teileauch sich selber. Als wir ihnen nämlich die Bücherzeigten, die Aldus auf Papier gedruckt hatte,und ihnen von dem zur Papierfabrikation notwendigenMaterial und von den Druckverfahren mehrbloß etwas erzählten, statt ihnen die Sache zu erklären– keiner von uns besaß nämlich in einer derbeiden Künste praktische Erfahrung –, errieten siesogleich äußerst scharfsinnig das Verfahren, und,während sie bis dahin nur auf Häuten, Rinde undPapyrusbast schrieben, versuchten sie nunmehr sofort,Papier herzustellen und zu drucken. Im Anfangwollte es ihnen nicht so recht gelingen, aberdurch häufigere Versuche kamen sie bald dahinterund brachten es dann in beiden Künsten so weit,daß es keinen Mangel an Exemplaren griechischerAutoren geben könnte, wenn anders Handschriftenvorhanden wären. Zur Zeit aber steht den Utopiernnichts weiter zur Verfügung, als was ich erwähnthabe; das aber haben sie bereits in vielen tausendExemplaren durch den Druck vervielfältigt.

Wer aus Schaulust nach Utopien kommt, wird mitoffenen Armen aufgenommen, wenn er sich durcheine besondere Begabung oder durch Kenntnis vieler127Länder auszeichnet, die er sich auf langen Reisenim Ausland erworben hat, und wenn sich seine Aufnahmedadurch empfiehlt. Aus diesem Grunde warden Utopiern auch unsere Landung willkommen;denn sie hören gern von dem Geschehen überall inder Welt. Zu Handelszwecken dagegen kommenFremde nicht gerade häufig hin. Was sollte mandenn auch dort einführen außer Eisen oder Goldund Silber, das aber jeder doch lieber mit heimbringenmöchte? Was sie aber aus ihrem eigenenLande auszuführen haben, das verschiffen sie aufGrund reiflicher Überlegung lieber selber, als daßsie es von anderen holen lassen, einmal, um dieVölker des Auslands ringsum genauer kennenzulernen,und sodann, um nicht ihrer nautischen Übungund Erfahrung verlustig zu gehen.

Die Sklaven

Als Sklaven verwenden die Utopier weder Kriegsgefangene,außer wenn sie selber den Krieg geführthaben, noch Söhne von Sklaven noch schließlichjemanden, den sie bei anderen Völkern als Sklavenkaufen können. Ihre Sklaven sind vielmehr Mitbürger,die wegen eines Verbrechens zu Sklaven gemacht,oder, was weit häufiger der Fall ist, Leute,die in Städten des Auslands wegen irgendeinerMissetat zum Tode verurteilt wurden. Von letzterenholen sich die Utopier einen großen Teil ins Land;bisweilen zahlen sie für sie nur einen geringen Preis,noch öfter auch gar nichts. Diese beiden Arten vonSklaven müssen nicht nur dauernd arbeiten, sondern128auch Fesseln tragen. Ihre eigenen Landsleute aberbehandeln die Utopier noch härter; denn sie sind inihren Augen deshalb noch verworfener und verdienendeshalb noch schwerere Strafen, weil sie sichtrotz der vortrefflichen Anleitung zur Tugend, diesie durch eine ausgezeichnete Erziehung gehabthaben, dennoch nicht von einem Verbrechen habenabhalten lassen.

Eine andere Klasse von Sklaven bilden diejenigen,die es als arbeitsame und arme Tagelöhner einesfremden Volkes vorziehen, aus freien Stücken beiden Utopiern Sklavendienste zu leisten. Diese behandelnsie anständig und nicht viel weniger gut alsihre Mitbürger; nur haben sie ein klein wenig mehrArbeit zu leisten, da sie ja daran gewöhnt sind. Willeiner von ihnen wieder fort, was aber nur selten derFall ist, so hält man ihn weder wider seinen Willenzurück, noch läßt man ihn ohne irgendein Geschenkziehen.

Die Kranken pflegt man, wie erwähnt, mit großerLiebe, und man tut unbedingt alles, um sie durcheine gewissenhafte Behandlung mit Arznei oder Diätwieder gesund zu machen. Sogar die, die an unheilbarenKrankheiten leiden, sucht man zu trösten, indemman sich zu ihnen setzt, sich mit ihnen unterhältund ihnen schließlich alle möglichen Erleichterungenschafft. Ist jedoch die Krankheit nicht bloßunheilbar, sondern quält und martert sie den Patientenauch noch dauernd, dann stellen ihm diePriester und obrigkeitlichen Personen vor, er seiallen Ansprüchen, die das Leben an ihn stelle, nichtmehr gewachsen, falle anderen nur zur Last undüberlebe, sich selber zur Qual, bereits seinen eigenen129Tod. Er solle deshalb nicht darauf bestehen,seiner Krankheit noch länger Gelegenheit zu geben,ihn zu verzehren; er möge vielmehr ohne Zögernseinem Leben ein Ende machen, da es ja für ihnnur noch eine Qual sei, und sich in Zuversicht und von diesem traurigen Leben wie voneinem Kerker oder einer quälenden Sorge entwederselbst frei machen oder sich mit seinem Einverständnisvon anderen seiner Pein entreißen lassen.Das werde klug sein, da er durch seinen Tod nichtdas Glück, sondern nur die Qual seines Lebens vorzeitigbeende; zugleich aber werde er ein frommesund heiliges Werk vollbringen, da er ja in diesemFalle nur den Rat der Priester, der Deuter desgöttlichen Willens, befolge. Wer sich nun dadurchüberreden läßt, stirbt entweder freiwillig den Hungertododer läßt sich betäuben und wird so ohneeine Todesempfindung erlöst. Gegen seinen Willenaber bringen die Utopier niemanden ums Leben;auch lassen sie es keinem trotz seiner Weigerung,freiwillig aus dem Leben zu scheiden, an irgendeinemLiebesdienst fehlen. Sich überreden zu lassenund so zu sterben, gilt als ehrenvoll. Wer sich aberdas Leben nimmt aus einem Grunde, den Priesterund Senat nicht billigen, den hält man weder derBeerdigung noch der Verbrennung für würdig; zuseiner Schande läßt man ihn unbestattet und wirftihn in irgendeinen Sumpf.

Das Weib heiratet nicht vor dem 18., der Mannaber erst nach erfülltem 22. Lebensjahre. Wenn einMann oder ein Weib vor der Ehe geheimen Geschlechtsverkehrsüberführt wird, so trifft ihn odersie strenge Strafe, und beide dürfen überhaupt nicht130heiraten, es sei denn, daß der Bürgermeister Gnadefür Recht ergehen läßt. Aber auch der Hausvater unddie Hausmutter, in deren Hause die Schandtat begangenwurde, sind in hohem Maße übler Nachredeausgesetzt, da sie, wie man meint, ihre Pflicht nichtgewissenhaft genug erfüllt haben. Die Utopier ahndendieses Vergehen deshalb so streng, weil sich,wie sie voraussehen, nur selten zwei Leute zu ehelicherGemeinschaft vereinigen würden, wenn manden zügellosen Geschlechtsverkehr nicht energischunterbände; denn in der Ehe muß man sein ganzesLeben mit nur einer Person zusammen verbringenund außerdem so mancherlei Beschwernis geduldigmit in Kauf nehmen.

Ferner beobachten sie bei der Auswahl der Ehegattenmit Ernst und Strenge einen Brauch, der unsjedoch höchst unschicklich und überaus lächerlichvorkam. Eine gesetzte, ehrbare Matrone zeigtnämlich dem Freier das Weib, sei es ein Mädchenoder eine Witwe, nackt; und ebenso zeigt anderseitsein sittsamer Mann den Freier nackt dem Mädchen.Diese Sitte fanden wir lächerlich, und wirtadelten sie als anstößig; die Utopier dagegen konntensich nicht genug über die auffallende Torheitall der anderen Völker wundern. Wenn dort, so sagtensie, jemand ein Füllen kauft, wobei es sich nurum einige wenige Geldstücke handelt, ist er so vorsichtig,daß er sich trotz der fast völligen Nacktheitdes Tieres nicht eher zum Kaufe entschließt, als bisder Sattel und alle Reitdecken abgenommen sind;denn unter diesen Hüllen könnte ja irgendeineschadhafte Stelle verborgen sein. Gilt es aber, eineEhefrau auszuwählen, eine Angelegenheit, die Genuß131oder Ekel fürs ganze Leben zur Folge hat, sogeht man mit solcher Nachlässigkeit zu Werke, daßman das ganze Weib kaum nach einer Handbreitseines Körpers beurteilt. Man sieht sich nichts weiterals das Gesicht an – der übrige Körper ist javon der Kleidung verhüllt –, und so bindet man sichan die Frau und setzt sich dabei der großen Gefahraus, daß der Ehebund keinen rechten Halt hat,wenn später etwas Anstoß erregen sollte. Denneinerseits sind nicht alle Männer so klug, nur aufden Charakter zu sehen, anderseits aber ist auchin den Ehen kluger Männer Schönheit des Körperseine nicht unwesentliche Zugabe zu den Vorzügendes Geistes. Auf jeden Fall aber können jene Kleiderhülleneine Häßlichkeit verbergen, die so abstoßendwirkt, daß sie imstande ist, Herz und Sinneines Mannes seiner Frau völlig zu entfremden, daeine körperliche Trennung nicht mehr möglich ist.Wenn nun solch ein häßliches Aussehen die Folgeirgendeines Unglücksfalles erst nach der Heirat ist,so muß sich jedes in sein Schicksal fügen; dagegenist durch gesetzliche Bestimmungen zu verhüten, daßjemand vor der Eheschließung einer Täuschung zumOpfer fällt. Die Utopier mußten das um so angelegentlicherihre Sorge sein lassen, weil sie alleinvon den Völkern jener Himmelstriche sich mit nureiner Gattin begnügen und weil eine Ehe dortnur selten anders als durch den Tod gelöst wird,wenn nicht gerade Ehebruch oder unerträglichschlechte Aufführung die Scheidung veranlassen.Wird nämlich einer von beiden Teilen auf dieseWeise beleidigt, so erhält er vom Senat die Erlaubniszu einer neuen Ehe; der schuldige Teil dagegen132lebt ehrlos bis an sein Ende und darf keine neueEhe eingehen. Daß aber jemand seine Frau, dienichts verbrochen hat, wider ihren Willen nur deshalbverstößt, weil sie einen körperlichen Unfall erlittenhat, duldet man allerdings auf keinen Fall;denn man hält es für eine Grausamkeit, jemandengerade dann im Stiche zu lassen, wenn er des Trostesam meisten bedarf, und man ist der Meinung,der alternde Gatte werde dann nicht mehr sicherund fest darauf vertrauen können, daß ihm die ehelicheTreue gehalten wird, da das Alter Krankheitenmit sich bringt und schon an und für sich eineKrankheit ist. Zuweilen jedoch kommt es vor, daßdie Ehegatten charakterlich nicht recht miteinanderharmonieren. Wenn dann beide jemand anders finden,mit dem sie glücklicher zu leben hoffen, sotrennen sie sich in gütlicher Vereinbarung und geheneine neue Ehe ein, allerdings nicht ohne Genehmigungdes Senats, der Scheidungen erst nach sorgfältigerUntersuchung der Sache durch seine Mitgliederund deren Ehefrauen zuläßt. Aber auch dannmachen die Senatoren die Scheidung nicht leicht,weil sie wissen, daß die Aussicht, ohne Schwierigkeiteine neue Ehe eingehen zu können, keineswegsdazu dient, die Liebe der Ehegatten zu festigen.

Ehebrecher bestraft man mit äußerst harter Sklaverei.Waren beide Teile verheiratet, so können dieGatten, denen das Unrecht widerfährt, ihre schuldigenEhepartner verstoßen und, wenn sie Lusthaben, sich gegenseitig oder, wen sie sonst wollen,heiraten. Wenn dagegen der eine beleidigte Teil denanderen noch weiter liebt, obgleich er es so wenigverdient, so kann die Ehe gesetzlich fortbestehen,133falls der beleidigte Teil gewillt ist, dem zurZwangsarbeit verurteilten in die Sklaverei zu folgen.Bisweilen erregen auch die Reue des einen und diepflichteifrige Zuneigung des anderen Teiles dasMitleid des Bürgermeisters, so daß er dem schuldigenGatten wieder die Freiheit erwirkt. Wer aberdann rückfällig wird, muß mit dem Leben büßen.

Für die übrigen Verbrechen sieht das Gesetz keinebestimmten Strafen vor, sondern der Senat setzt injedem Falle, je nachdem ihm das Vergehen schwererscheint oder nicht, die Strafe fest. Die Männerzüchtigen ihre Frauen und die Eltern ihre Kinder,wenn die Missetat nicht so schlimm ist, daß dasInteresse der Moral eine öffentliche Bestrafung verlangt.In der Regel ahndet man die schwersten Verbrechenmit Zwangsarbeit; denn man ist der Meinung,das sei für die Verbrecher nicht weniger hartund zugleich für den Staat nicht weniger vorteilhaft,als wenn man die Schuldigen schleunigst abschlachteund stracks aus dem Wege schaffe. Einmal nämlichbringt ihre Arbeit mehr Nutzen als ihre Hinrichtung,und sodann schrecken sie durch ihr warnendesBeispiel für längere Zeit andere von ähnlicherUntat ab. Sollten sie sich aber in solcher Lagewidersetzlich und aufsässig benehmen, so schlägtman sie schließlich tot wie wilde Tiere, die wederKerker noch Ketten bändigen können. Denen aber,die sich geduldig fügen, nimmt man nicht gänzlichjede Hoffnung. Wenn nämlich eine lange Leidenszeitihren Widerstand gebrochen hat und wenn sieeine Reue zur Schau tragen, die bekundet, daß sieihre Schuld mehr drückt als ihre Strafe, so wird ihreZwangsarbeit bisweilen durch ein Wort des Bürgermeisters,134bisweilen aber auch durch Volksbeschlußentweder erleichtert oder erlassen.

Wer zur Unzucht verleitet, setzt sich ebenso großerGefahr aus wie der, der sie begeht. Bei jederSchandtat kommt nämlich in den Augen der Utopierder bestimmte und wohlüberlegte Versuch der Tatselbst gleich; denn, so meinen sie, was den Versuchnicht zur Tat werden ließ, darf dem nicht zum Vorteilgereichen, an dem es gar nicht gelegen hat, daßder Versuch nicht zur Tat wurde. – Possenreißermachen den Utopiern viel Spaß. Sie zu beleidigen istin ihren Augen eine große Ungehörigkeit. Dochfinden sie nichts dabei, wenn man sich mit ihrerTorheit einen Spaß macht; denn das ist nach ihrerMeinung für die Possenreißer selber von größtemVorteil. Ist aber jemand so ernst und finster, daß erüber nichts, was ein Narr tut oder spricht, lacht,so darf man ihrer Ansicht nach einen Narren seinerObhut nicht anvertrauen; sie fürchten nämlich, erwerde ihn nicht nachsichtig genug behandeln, weiler von ihm nicht nur keinen Nutzen, sondern nichteinmal Erheiterung haben werde, und diese Begabungist ja seine einzige Stärke.

Einen Mißgestalteten und Krüppel zu verlachen,ist nach Meinung der Utopier schimpflich undhäßlich, und zwar nicht für den, der verspottetwird, sondern für den Spötter; denn dieser ist sotöricht, jemandem etwas als Fehler zum Vorwurf zumachen, was zu vermeiden gar nicht in seiner Machtlag. Wie es nämlich in den Augen der Utopier einerseitseine Nachlässigkeit und Trägheit ist, sich seinekörperliche Schönheit nicht zu erhalten, so ist esanderseits eine Schande und Unverschämtheit, die135Schminke zu Hilfe zu nehmen. Wissen sie doch auspersönlicher Erfahrung, daß eine Frau die Achtungund Liebe ihres Mannes durch keinerlei Aufputz desÄußeren in gleicher Weise wie durch Sittsamkeitund Ehrerbietung gewinnt. Wenn sich nämlich auchmanche Männer durch bloße Schönheit fangen lassen,so ist doch keiner ohne Tugend und Gehorsamauf die Dauer festzuhalten.

Die Utopier schrecken nicht bloß durch Strafenvon Schandtaten ab, sondern geben auch durch dieAussicht auf Ehrungen einen Anreiz zur Tugendhaftigkeit.Zu diesem Zweck errichten sie berühmtenund um den Staat besonders verdienten Männernauf dem Markte Standbilder zur Erinnerung anihre Taten; zugleich aber soll der Ruhm der Vorfahrenihre Nachkommen mit Nachdruck zur Tugendansp*rnen.

Wer sich ein Amt zu erschleichen sucht, gehtder Aussicht verlustig, überhaupt ein Amt zu erlangen.

Die Utopier verkehren in liebevoller Weise miteinander,und auch die obrigkeitlichen Personen sindweder anmaßend noch schroff. Sie heißen Väter,und als solche zeigen sie sich auch. Aus freienStücken erweist man ihnen die gebührende Ehre,und man läßt sich nicht dazu zwingen. Nicht einmalden Bürgermeister macht eine besondere Tracht oderein Diadem kenntlich, sondern nur ein BüschelÄhren, das er trägt, wie das Kennzeichen desOberpriesters eine Wachskerze ist, die ihm vorangetragenwird.

Gesetze haben die Utopier in ganz geringer Zahl;für Leute von solcher Disziplin genügen ja auch136überaus wenige. Ja, das mißbilligen sie vor allemanderen bei fremden Völkern, daß dort nicht einmaleine Flut von Gesetzbüchern und Kommentarenausreicht. Ihnen selbst aber kommt es höchst unbilligvor, wenn sich jemand durch Gesetze verpflichtensoll, die entweder zu zahlreich sind, alsdaß er sie durchlesen könnte, oder zu dunkel, alsdaß sie jedermann verständlich wären. Ferner wollensie von Advokaten überhaupt nichts wissen, weildiese die Prozesse so gerissen führen und über dieGesetze so spitzfindig disputieren. Nach Ansicht derUtopier ist es nämlich von Vorteil, wenn jeder seineSache selber vertritt und das, was er seinem Anwalterzählen würde, dem Richter mitteilt; auf dieseWeise werde es, so sagen sie, weniger Winkelzügegeben und die Wahrheit komme eher ans Licht.Wenn nämlich jemand spricht, den kein AnwaltFalschheit gelehrt hat, so wägt der Richter daseinzelne, was er vorbringt, geschickt und klug abund steht Leuten von harmloserem Charakter gegendie Verleumdungen verschlagener Gegner bei. Dasläßt sich bei anderen Völkern wegen der Riesenmengehöchst verwickelter Gesetze nur schwerdurchführen, bei den Utopiern dagegen ist jedereinzelne gesetzeskundig. Einmal nämlich ist die Zahlihrer Gesetze, wie gesagt, sehr gering, und sodannhalten sie die am wenigsten gekünstelte Auslegungfür die gegebenste. Denn wenn alle Gesetze, sosagen sie, nur dazu erlassen werden, jedermannan seine Pflicht zu erinnern, so wird dieser Zweckdurch eine feinere Auslegung, die nur wenige verstehen,auch nur bei sehr wenigen erreicht; dagegenist eine einfachere und näherliegende Erklärung der137Gesetze einem jeden verständlich. Was aber nun diegroße Masse anlangt, die an Zahl stärkste Klasse,die der Ermahnung am meisten bedarf, was machtes der aus, ob man überhaupt kein Gesetz gibt oderob man ein schon bestehendes Gesetz in einem Sinneauslegt, den jemand nur mit viel Geist und in langerErörterung herausfinden kann? Damit kann sichweder der hausbackene Verstand des gemeinen Mannesbefassen, noch läßt ihm sein Leben, das von derBeschaffung des Unterhaltes ausgefüllt ist, die Zeitdazu.

Diese Vorzüge der Utopier veranlassen ihre Nachbarn,obwohl sie frei und selbständig sind – vielevon ihnen sind durch die Utopier schon vor altersvon der Tyrannei befreit worden –, sich von ihnenihre obrigkeitlichen Personen, teils auf je ein Jahr,teils auf fünf Jahre, zu erbitten. Nach Ablauf ihrerAmtszeit geleiten die Fremden sie mit Ehre und Lobnach Utopien zurück und nehmen wieder neue Leutein die Heimat mit. Und diese Völker sorgen in derTat aufs beste für das Wohlergehen ihres Staates.Da nämlich dessen Heil und Verderben von der Führungder Beamten abhängt, hätten sie keine klügereWahl treffen können. Denn einerseits sind dieseFremden durch keinerlei Bestechung vom Wege derTugend abzubringen, da sie ja bei ihrer bald wiedererfolgenden Heimkehr nicht lange Nutzen von demGelde haben würden; anderseits sind ihnen die fremdenBürger unbekannt, und so lassen sie sich nichtvon unangebrachter Zuneigung oder Abneigung gegenirgend jemand leiten. Wo aber diese beiden Übel,Parteilichkeit und Geldgier, die Urteile beeinflussen,da ertöten sie sogleich alle Gerechtigkeit, den138Lebensnerv des staatlichen Lebens. Diese Völker,die sich von den Utopiern ihre Obrigkeiten erbitten,werden von ihnen Genossen genannt, die übrigenaber, denen sie Wohltaten erwiesen haben, Freunde.

Bündnisse, wie sie die übrigen Völker so oftuntereinander abschließen, brechen und wieder erneuern,gehen die Utopier mit keinem Volke ein.Wozu denn ein Bündnis? sagen sie. Genügen nichtdie natürlichen Bande der Menschen untereinander?Wer diese nicht achtet, sollte der sichetwa durch Worte gebunden fühlen? Zu dieser Ansichtkommen die Utopier wohl besonders dadurch,daß in jenen Ländern Bündnisse und Verträge derFürsten in der Regel zu wenig gewissenhaft gehaltenwerden. Und in der Tat ist in Europa, und zwarvor allem in den Teilen, wo christlicher Glaube undchristliche Religion herrschen, die Majestät der Verträgeüberall heilig und unverletzlich, teils infolgeder Gerechtigkeit und Redlichkeit der Fürsten selbst,teils infolge der Ehrerbietung und Scheu der Geistlichkeitgegenüber, die selber keine Verpflichtungauf sich nimmt, ohne sie aufs gewissenhafteste einzuhalten,die aber auch sämtlichen übrigen Fürstenbefiehlt, ihre Versprechen auf alle Weise zu erfüllen,dagegen diejenigen, die sich weigern, mit strengerKirchenstrafe dazu zwingt. Mit Recht fürwahrmeinen sie, es müßte höchst schimpflich erscheinen,wenn die Bündnisse jener Männer Treu und Glaubenvermissen ließen, die in besonderem Sinne»Gläubige« heißen. In jener neuen Welt dagegen,die von der unsrigen fast weniger noch durch denÄquator als durch Lebensweise und Sitten geschiedenist, kann man sich auf Verträge überhaupt nicht139verlassen. Je zahlreicher und feierlicher die Formalitätensind, mit denen ein Vertrag gleichsam verknotetist, um so schneller wird er gebrochen, weiles keine Mühe macht, seinen Wortlaut zu verdrehen.Die Leute dort setzen nämlich einen Vertrag bisweilenganz verzwickt auf. Infolgedessen sind sie auchniemals auf Grund so fester Bindungen zu fassen,daß sie nicht durch irgendeine Masche entschlüpfenund in gleicher Weise mit der Vertragstreue Spottund Hohn treiben könnten. Wenn sie solch eine hinterlistigeGesinnung, ja solch einen Lug und Trugin einem Vertrag von Privatleuten fänden, so würdensie unter starkem Stirnrunzeln laut schreien,das sei ein Verbrechen, das den Galgen verdiene,und natürlich gerade die Leute, die sich rühmen,ihren Fürsten selber dazu geraten zu haben. DieFolge davon ist, daß entweder die gesamte Gerechtigkeitnur als eine niedrige Tugend des gemeinenMannes erscheint, die sich tief unter den Thron desKönigs duckt, oder daß es zum mindesten zwei Artenvon Gerechtigkeit gibt. Die eine kommt dem gemeinenManne zu, geht zu Fuß, kriecht am Boden undist ringsum von zahlreichen Fesseln gehemmt, umnirgends eine Umzäunung überspringen zu können.Die andere ist die Tugend der Fürsten, erhabenerals die des Volkes, aber in ebenso weitem Abstandauch freier, die sich alles erlauben darf, was ihrgefällt.

Diese Treulosigkeit der Fürsten in jenen Ländern,die ihre Verträge so schlecht halten, ist meiner Meinungnach auch der Grund, daß die Utopier grundsätzlichkeine abschließen; möglicherweise aberwürden sie ihre Ansicht ändern, wenn sie hier lebten.140Freilich erscheint es ihnen überhaupt als einunheilvoller Brauch, ein Bündnis einzugehen, mages auch noch so gewissenhaft gehalten werden.Denn es veranlaßt die Völker zu der Annahme, daßsie zu gegenseitiger Feindschaft im öffentlichen wieim privaten Leben geschaffen seien und daß sie mitFug und Recht gegeneinander wüten, falls nichtBündnisse dem im Wege stehen, gerade als ob keinerleinatürliche Gemeinschaft zwei Völker miteinanderverbände, die nur ein winziger Zwischenraum,sei es ein Hügel oder ein Bach, trennt. Ja, selbstwenn Verträge abgeschlossen sind, so erwächst darausnach ihrer Ansicht noch keine Freundschaft;es bleibt vielmehr immer noch die Möglichkeit, denanderen zu übervorteilen, soweit man es aus Unbedachtsamkeitbei der Festsetzung des Wortlautsunterlassen hat, mit genügender Vorsicht eine Bestimmungmit aufzunehmen, die jene Möglichkeitausschließt. Die Utopier aber sind im Gegenteil derMeinung, man dürfe niemanden als Feind betrachten,der einem kein Unrecht getan hat. In ihrenAugen ist die Gemeinschaft der Natur so gut wieein Bündnis und bindet die Menschen durch gegenseitigesWohlwollen stärker und fester aneinanderals durch Verträge, durch die Gesinnung stärker undfester als durch Worte.

Das Kriegswesen

Den Krieg verabscheuen die Utopier als etwasganz Bestialisches mehr als alles andere, und dochgibt sich mit ihm keine Art von Bestien so dauernd141ab wie der Mensch. Der Anschauung fast aller Völkerzuwider halten die Utopier nichts für so unrühmlichwie den Ruhm, den man im Kriege gewinnt.Mögen sie sich nun auch beständig an dafürfestgesetzten Tagen in der Kriegskunst üben, undzwar nicht bloß die Männer, sondern auch dieFrauen, um im Bedarfsfalle kriegstüchtig zu sein,so beginnen sie einen Krieg doch nicht ohne weiteres,sondern nur zum Schutze ihrer eigenenGrenzen oder zur Vertreibung der ins Land ihrerFreunde eingedrungenen Feinde oder aus Mitleidmit irgendeinem Volk, das unter dem Drucke derTyrannei leidet, um es mit ihrer eigenen Machtvom Sklavenjoch des Tyrannen zu befreien, und dastun sie lediglich aus Menschenliebe. Ihren Freundenindessen leisten sie ihre Hilfe nicht immer nurzur Verteidigung, sondern bisweilen auch, damitdiese ein Unrecht, das man ihnen zugefügt hat,vergelten und rächen können. Jedoch greifen dieUtopier erst dann ein, wenn man sie noch vor Beginnder Feindseligkeiten um Rat fragt, wenn sieden Kriegsgrund billigen, wenn das, worum derStreit geht, zwar zurückgefordert, aber noch nichtzurückgegeben ist, und wenn auf ihre Veranlassunghin der Krieg begonnen wird. Dazu entschließen siesich nicht nur dann, wenn ihren Freunden beieinem feindlichen Einfall Beute geraubt wird, sondernauch dann, und zwar mit noch weit größererErbitterung, wenn sich deren Kaufleute irgendwoin der Welt unter dem Scheine des Rechts eineRechtsverdrehung gefallen lassen müssen indemman entweder unbillige Gesetze zum Vorwandnimmt oder gute verkehrt auslegt. Und so kam es142auch zu dem Kriege, den die Utopier kurz vor unsererZeit für die Nephelogeten gegen die Alaopolitenführten, aus keinem anderen Grunde, alsweil den Kaufleuten der Nephelogeten im Lande derAlaopoliten unter dem Scheine des Rechts Unrechtgetan worden war, wenigstens wie es den Utopiernschien. Mochte es sich nun in diesem Falle um Rechtoder Unrecht handeln, jedenfalls kam es zu einemRachekrieg, in dem sich zu den Streitkräften unddem Haß beider Parteien auch noch die Leidenschaftenund Hilfsmittel der Nachbarvölker geselltenund der dadurch so blutig wurde, daß die blühendstenVölker zum Teil stark erschüttert, zumTeil schwer heimgesucht wurden und immer einÜbel aus dem anderen entstand. Das Unglück endeteschließlich mit der Versklavung und Unterwerfungder Alaopoliten, die so unter die Herrschaft derNephelogeten kamen – die Utopier kämpften nämlichnicht für ihre eigenen Interessen –, die Nephelogetenaber waren in der Blütezeit der Alaopolitenkeineswegs mit diesen zu vergleichen gewesen.

Mit solchem Nachdruck rächen die Utopier einihren Freunden zugefügtes Unrecht, auch wenn essich dabei nur um Geld handelt; in ihren eigenenAngelegenheiten dagegen zeigen sie nicht den gleichenEifer. Wenn sie nämlich einmal irgendwo betrogenwerden und eine Einbuße an Geld und Gutdabei erleiden, so gehen sie in ihrem Zorn, vorausgesetzt,daß mit dem Verlust kein Schaden an Leibund Seele verbunden ist, nur so weit, daß sie bis zurLeistung von Genugtuung mit dem betreffendenVolke keinen Handel mehr treiben. Dabei liegenihnen die Interessen ihrer Mitbürger nicht etwa143weniger am Herzen als die ihrer Genossen; überderen Geldverlust aber sind sie trotzdem deshalb aufgebrachter,weil die Kaufleute ihrer Freunde unterder Einbuße schwer zu leiden haben, da diese etwasvon ihrem Privatbesitz verlieren, ihren Mitbürgerndagegen nur etwas auf Rechnung des Staates verlorengeht,überdies nur von daheim reichlich vorhandenemund in gewissem Sinne überflüssigemGut – sonst könnte man es ja nicht ins Auslandausführen –, so daß der einzelne den Verlustgar nicht so empfindet. Deshalb ist es in den Augender Utopier auch eine zu große Grausamkeit, durchden Tod vieler einen Schaden zu rächen, dessennachteilige Folgen keiner von ihnen weder am Lebennoch am Lebensbedarf deutlich zu spüren bekommt.Wird jedoch einer ihrer Landsleute irgendwoauf ungerechte Weise mißhandelt oder gar getötet,so lassen die Utopier den Tatbestand durchihre Gesandten ermitteln, ganz gleich, ob der Anschlagvom Staat oder von einer Privatperson ausgegangenist, und sind nur durch Auslieferung derSchuldigen von einer sofortigen Kriegserklärung abzuhalten.Die Ausgelieferten bestrafen sie für ihrVergehen entweder mit dem Tode oder mit Sklavenarbeit.

Ein blutiger Sieg bereitet den Utopiern nicht nurVerdruß, sondern sie schämen sich sogar seiner,weil sie sich sagen, es sei eine Torheit, auch nochso kostbare Waren zu teuer zu kaufen. Haben sieaber durch Geschick und List den Sieg errungenund den Feind bezwungen, so prahlen sie laut damit,feiern aus diesem Anlaß von Staats wegen einenTriumph und errichten ein Siegesdenkmal, als hätten144sie eine Heldentat vollbracht. Ihrer Mannhaftigkeitund Tapferkeit rühmen sie sich nämlich immererst dann, wenn sie so gesiegt haben, wie es keinLebewesen außer dem Menschen vermocht hätte,das heißt mit den Kräften des Geistes. Denn mit denKräften des Körpers, so sagen sie, führen Bären,Löwen, Eber, Wölfe, Hunde und die übrigen wildenTiere den Kampf; die meisten von ihnen sind unszwar an Kraft und Wildheit überlegen, aber alle zusammenübertreffen wir an Geist und Vernunft.

Nur das eine haben die Utopier bei einem Kriegeim Auge: das zu erreichen, was sie schon früherhätten erreichen müssen, um sich den Krieg zu ersparen;oder wenn das sachlich unmöglich ist, sonehmen sie an denen, die sie für schuldig halten,eine so grimmige Rache, daß der Schrecken Leute,die dasselbe wagen wollten, in Zukunft davon abhält.Das sind die Ziele, die sie sich für ihr Vorhabenstecken und die sie rasch zu erreichen suchen,aber so, daß sie mehr darauf bedacht sind, die Gefahrzu vermeiden, als Lob und Ruhm zu ernten.Deshalb lassen sie sogleich nach der Kriegserklärungheimlich und zu gleicher Zeit an den Punktendes feindlichen Landes, die am besten zu sehensind, Proklamationen, die das Siegel ihres Staatestragen, in großer Zahl anschlagen. In ihnen versprechensie dem, der den gegnerischen Fürsten umbringt,riesige Belohnungen; sodann setzen sie geringere,aber gleichwohl noch recht ansehnlichePreise auf die Köpfe einzelner Personen, die sie indenselben Anschlägen namentlich anführen. Dassind die Männer, die sie nächst dem Fürsten selberfür die Urheber des Planes halten, den man gegen145sie geschmiedet hat. Welchen Betrag sie aber auchfür den Mörder aussetzen, sie zahlen ihn in doppelterHöhe dem, der ihnen einen von den Geächtetenlebend bringt, und ebenso suchen sie die Geächtetenselbst durch die gleichen Belohnungen und außerdemdurch die Zusicherung von Straflosigkeiten gegenihre Genossen aufzuhetzen. So kommt es schnell dahin,daß jene auch die anderen Menschen mit Argwohnbetrachten, sich einander selbst kein rechtesVertrauen mehr schenken und auch keine rechteTreue mehr halten und daher in größter Furcht undnicht geringerer Gefahr leben. Denn, wie bekannt,ist es schon mehr als einmal vorgekommen, daß dieGeächteten zu einem großen Teil und vor allem derFürst selber von denen verraten wurden, auf die siedie größte Hoffnung setzten. So leicht verleitenBelohnungen zu jedem beliebigen Verbrechen. Fürdiese Prämien setzen die Utopier auch keine bestimmteHöhe fest. Indem sie vielmehr die Größeder Gefahr bedenken, zu der sie verleiten, bemühensie sich, sie durch die Höhe der Belohnungen aufzuwiegen,und aus diesem Grunde stellen sie nichtnur eine unermeßliche Menge Gold in Aussicht, sondernauch recht ertragreiche Landgüter an ganzsicheren Orten in den Ländern ihrer Freunde, undzwar als dauernden Besitz, und halten ihr Versprechenmit gewissenhafter Treue. Dieser Brauch, denFeind gegen Gebot zu kaufen, den andere Völker alsBeweis einer entarteten Gesinnung und als grausameUntat verwerfen, ist in den Augen der Utopierein hohes Lob. Ja, sie dünken sich auch klug, weilsie auf diese Weise die größten Kriege ohne jedenKampf völlig zu Ende bringen, und sogar human146und mitleidsvoll, weil sie mit dem Tode einigerweniger Schuldiger das Leben zahlreicher Unschuldigererkaufen, die sonst im Kampfe gefallen wären,teils aus den Reihen der Ihrigen, teils aus denen derFeinde, deren Menge und Masse sie fast ebenso bedauernwie ihre eigenen Landsleute; wissen sie dochrecht wohl, daß jene einen Krieg nicht aus freienStücken anfangen, sondern weil die blinde Leidenschaftihrer Fürsten sie dazu treibt. Kommen sieauf diese Weise nicht weiter, so säen und nähren sieZwietracht, indem sie dem Bruder des Fürsten odersonst einem aus dem Adel Hoffnung auf den Thronmachen. Wenn die Parteien im Inneren versagen,so wiegeln die Utopier die Nachbarvölker des Feindesauf und verwickeln sie in einen Krieg mit ihm,indem sie irgendeinen alten Vorwand hervorsuchen,woran es ja Königen niemals fehlt.

Haben sie diesen Völkern ihren Beistand imKriege versprochen, so stellen sie ihnen reichlichGeld zur Verfügung, Hilfskräfte aus den Reihenihrer Bürger jedoch nur ganz spärlich; denn diesesind ihnen so außerordentlich lieb und wert, undsie schätzen sich gegenseitig so hoch, daß sie einenihrer Landsleute nur ungern gegen den feindlichenFürsten austauschen würden. Gold und Silber dagegen,dessen gesamte Menge sie einzig und alleinfür diesen Zweck aufbewahren, geben sie von Herzengern hin; sie könnten ja ebenso bequem leben,auch wenn sie es vollständig aufbrauchten. Dennaußer dem Reichtum im Inland besitzen sie ja noch,wie früher erwähnt, bei den meisten Völkern desAuslands einen unermeßlichen Schatz von Guthaben.So werben sie denn überall Söldner an, vornehmlich147aus dem Volk der Zapoleten, und lassen sie in denKrieg ziehen.

Diese wohnen 500 Meilen östlich von Utopien. Unkultiviert,roh und wild, wie sie sind, lassen siedeutlich merken, daß sie inmitten von Wäldern undrauhen Bergen aufgewachsen sind. Sie sind ein kräftigerVolksstamm, unempfindlich gegen Hitze, Kälteund Anstrengung, unbekannt mit allen Annehmlichkeitendes Lebens, nicht begeistert für den Ackerbau,nachlässig in Wohnung und Kleidung und nurfür die Viehzucht interessiert. Zu einem großen Teileleben sie von Jagd und Raub. Einzig und allein zumKrieg geboren, suchen die Zapoleten eifrig nacheiner Gelegenheit zur Teilnahme an einem solchen,und finden sie eine, so ergreifen sie sie mit Leidenschaft,ziehen in großer Zahl außer Landes und bietensich für wenig Geld dem ersten besten an, derSoldaten sucht. Dies Handwerk, den Tod zu suchen,ist das einzige ihres Lebens, das sie verstehen. Fürihren Dienstherrn schlagen sie sich mit Hingebungund unbestechlicher Treue. Doch verpflichten siesich nicht bis zu einem bestimmten Termin, sondernwenn sie Partei ergreifen, so tun sie das nur unterder Bedingung, daß sie am nächsten Tage auf seitendes Feindes stehen dürfen, falls dieser ihnen höherenSold bietet; ebenso kehren sie dann am übernächstenTage, durch eine Kleinigkeit Geld mehrverlockt, wieder zurück. Nur selten kommt es zueinem Kriege, in dem sie nicht zu einem großenTeile auf beiden Seiten kämpfen. So werden täglichBlutsverwandte, bisher Söldner der gleichenPartei und einander die besten Kameraden, balddarauf auseinandergerissen, geraten in feindliche148Heere, treffen als Gegner aufeinander und metzelnsich gegenseitig nieder wie erbitterte Feinde, dieihre Abstammung vergessen haben und nicht mehran ihre frühere Freundschaft denken. Dabei veranlaßtsie kein anderer Grund zur gegenseitigenVernichtung, als daß zwei feindliche Fürsten siefür ein paar lumpige Geldstücke gemietet haben.Dieses Geld berechnen sie sich so genau, daß siesich durch die Erhöhung des täglichen Soldes umnur einen Heller zu einem Wechsel der Partei verleitenlassen. So hat sich in ihren Herzen rasch dieHabgier eingenistet, von der sie jedoch keinen Vorteilhaben; was sie nämlich mit ihrem Blute gewinnen,verbrauchen sie alsbald wieder mit einerVerschwendung, die gleichwohl armselig ist.

Dieses Volk kämpft für die Utopier gegen alleWelt, weil niemand anderswo seine Dienstleistungso gut bezahlt wie diese. Wie sich nämlich die Utopiernach guten Menschen umsehen, um sie in ihremDienst nützlich zu verwenden, so werben sie auchdiese Schurken an, um sie zu mißbrauchen. Nötigenfallsmachen sie ihnen lockende Versprechungen undsetzen sie an den gefährlichsten Punkten ein. Meistkommt dann ein großer Teil von ihnen niemalswieder zurück und kann die versprochenen Belohnungengar nicht anfordern. Den Überlebenden aberzahlen die Utopier gewissenhaft aus, was sie versprochenhaben, um sie zu ähnlichen Wagnissen anzusp*rnen.Sie fragen nämlich nicht danach, wieviele von ihnen durch ihre Schuld ums Leben kommen,weil sie sich, wie sie meinen, das größte Verdienstum die Menschheit erwerben würden, wennsie den Erdkreis von jenem Abschaum eines so greulichen149und ruchlosen Volkes gründlich säubernkönnten.

Nächst den Zapoleten verwenden die Utopier auchdie Streitkräfte desjenigen Volkes, für das sie zuden Waffen greifen, und die Hilfsscharen ihreranderen Freunde; an letzter Stelle erst ziehen sieihre Mitbürger heran. Aus deren Mitte nehmen sieeinen Mann von erprobter Tapferkeit und stellen ihnan die Spitze des gesamten Heeres. Ihm ordnen siezwei Mann unter in der Art, daß beide nur alsPrivatleute gelten, solange der Oberbefehlshaberdienstfähig ist; wird er jedoch gefangengenommenoder fällt er, so tritt der eine von jenen beidengleichsam sein Erbe an, und ihn ersetzt gegebenenfallsder andere, damit nicht in den bunten Wechselfällender Kriege infolge einer Gefährdung desFührers das ganze Heer in Unordnung gerät. Injeder Stadt hebt man Freiwillige aus; man preßtnämlich niemanden wider seinen Willen zum Kriegsdienstaußerhalb der Grenzen seiner Heimat, weilman der Überzeugung ist, daß einer, der von Naturetwas furchtsam ist, nicht nur selbst sich nicht tapferzeigen, sondern auch seine Kameraden mit seinerAngst anstecken wird. Bricht aber der Feind insLand ein, so steckt man die Feiglinge dieser Art imFalle körperlicher Tauglichkeit auf die Schiffe unterbessere Soldaten oder verteilt sie auf die einzelnenFestungen, von wo sie nicht ausreißen können. Siemüssen sich vor ihren Kameraden schämen, habenden Feind unmittelbar vor sich und sehen keineMöglichkeit zur Flucht: so vergessen sie ihre Furchtund werden oft durch höchste Not zu mutigen Männern.So wenig aber einerseits ein Utopier wider seinen150Willen zu einem auswärtigen Kriege fortgeschlepptwird, so wenig hindert man anderseits die Frauen,mit ihren Männern ins Feld zu ziehen; ja, man fordertsie dazu noch auf und sp*rnt sie dazu an, indemman sie lobt. Die Frauen, die mitausrücken,stellt man an der Front mit ihren Männern in eineReihe; außerdem hat ein jeder Kämpfer seine Kinder,Verwandten und Angehörigen um sich, damitsich diejenigen einander aus nächster Nähe beistehenkönnen, die die Natur am stärksten zu gegenseitigerHilfe ansp*rnt. Die höchste Schmach ist esfür einen Gatten, ohne den anderen heimzukommen,oder für einen Sohn, seinen Vater zu überleben.Infolgedessen kämpft man, wenn es zum Handgemengekommt und die Feinde standhalten, ineinem langen und unheilvollen Ringen bis zur Vernichtung.Zwar suchen die Utopier mit allen Mittelnzu verhüten, in eigener Person kämpfen zumüssen, wofern sie nur den Krieg mit Hilfe einerSchar gemieteter Stellvertreter zu Ende bringenkönnen; wenn es sich jedoch nicht vermeiden läßt,daß sie selber mitkämpfen, so nehmen sie den Kampfebenso unerschrocken auf, wie sie sich vorher klugzurückgehalten haben, solange es möglich war. Undbeim ersten Angriff gehen sie nicht mit wildem Ungestümvor; vielmehr wächst ihre Stärke langsam undallmählich und je länger der Kampf dauert. Dabeisind sie so unbeugsamen Sinnes, daß sie sich eherniedermetzeln als in die Flucht schlagen lassen;denn das beruhigende Bewußtsein, daß ein jederdaheim zu leben hat, sowie die Befreiung von derquälenden Sorge um das Los ihrer Nachkommen –eine Besorgnis, die sonst überall einen tapferen151Sinn lähmt, – machen die Kämpfer hochgemut, sodaß sie den Gedanken, sich besiegen zu lassen,als unwürdig von sich weisen. Außerdem flößt ihnenihre militärische Erfahrung Zuversicht ein, undschließlich sp*rnt sie die gute Erziehung, die sie inder Schule und durch die trefflichen Einrichtungenihres Staates von Kind auf genossen haben, nochmehr zur Tapferkeit an. Infolgedessen ist in ihrenAugen das Leben weder so wertlos, daß sie esblindlings vergeuden, noch so übertrieben wertvoll,daß sie damit geizen und sich in schimpflicher Weisedaran klammern, wenn die Ehre dazu rät, es hinzugeben.Wenn der Kampf allerorten am wildestentobt, nehmen sich die auserlesensten Jünglinge, diesich dazu verschworen und geweiht haben, denfeindlichen Führer zum Gegner; auf ihn dringen sieoffen ein, ihn greifen sie aus dem Hinterhalt an,und aus der Ferne wie aus der Nähe gehen sie aufihn los, und in einem langen und lückenlosen Keil– denn die wegen Ermüdung ausfallenden Kämpferwerden beständig durch frische ersetzt – stürmensie gegen ihn an. Nur selten kommt es vor, daß ernicht niedergestochen wird oder daß er nicht lebendigin die Gewalt seiner Feinde gerät, es sei denn,daß er sich durch die Flucht rettet.

Ist der Sieg auf seiten der Utopier, so metzeln sienicht wild darauf los; statt die Geschlagenen umzubringen,nehmen sie sie lieber gefangen. Auch verfolgensie die Fliehenden niemals so blindlings, daßsie bei alledem nicht wenigstens noch eine geordneteund kampfbereite Schar zurückbehielten.Wenn daher ihre übrigen Verbände geschlagen sindund sie erst mit dem letzten den Sieg errungen152haben, so lassen sie die Feinde lieber ganz und garentfliehen, als daß sie sich dazu entschließen, dieFliehenden mit ungeordneten Verbänden ihrer Truppenzu verfolgen. Sie vergessen nämlich nicht, wasihnen selbst mehr als einmal widerfahren ist. DieMasse ihres gesamten Heeres war völlig besiegt;die Feinde jubelten über ihren Sieg und zerstreutensich hier und da auf der Verfolgung. Die Utopierdagegen hatten einige wenige ihrer Leute im Hinterhaltaufgestellt, die auf günstige Gelegenheitenlauerten. Sie griffen die Feinde, die vereinzelt umherschwärmtenund es in voreiliger Sorglosigkeitan der nötigen Vorsicht fehlen ließen, plötzlich anund veränderten das Ergebnis der ganzen Schlacht.Sie wanden den Feinden den Sieg, der ihnen schonsicher war und an dem sie nicht mehr gezweifelthatten, aus den Händen und besiegten als Besiegtewiederum die Sieger.

Es ist schwer zu sagen, ob die Utopier einen Hinterhaltmit größerer Schlauheit zu legen oder mitgrößerer Vorsicht zu vermeiden wissen. Man könntemeinen, sie träfen Vorbereitungen zur Flucht, wennsie alles andere eher im Sinne haben, und umgekehrt,wenn sie die Absicht haben zu fliehen,könnte man meinen, sie dächten an nichts weniger.Fühlen sie sich nämlich hinsichtlich ihrer Zahl oderStellung zu sehr im Nachteil, so ziehen sie bei Nachtin aller Stille ab oder täuschen den Feind durchirgendeine Kriegslist, oder sie gehen bei Tage soallmählich und in so guter Ordnung zurück, daß esebenso gefährlich ist, sie während des Abrückensanzugreifen wie während des Anstürmens. Ihr Lagerbefestigen sie überaus sorgfältig mit einem sehr153tiefen und breiten Graben, wobei sie die ausgehobeneErde nach innen werfen. Dazu verwenden siekeine Tagelöhner, sondern die Soldaten selbst besorgendie Arbeit, und das gesamte Heer hilft dabeimit, ausgenommen die Posten, die bewaffnet vor demWall Wache halten, um plötzliche Überfälle abzuwehren.Und so legen die Utopier bei so zahlreicherMitarbeit starke und weitausgedehnte Befestigungenwider alles Erwarten in kurzer Zeit an.

Die Waffen, die die Utopier verwenden, sindstark genug zur Abwehr von Angriffen, ohne jedochjede Art von Bewegung oder Haltung zu hindern;ja nicht einmal beim Schwimmen empfindet man sieals lästig. Denn in voller Ausrüstung schwimmen zulernen, gehört zu den Anfangsgründen der militärischenAusbildung der Utopier. Im Kampf aus derFerne benutzen sie Pfeile, die sie mit großer Kraftund zugleich mit bester Treffsicherheit abschießen,und zwar nicht bloß zu Fuß, sondern sogar vomPferde aus. Im Nahkampf aber führen sie keineSchwerter, sondern Äxte, die durch ihre Schärfeoder Schwere tödlich verwunden, je nachdem mansie zum Hieb oder Stich verwendet. In der Erfindungvon Kriegsmaschinen beweisen die Utopierganz besonderen Scharfsinn; die fertigen Maschinenhalten sie mit größter Sorgfalt geheim, damit sienicht bekannt werden, ehe man sie braucht, undnicht mehr Spott und Hohn erregen als Nutzen stiften.Bei ihrer Herstellung achtet man besonders darauf,daß sie leicht zu fahren und bequem zu lenkensind. Einen Waffenstillstand, den die Utopier mitdem Feind abschließen, halten sie so gewissenhaft,daß sie ihn nicht einmal dann verletzen, wenn sie154gereizt werden. Im Feindesland richten sie keineVerwüstungen an; auch brennen sie die Saaten nichtnieder. Ja, sie sorgen sogar dafür, daß nach Möglichkeitweder Menschen noch Pferde die Saatenzertreten, weil sie der Ansicht sind, daß sie zuihrem eigenen Vorteil wachsen. Einem Wehrlosentun sie nichts zuleide, wenn er nicht gerade einSpion ist. Städte, die sich ihnen ergeben, schonen sie;aber auch solche, die sie erst erobern müssen, plündernsie nicht; wohl aber lassen sie diejenigen Bürger,die die Übergabe zu verhindern gesucht haben, erwürgen,während sie die anderen Verteidiger zu Sklavenmachen. Der gesamten Bevölkerung, die nichtmitgekämpft hat, wird kein Haar gekrümmt. Wenndie Utopier erfahren, daß einige Bürger zur Übergabegeraten haben, so machen sie ihnen einen Teilvon dem Hab und Gut der Verurteilten zum Geschenk;den Rest geben sie ihren Hilfstruppen:denn von ihnen selbst begehrt niemand einen Anteilan der Beute. Nach Beendigung des Krieges aberlegen sie die Kosten nicht ihren Freunden auf, fürdie sie sie aufgewendet haben, sondern den Besiegtenund fordern auf Grund dessen zum Teil baresGeld, das sie dann für ähnliche Kriegszwecke aufsparen,zum Teil Grund und Boden, der ihnen imLande der Besiegten dauernd gehört und einen nichtgeringen Ertrag bringt.

Derartige Einkünfte haben die Utopier jetzt beivielen Völkern; sie sind aus verschiedenen Ursachenim Laufe der Zeit entstanden und bis auf mehr als700000 Dukaten im Jahr angewachsen. Zu ihrer Erhebungentsenden sie einige von ihren Mitbürgernals sogenannte Quästoren, die in dem fremden Lande155prächtig leben und in der Art großer Herren auftreten.Aber trotzdem bleibt noch viel Geld übrig,das in die Staatskasse fließt, soweit es die Quästorennicht lieber dem betreffenden Volke leihen wollen,was sie häufig so lange tun, bis sie es notwendigbrauchen. Und kaum jemals kommt es vor, daßsie den ganzen Betrag zurückverlangen. Von demerwähnten Grund und Boden übereignen die Utopiereinen Teil denjenigen, die sich auf ihre Veranlassungeiner so großen Gefahr aussetzten, wie ichsie weiter oben geschildert habe.

Greift irgendein Fürst zu den Waffen gegen dieUtopier und schickt er sich an, in ihr Gebiet einzufallen,so treten sie ihm sogleich mit starkenKräften außerhalb ihres Landes entgegen; dennweder führen sie ohne Not im eigenen Lande Krieg,noch ist irgendeine Not jemals so schlimm, daß siedie Utopier zwingen könnte, fremde Hilfstruppenauf ihre Insel zu lassen.

Die Religion der Utopier

Die religiösen Vorstellungen sind nicht nur in deneinzelnen Teilen der Insel, sondern auch in den einzelnenStädten verschieden, indem die einen dieSonne, die andern den Mond und wieder anderediesen oder jenen Planeten als Gottheit anbeten.Einige verehren auch einen beliebigen Menschen,der vor alters durch Tugend oder Ruhm geglänzt hat,nicht bloß als Gott, sondern sogar als höchsten Gott.Aber der weit größte und zugleich weitaus klügereTeil glaubt an nichts von alledem, sondern nur an156ein einziges, unerkanntes, ewiges, unendliches undunerforschliches göttliches Wesen, das über menschlichesBegriffsvermögen erhaben ist und dieses ganzeWeltall erfüllt, und zwar als tätige Kraft, nicht alskörperliche Masse; man nennt es Vater. Ihm schreibtman Ursprung, Wachstum, Fortschritt, Wandel undEnde aller Dinge zu, und ihm allein erweist mangöttliche Ehren. Mit den Anhängern dieser Lehrestimmen auch alle anderen trotz aller Glaubensunterschiedein diesem einen Punkte überein, daß sie anein höchstes Wesen glauben, dem die Erschaffungder Welt und die Vorsehung zu verdanken ist, unddieses göttliche Wesen nennen sie alle ohne Unterschiedin ihrer heimischen Sprache Mythras. Aberinsofern sind sie verschiedener Ansicht, daß die einzelnenihn verschieden auffassen. Dabei glaubt aberjeder, was es auch sein möge, das er persönlich fürdas Höchste hält, es sei doch durchaus dasselbe Wesen,dessen göttliche Macht und Majestät allein nachder übereinstimmenden Überzeugung aller Völkerder Inbegriff aller Dinge ist. Indessen machen siesich alle im Laufe der Zeit von der Mannigfaltigkeitabergläubischer Vorstellungen frei und lassen ihreAnschauungen zu jener einen Religion verschmelzen,die, wie es scheint, vernünftiger ist als die anderen.Und ohne Zweifel wären die übrigen religiösen Vorstellungenschon längst nicht mehr vorhanden, wennnicht alles Ungemach, das jemandem bei dem Vorhaben,seine Religion zu wechseln, zufällig widerfährt,von ihm aus Furcht als eine Schickung desHimmels aufgefaßt würde, gleich als ob die Gottheit,deren Verehrung aufgegeben werden sollte, dengottlosen und gegen sie gerichteten Plan ahnden157wolle. Nachdem die Utopier jedoch durch uns vonChristi Namen, Lehre, Art und Wundern gehört hattenund ebenso von der staunenerregenden Standhaftigkeitder zahlreichen Märtyrer, deren freiwilligvergossenes Blut so zahlreiche Völker weit und breitzu Christus bekehrt hat, da nahmen auch sie miteinem kaum glaublichen Verlangen seine Lehre an,sei es nun, weil es Gott ihnen mehr im geheimeneingab, oder sei es, weil das Christentum, wie esschien, der bei ihnen selbst am weitesten verbreitetenLehre am nächsten kam. Gleichwohl möchte ichauch dem Umstand nicht wenig Gewicht beimessen,daß sie gehört hatten, Christus habe an der gemeinschaftlichenLebensweise seiner Jünger Gefallen gefundenund sie sei bei den Zusammenkünften derechten Christen noch heutigestags üblich. Von welcherBedeutung das nun auch gewesen sein mag,jedenfalls traten nicht wenige zu unserem Glaubenüber und ließen sich mit dem geweihten Wasser taufen.Leider war unter uns vieren – nur so vielewaren wir noch, da zwei gestorben waren – keinPriester. Infolgedessen müssen die Utopier, wenn sieauch im übrigen eingeweiht sind, dennoch bis heuteauf den Genuß der Sakramente verzichten, da diesebei uns nur die Priester spenden dürfen. Doch sindsie sich über deren Wert und Bedeutung klar undhaben keinen sehnlicheren Wunsch; ja, sie erörternbereits lebhaft die Frage, ob nicht auch ohne Auftragdes Papstes der Christenheit einer aus ihrenReihen gewählt und zum Priester ernannt werdenkann. Und es schien so, als hätten sie die Absicht,einen zu wählen, aber bei meiner Abreise war dasnoch nicht geschehen.

158Auch die, die vom Christentum nichts wissen wollen,machen trotzdem niemanden abspenstig undlassen jeden, der dazu übertritt, unbehelligt. Nureiner aus unserer Gemeinschaft wurde während meinerAnwesenheit verhaftet. Als Neugetaufter redeteer, obgleich wir ihm davon abrieten, öffentlich überdie Verehrung Christi mit mehr Eifer als Klugheit.Dabei geriet er allmählich so in Hitze, daß er sichbald nicht mehr damit begnügte, das, was nur unsheilig ist, über alles andere zu stellen. Er verurteiltevielmehr ohne weiteres alle anderen Lehren, nanntesie unheilig und bezeichnete ihre Anhänger als ruchloseGotteslästerer, die es verdienten, in die Hölle zukommen. Wenn einer lange öffentlich so redet, nehmenihn die Utopier fest und stellen ihn vor Gericht,aber nicht wegen Religionsverletzung, sondernwegen Volksverhetzung, und, wenn er für schuldigbefunden wird, bestrafen sie ihn mit Verbannung;denn unter ihre ältesten Bestimmungen rechnen siedie, daß niemand von seiner Religion Schaden habendarf. Utopus hatte nämlich gleich anfangs erfahren,daß die Eingeborenen vor seiner Ankunft beständigReligionskämpfe miteinander geführt hatten; erhatte auch beobachtet, daß bei der allgemeinenUneinigkeit die Sekten einzeln für das Vaterlandkämpften und daß ihm dieser Umstand Gelegenheitbot, sie insgesamt zu besiegen. Als er dann den Siegerrungen hatte, setzte er Religionsfreiheit für jedermannfest und bestimmte außerdem, wenn jemandauch andere zu seinem Glauben bekehren wolle, sodürfe er es nur in der Weise betreiben, daß er seineAnsicht ruhig und bescheiden auf Vernunftgründenaufbaue, die anderen aber nicht mit bitteren Worten159zerpflücke. Gelinge es ihm nicht, durch Zuredenzu überzeugen, so solle er keinerlei Gewalt anwendenund sich nicht zu Schimpfworten hinreißen lassen.Geht aber jemand in dieser Sache zu ungestümvor, so bestrafen ihn die Utopier mit Verbannungoder Sklavendienst. Diese Bestimmung traf Utopusnicht bloß im Interesse des Friedens, den, wie ersah, beständiger Kampf und unversöhnlicher Haßvon Grund aus zerstörten, sondern weil er der Ansichtwar, damit sei auch der Religion gedient. Erwagte es auch nicht, über die Religion so ohne weitereseine Entscheidung zu treffen, gleichsam in Ungewißheitdarüber, ob Gott nicht doch einen mannigfaltigenund vielseitigen Kult haben wolle und deshalbdie einzelnen auf verschiedene Weise inspiriere.Jedenfalls hielt er es für eine Anmaßung und Torheit,wenn jemand mit Gewalt und Drohungen verlangte,daß alle seine persönliche Ansicht über dieWahrheit teilten. Sollte aber wirklich nur einer Religiondie meiste Wahrheit zukommen und solltenalle anderen wertlos sein, so würde sich dannschließlich einmal, das sah Utopus sicher voraus,die Macht der Wahrheit schon von selbst Bahn brechenund sich deutlich offenbaren, wenn man ihreSache nur mit Vernunft und Mäßigung betreibe.Kämpfe man aber mit Waffen und Aufruhr um dieReligion, so werde die beste und erhabenste zwischenden nichtigsten Wahnvorstellungen der Streitendenerstickt werden wie die Saaten zwischenDornen und Gestrüpp, da gerade die schlechtestenMenschen am hartnäckigsten seien. Daher ließ Utopusdiese ganze Frage unentschieden und stellte eseinem jeden anheim, was er glauben wollte. Nur160sollte niemand, das gebot er feierlich und streng, dieWürde der menschlichen Natur so weit vergessen,daß er annehme, die Seele gehe zugleich mit demKörper zugrunde oder im Laufe der Welt walte derblinde Zufall und nicht die göttliche Vorsehung.Und deshalb erwarten den Menschen, wie die Utopierglauben, nach diesem Leben Strafen für seineMissetaten und Belohnungen für seine Tugenden.Wer das Gegenteil annimmt, ist in ihren Augennicht einmal ein Mensch, weil er die menschlicheSeele in ihrer Erhabenheit in den niedrigen Zustandtierischer Körperlichkeit herunterdrückt; weit wenigernoch rechnen sie ihn zu ihren Mitbürgern. Dennum all ihre Einrichtungen und Sitten würde er sichnicht im geringsten kümmern, wenn ihn nicht dieFurcht davon abhielte. Wer sollte nämlich daranzweifeln, daß ein solcher Mensch danach trachtenwürde, die Staatsgesetze seines Landes entwederim geheimen mit List zu umgehen oder mit Gewaltzu verletzen, sofern er dadurch seine persönlichenWünsche befriedigen kann, da er ja über die Gesetzehinaus nichts mehr fürchtet und über den Todhinaus nichts mehr erhofft? Deshalb erweist maneinem, der so gesinnt ist, keine Ehre und überträgtihm auch kein öffentliches Amt. So wird er allenthalbenals ein unbrauchbarer Mensch von niedrigemCharakter verachtet. Aber eine wirkliche Strafe erleideter nicht, weil es die Überzeugung der Utopierist, daß es nicht im Belieben des Menschen stehtzu glauben, was er will. Sie zwingen ihn auchweder mit irgendwelchen Drohungen, seine wahreGesinnung zu verheimlichen, noch lassen sie Heucheleiund Lügen zu, die in ihren Augen an Betrug161grenzen und ihnen deshalb überaus verhaßt sind.Wohl aber verbieten sie ihm, seine Meinung zu verteidigen,jedoch nur vor der großen Masse. Sonstnämlich, in einem geschlossenen Kreise von Priesternund ernsten Männern, lassen sie es nicht bloßzu, sondern fordern auch noch dazu auf, weil siezuversichtlich damit rechnen, sein Wahnsinn werdedoch noch endlich einmal der Vernunft weichen.

Andere, und zwar gar nicht wenige, begehen dengerade entgegengesetzten Fehler – man machtihnen keine Schwierigkeiten, da ihre Ansicht nichtganz unbegründet ist und sie selbst nicht bösartigsind – und meinen, auch die Tierseelen seien unsterblich,jedoch nicht vergleichbar an Würde mitunseren Menschenseelen und auch nicht zu gleicherGlückseligkeit geschaffen. Die Utopier sindnämlich fast alle fest davon überzeugt, daß denMenschen eine unbegrenzte Glückseligkeit bevorsteht.Infolgedessen wehklagen sie stets, wenn jemandkrank ist, niemals aber, wenn jemand stirbt;sie müßten denn gerade sehen, wie sich der Sterbendenur mit Angst und Widerwillen vom Lebenlosreißt. Das halten sie nämlich für ein ganzschlimmes Vorzeichen, gleich als ob die Seele ohneHoffnung und mit schlechtem Gewissen in irgendeinerdunklen Ahnung drohender Strafe vor demEnde zurückschaudere. Außerdem wird sich nachihrer Meinung Gott nicht über die Ankunft einesMenschen freuen, der auf seinen Ruf nicht bereitwilligherbeieilt, sondern sich nur ungern undwiderstrebend hinschleppen läßt. Vor einem solchenSterben entsetzen sich denn auch die, die es mit ansehen,und wer so stirbt, wird in Trauer und aller162Stille aus der Stadt getragen; dann betet man zu demden Seelen der Verstorbenen gnädigen Gott, er mögedem Heimgegangenen seine Sünden aus Gnaden vergeben,und setzt die Leiche bei. Wer dagegen freudigund voll Zuversicht stirbt, wird von niemandembetrauert, sondern unter Gesang gibt man ihm dasletzte Geleit und empfiehlt seine Seele liebevoll demgroßen Gott. Schließlich verbrennt man den Leichnammehr in Ehrfurcht als in Trauer und errichtetan Ort und Stelle eine Denksäule, in die die Ehrentiteldes Toten eingemeißelt sind. Nach der Rückkehrvon der Beisetzung unterhält man sich überLebenswandel und Taten des Heimgegangenen, undkein Abschnitt seines Lebens wird dabei häufigeroder lieber besprochen als sein seliges Ende.

Dieses ehrende Gedenken rechtschaffener Menschenist in den Augen der Utopier für die Lebendenein überaus wirksamer Anreiz zur Tugend und zugleichfür die Verstorbenen eine höchst willkommeneVerehrung. Sie denken sich nämlich, daß die Heimgegangenenbei den Gesprächen über sie zugegensind, wenn auch unsichtbar für das schwache Auge derSterblichen. Einerseits nämlich würde es gar nicht mitihrer Glückseligkeit vereinbar sein, wenn sie in ihrerBewegungsfreiheit beschränkt wären, und anderseitswäre es undankbar von ihnen, wenn sie überhauptkeine Sehnsucht mehr empfänden, ihre Liebenwiederzusehen, mit denen sie bei Lebzeiten durchgegenseitige Liebe und Hochschätzung verbundenwaren, Neigungen, die bei guten Menschen, so vermutetman, wie die übrigen trefflichen Eigenschaftennach dem Tode eher noch zu- als abnehmen. Die Utopierglauben demnach, daß die Toten unter den Lebenden163weilen als Ohren- und Augenzeugen ihrer Worteund Taten, und infolgedessen gehen sie mit größererZuversicht an ihre Geschäfte, gleichsam im Vertrauenauf solchen Schutz; auch lassen sie sich durch denGlauben an die Anwesenheit ihrer Vorfahren vongeheimer Schandtat abschrecken.

Auf Weissagungen und die sonstigen Prophezeiungeneines hohlen Aberglaubens, die andere Völkergewissenhaft beachten, legen die Utopier garkeinen Wert, ja sie machen sich sogar darüberlustig. Wunder dagegen, soweit sie ohne jede natürlicheVeranlassung geschehen, verehren sie als Tatenund Zeugnisse der anwesenden Gottheit. SolcheWunder kommen in Utopien, wie es heißt, häufigvor, und in wichtigen und zweifelhaften Fragenflehen sie bisweilen darum mit großer Zuversichtund unter Veranstaltung eines großen Betfestes underwirken auch ein Wunder.

Für eine Gott wohlgefällige Verehrung halten dieUtopier die Betrachtung der Natur sowie das Lob,das man Gott als ihrem Schöpfer spendet. Doch gibtes auch Leute, und zwar keineswegs wenige, dieunter Berufung auf ihren Glauben von den Wissenschaftennichts wissen wollen, sich um keinerlei Erkenntnisder Natur bemühen und Muße überhauptnicht kennen: nur durch Betätigung und gute Dienste,die man den Mitmenschen erweist, erwirbt man sichnach ihrer Meinung Anspruch auf die Glückseligkeitnach dem Tode. Daher widmen sich die einender Krankenpflege, die anderen bessern Wege aus,reinigen Gräben, bringen Brücken in Ordnung, stechenRasen aus, schaufeln Sand und graben Steineaus, fällen und zersägen Bäume, fahren auf Zweigespannen164Holz, Feldfrüchte und andere Dinge indie Städte und benehmen sich nicht nur in der Tätigkeitfür die Allgemeinheit, sondern auch in derfür Privatleute wie Diener und sind noch arbeitsamerals Sklaven. Denn jede mühsame, schwierigeund schmutzige Arbeit, die es irgendwo gibt undvon der Anstrengung, Widerwille und Verzweiflungdie meisten zurückschrecken, nehmen sie willig undfröhlich ganz auf sich. Den anderen verschaffen sieMuße, sie selber aber arbeiten und plagen sich ohneUnterlaß, ohne jedoch Dank dafür zu beanspruchen;auch tadeln sie die Lebensweise anderer nicht, umihre eigene dafür zu rühmen. Je mehr sich die Leuteals Sklaven zeigen, desto größere Ehre erweistihnen jedermann. Unter ihnen gibt es nun zweiSekten. Die eine ist die der Ledigen. Diese enthaltensich völlig des Geschlechtsverkehrs; auch essensie kein Fleisch, einige sogar, ohne mit irgendeinemTier eine Ausnahme zu machen. Alle Freuden diesesLebens verwerfen sie als schädlich, und in der Hoffnungauf einen baldigen Tod trachten sie leidenschaftlichdanach, durch Nachtwachen und mühseligeArbeit nur die Freuden des künftigen Lebenszu erlangen. Die Anhänger der anderen Sekte sindnicht weniger auf Arbeit erpicht, ziehen es aber dabeivor, zu heiraten; denn sie verschmähen dieKräfte nicht, die von der Ehe ausgehen, und glaubender Natur ihren Zoll entrichten zu müssen unddem Vaterlande Kinder schuldig zu sein. Jedes Vergnügen,das sie in keiner Beziehung von der Arbeitabhält, ist ihnen willkommen. Das Fleisch vierfüßigerTiere schätzen sie schon aus dem Grunde,weil sie von einer solchen Nahrung eine bessere165Kräftigung zu jeder Arbeit erwarten. Die Anhängerdieser Sekte sind in den Augen der Utopier klüger,die der anderen dagegen frömmer. Die letzterenwürde man auslachen, wenn sie sich bei der Bevorzugungder Ehelosigkeit und eines beschwerlichenLebens auf Gründe der Vernunft stützen wollten; soaber betrachtet man sie wegen ihrer religiösen Beweggründemit Ehrfurcht und Hochachtung. Vornichts scheuen sie sich nämlich ängstlicher als vorirgendeiner unbedachten Äußerung über die Religion.Derart also sind die Leute, die die Utopiermit einem besonderen Namen in ihrer Landesspracheals »Buthresken« bezeichnen, was etwa unseremWorte »Mönche« entspricht.

Die Priester der Utopier sind außerordentlichfromm und deshalb sehr gering an Zahl. Es gibtnämlich in jeder Stadt nicht mehr als dreizehn,entsprechend der Zahl der Gotteshäuser, außer inKriegszeiten. Dann aber ziehen sieben von ihnen mitdem Heere ins Feld und werden in der Zwischenzeitdurch eine gleiche Anzahl ersetzt. Kommen dann dieanderen zurück, so nimmt jeder von ihnen wiederseine alte Stelle ein. Die Überzähligen treten derReihe nach an die Stelle der mit Tod Abgehenden;bis dahin sind sie Gehilfen des Oberpriesters, undeiner wird an ihre Spitze gestellt. Die Priester werdenvom Volke gewählt, und zwar wie die übrigenBeamten in geheimer Abstimmung, wodurch manBegünstigungen vermeiden will; die Weihe der Gewähltenvollzieht dann ihr eigenes Kollegium. DiePriester leiten den Gottesdienst, besorgen die Angelegenheitendes Kultus und sind eine Art Sittenrichter,und es gilt als eine große Schande, wenn jemand166von ihnen wegen seines schlechten Lebenswandelsvorgeladen und zur Rede gestellt wird. Wenn auchdie Priester das Recht haben zu ermahnen und zuwarnen, so steht doch die Befugnis zu einer Maßregelungund Bestrafung von Übeltätern nur demBürgermeister und den übrigen Amtspersonen zu, nurdaß die Priester ihrerseits diejenigen, die sie alsschlimme Sünder kennenlernen, vom Gottesdienstausschließen. Und es gibt kaum eine Strafe, die manmehr fürchtet; denn sie macht völlig ehrlos und erweckteine geheime religiöse Furcht, die den Sinnzerrüttet, da die so Bestraften auch nicht hinsichtlichihres Körpers lange ohne Sorge sein können.Wenn sie nämlich die Priester nicht schnell vonihrer Reue überzeugen, werden sie festgenommenund vom Senat wegen Gottlosigkeit bestraft.

Der Unterricht der Kinder und Jugendlichen liegtin den Händen der Priester, und diese lassen sichmehr die Erziehung zu Sitte und Tugend als diewissenschaftliche Ausbildung angelegen sein. Sieverwenden nämlich den größten Fleiß darauf, dennoch zarten und empfänglichen Kinderherzen vonAnfang an gesunde und der Erhaltung ihres Staatesdienliche Anschauungen einzupflanzen. Wenndiese erst einmal im Kinde festsitzen, begleiten sieden Erwachsenen durchs ganze Leben und sind vongroßem Nutzen für die Erhaltung des Staates; dennwas einen Staat zerfallen läßt, sind einzig und alleindie Laster, die ihrerseits wieder aus verkehrten Anschauungenentstehen.

Die Priester sind mit den erlesensten Frauen ihresVolkes verheiratet, soweit sie nicht selbst Frauen sind;denn auch die Frauen sind vom Priestertum nicht ausgeschlossen;167aber eine Frau wird seltener gewählt undauch dann nur, wenn sie verwitwet und betagt ist.Keine Behörde genießt nämlich bei den Utopiern größereEhre, und zwar in dem Ausmaße, daß ein Priester,der sich etwas hat zuschulden kommen lassen, keinemöffentlichen Gericht untersteht: Gott allein undsich selbst ist er überlassen. Die Utopier halten esnämlich für Sünde, den mit Menschenhand zu berühren,und wäre er auch ein noch so schlimmerVerbrecher, der Gott auf eine so einzigartige Weisegleichsam als Opfer geweiht ist. Diesen Brauch könnensie leichter einhalten, weil ihre Priester so geringan Zahl sind und mit so großer Sorgfalt ausgewähltwerden. Kommt es doch nur selten vor, daßein Mann, der, aus der Zahl der Guten als Besterausgesucht, allein wegen seiner Tüchtigkeit zu sohoher Würde erhoben wird, zu Verderbtheit undLasterhaftigkeit entartet. Sollte es aber bei der Unbeständigkeitder menschlichen Natur immerhin einmalvorkommen, so braucht man davon für die Allgemeinheitdurchaus keinen Schaden von großer Bedeutungzu befürchten, da die Zahl der Priester nurgering ist und sie außer ihrem Ansehen keinerleiMacht besitzen. Die Utopier beschränken aber dieZahl ihrer Priester deshalb so stark, weil das Ansehendes Standes, dem sie jetzt so große Verehrungerweisen, nicht dadurch an Bedeutung verlieren soll,daß sie seine Ehre vielen zuteil werden lassen, zumalda sie es für schwierig halten, viele Leute zufinden, die tugendhaft genug zur Bekleidung einesAmtes sind, für dessen Würde eine nur mittelmäßigeTugendhaftigkeit nicht ausreicht.

Die Wertschätzung der Priester ist bei den auswärtigen168Völkern nicht geringer als bei ihren Landsleuten.Das geht deutlich aus einem Brauche hervor,den ich auch für den Ursprung dieser Wertschätzunghalte. Während nämlich die Truppen inder Schlacht um die Entscheidung kämpfen, haltensich die Priester abseits, aber nicht weit entfernt,und liegen in ihren geweihten Gewändern auf denKnien. Die Hände zum Himmel erhoben, beten siezu allererst um Frieden, sodann um Sieg für ihrVolk, aber um einen Sieg, der für beide Teile nichtblutig ist. Im Falle des Sieges ihres Volkes eilen siein den Kampf und gebieten dem Wüten gegen dieGeschlagenen Einhalt. Wer sie nur sieht und anruft,wenn sie da sind, sichert sich sein Leben; wer ihrewallenden Gewänder berührt, schützt auch, was ihmsonst noch gehört, vor jeder kriegerischen Gewalttat.Infolgedessen genießen die Priester bei allenVölkern ringsum eine so große Verehrung und soviel wirklich majestätisches Ansehen, daß die Schonung,die sie vom Feinde für ihre Mitbürger erwirkten,oft nicht geringer war als die, die siebei diesen für den Feind erreicht hatten. So vielsteht jedenfalls fest: schon manchmal, wenn dieFront ihrer Landsleute ins Wanken geraten war,wenn diese in ihrer verzweifelten Lage zu fliehenbegannen und der Feind zu Gemetzel und Plünderungheranstürmte, traten die Priester dazwischen,unterbrachen das Blutvergießen, trennten die Truppenvoneinander, brachten unter gerechten Bedingungeneinen Frieden zustande und schlossen ihnab. Denn noch niemals ist ein Volk so wild, so grausamund so barbarisch gewesen, daß es ihre Personnicht für heilig und unverletzlich gehalten hätte.

169Als Festtage begehen die Utopier den ersten undletzten Tag eines jeden Monats und Jahres. Diesesteilen sie in Monate ein, die der Umlauf des Mondesabgrenzt, wie der Kreislauf der Sonne das Jahrrundet. Alle Anfangstage heißen auf utopisch »Cynemerner«und die Schlußtage »Trapemerner«, wasetwa soviel wie Anfangs- und Schlußfeste bedeutet.

Man sieht in Utopien prachtvolle Tempel, die nichtbloß mit großer Kunst gebaut sind, sondern aucheine gewaltige Menschenmenge fassen, was ja beiihrer geringen Anzahl auch unbedingt notwendigist. Gleichwohl sind sie alle halbdunkel, und zwarsoll das nicht auf mangelhafte Kenntnis in der Baukunstzurückgehen, sondern auf einen Rat der Priester.Nach deren Meinung nämlich lenkt zuviel Lichtdie Gedanken ab, sparsameres und gleichsam unsicheresLicht dagegen trägt zur Sammlung des Geistes undzur Vertiefung der Andacht bei. Zwar ist in Utopiendie Religion nicht überall die gleiche, aber all ihre,wenn auch verschiedenen und vielfältigen Formenkommen trotz Verschiedenheit der Wege in einemeinheitlichen Ziele zusammen, in der Verehrungeines göttlichen Wesens. Infolgedessen ist in denTempeln nichts zu sehen oder zu hören, was nichtfür alle Religionsformen ohne Unterschied passenderschiene. Einen seiner Sekte etwa eigentümlichenBrauch vollzieht ein jeder innerhalb seiner vierWände; den öffentlichen Kult dagegen führt manin einer Form durch, die keiner Religion etwas vonihren Besonderheiten nimmt. Daher ist auch keinGötterbild im Tempel zu sehen, so daß es jedemfreisteht, unter welcher Gestalt er sich die Gottheitseinem persönlichen Glauben gemäß vorstellen will.170Sie rufen Gott unter keinem besonderen Namen an,sondern nur als Mythras, ein Wort, mit dem siealle übereinstimmend das eine Wesen göttlicherMajestät bezeichnen, welcher Art es auch sein mag.Die Gebete, die in Utopien abgefaßt werden, sindauch alle derart, daß sich jeder ihrer bedienen kann,ohne gegen seinen persönlichen Glauben zu verstoßen.

Im Tempel kommen die Utopier an den Schlußfesttagenabends zusammen, ohne noch etwas zusich genommen zu haben, um Gott für den Segenzu danken, den er in dem Jahre oder Monat, dessenletzter Tag dieser Festtag ist, gespendet hat. Inder Frühe des nächsten Tages – denn das ist dannein Anfangsfesttag – strömt das Volk in den Tempelnzusammen, um für das folgende Jahr oder denfolgenden Monat, den sie mit dieser Feier beginnenwollen, Glück und Segen zu erbitten. Ehe man aberan den Schlußfesttagen in den Tempel geht, werfensich daheim die Frauen ihren Männern und die Kinderihren Eltern zu Füßen und bekennen ihnen ihreVerfehlungen, mag es sich nun um eine Missetatoder um eine mangelhafte Pflichterfüllung handeln,und bitten um Vergebung ihrer Schuld. So wirdjedes Wölkchen häuslicher Zwietracht, das etwaaufsteigt, durch solche Abbitte verscheucht, und mannimmt reinen Herzens und unbeschwerten Sinnesam Gottesdienst teil. Man scheut sich nämlich, mitverstörtem Sinn dem Gottesdienst beizuwohnen. Istman sich deshalb bewußt, Haß oder Zorn gegenjemand zu hegen, so geht man erst dann wieder zumGottesdienst, wenn man sich versöhnt und von denLeidenschaften gereinigt hat, weil man sonst eine171schnelle und schwere Strafe fürchtet. Im Tempel angekommen,gehen die Männer auf die rechte unddie Frauen gesondert auf die linke Seite. Dannnehmen sie in der Weise Platz, daß die männlichenMitglieder eines jeden Hauses vor demFamilienvater sitzen, die Familienmutter aber dieReihe der weiblichen Mitglieder schließt. Auf dieseWeise können sämtliche Bewegungen aller Hausgenossenaußerhalb des Hauses von denen beobachtetwerden, deren Autorität und Zucht sie auchinnerhalb des Hauses unterstehen. Ja, die Utopiersehen auch gewissenhaft darauf, daß im Tempelimmer ein Jüngerer mit einem Älteren zusammensitzt,damit nicht die Kinder sich selbst überlassenbleiben und sich nicht während des Gottesdiensteskindisch und albern benehmen. Denn gerade in dieserZeit sollten sie es lernen, fromme Scheu vor denHimmlischen zu hegen, die ja der stärkste und beinaheder einzige Ansp*rn zur Tugend ist. Wenn dieUtopier opfern, so schlachten sie kein Tier, und siekönnen nicht glauben, daß sich Gott in seiner Güteüber Blutvergießen und Morden freut; hat er dochden Lebewesen das Leben zu dem Zwecke geschenkt,daß sie leben. Sie verbrennen Weihrauch und ebensoanderes Räucherwerk; auch stecken sie zahlreicheWachskerzen auf, nicht als ob sie nicht wüßten, daßdas Wesen Gottes dieser Dinge nicht bedarf, ebensowenigwie ja auch der Gebete der Menschen, abersie finden Gefallen an dieser harmlosen Art Gottesverehrung,und die Menschen fühlen, daß dieseDüfte, Lichter und sonstigen Feierlichkeiten sieirgendwie innerlich aufrichten und zur VerehrungGottes freudiger stimmen. Im Tempel trägt das Volk172weiße Gewänder, der Priester dagegen buntfarbige,die nach Arbeit und Form Bewunderung verdienen;nur ist der Stoff nicht ebenso wertvoll. Die Gewändersind nämlich nicht mit Gold gestickt oder mitseltenen Steinen besetzt, sondern aus einzelnenVogelfedern so geschickt und kunstvoll gearbeitet,daß auch der kostbarste Stoff dieser Arbeit an Wertnicht gleichkommen würde. Wie es außerdem heißt,sind in jenen Schwung- und Flaumfedern sowie inihrer bestimmten Anordnung, durch die sie auf demPriestergewande unterschieden werden, gewisse geheimeMysterien verborgen. Ihre Auslegung ist denPriestern bekannt und wird von ihnen gewissenhaftweiter überliefert; die Menschen sollen dadurch andie Wohltaten erinnert werden, die ihnen Gott erweist,an den Dank, den sie ihm dafür schulden, undan die Pflichten, die sie gegenseitig zu erfüllenhaben.

Sobald sich der Priester in diesem Ornat vor demAllerheiligsten zeigt, werfen sich alle sofort vollEhrfurcht zu Boden unter so allgemeinem und tiefenSchweigen, daß schon der bloße Anblick dieses Vorgangseine Art Schauer einflößt, als wenn eine Gottheitzugegen wäre. Sie bleiben eine Weile liegenund erheben sich erst, wenn ihnen der Priester einZeichen gibt. Dann singen sie Gott zu Ehren Hymnen,wozu sie zwischendurch auf Musikinstrumentenspielen. Diese haben zu einem großen Teile eineandere Gestalt als die, die man in unserem Erdteilzu sehen bekommt. Die meisten von ihnen übertreffenzwar die bei uns gebräuchlichen wesentlich anWohlklang, doch sind einige mit den unsrigen nichteinmal zu vergleichen. In einer Beziehung jedoch173sind uns die Utopier unzweifelhaft weit voraus, darinnämlich, daß all ihre Musik, und zwar die Instrumentalmusikebenso wie die Vokalmusik, die natürlichenSeelenzustände deutlich nachahmt und widerspiegelt,daß der Klang sich dem Inhalt des Musikstückestreffend anpaßt, mag es sich um Worte einesBetenden oder um den Ausdruck der Freude, derSanftmut, der Aufregung, der Trauer oder des Zorneshandeln, und daß die Art der Melodie den Sinneines jeden Textes so lebendig veranschaulicht, daßsie die Herzen der Zuhörer in wunderbarer Weiseergreift, erschüttert und entflammt. Zuletzt sprechenPriester und Volk zusammen feierliche Gebete in bestimmtenFassungen, die so gehalten sind, daß jedereinzelne auf sich beziehen kann, was alle zusammenhersagen. In diesen Gebeten ruft sich jeder Gott alsden Schöpfer und Lenker des Weltalls und als denGeber all der anderen Güter wieder ins Gedächtnis,dankt ihm für die zahllosen Wohltaten, die er empfangenhat, besonders aber dafür, daß ihn GottesGüte und Gnade im glücklichsten Staat leben undan einer Religion teilnehmen läßt, die, wie er hofft,der Wahrheit am nächsten kommt. Sollte er sichdarin irren oder sollte es einen besseren Staatoder eine bessere Religion geben, die auch Gottgenehmer wäre, so bitte er darum, seine Güte mögees ihn erkennen lassen; er wolle ihm bereitwilligfolgen, wohin er ihn auch führe. Sollte aberdiese Staatsform die beste und seine Religionsauffassungdie richtigste sein, so möge ihm Gott Beständigkeitverleihen und die anderen Menschen allezu denselben Lebensgrundsätzen und zu derselbenVorstellung von Gott bekehren, falls er nicht in seinem174unerforschlichen Willen auch an dieser Mannigfaltigkeitder Bekenntnisse Gefallen finde. Endlichbittet er noch darum, Gott möge ihn nach einemleichten Tode in sein Reich aufnehmen; wie baldoder wie spät, das wage er nicht im voraus zu bestimmen.Immerhin werde es ihm, soweit es ohneVerletzung der göttlichen Majestät möglich sei, viellieber sein, auch den schwersten Tod zu erleiden,um eher zu Gott zu kommen, als durch das glücklichsteLeben länger von ihm ferngehalten zu werden.Nach diesem Gebet werfen sich alle abermalszu Boden und erheben sich bald darauf wieder, umzum Essen zu gehen; den Rest des Tages verbringensie mit Spielen und militärischer Ausbildung.

Ich habe euch so wahrheitsgemäß wie möglich dieForm dieses Staates beschrieben, den ich bestimmtnicht nur für den besten, sondern auch für den einzigenhalte, der mit vollem Recht die Bezeichnung»Gemeinwesen« für sich beanspruchen darf. Wennman nämlich anderswo von Gemeinwohl spricht, hatman überall nur sein persönliches Wohl im Auge;hier, in Utopien, dagegen, wo es kein Privateigentumgibt, kümmert man sich ernstlich nur um dasInteresse der Allgemeinheit, und beide Male geschiehtes mit Fug und Recht. Denn wie wenige inanderen Ländern wissen nicht, daß sie trotz nochso großer Blüte ihres Staates Hungers sterben würden,wenn sie nicht auf einen Sondernutzen bedachtwären! Und deshalb zwingt sie die Not, eher ansich als an ihr Volk, das heißt an andere, zu denken.Dagegen hier, in Utopien, wo alles allen gehört,ist jeder ohne Zweifel fest davon überzeugt, daß175niemand etwas für seinen Privatbedarf vermissenwird, wofern nur dafür gesorgt wird, daß die staatlichenSpeicher gefüllt sind. Denn hier werden dieGüter reichlich verteilt, und es gibt keine Armen undkeine Bettler, und obgleich niemand etwas besitzt,sind doch alle reich. Könnte es nämlich einen größerenReichtum geben, als völlig frei von jederSorge, heiteren Sinnes und ruhigen Herzens zuleben, nicht um seinen eigenen Lebensunterhaltängstlich besorgt, nicht gequält von der Geldforderungder jammernden Gattin, ohne Furcht, der Sohnkönne in Not geraten, ohne Angst und Bange umdie Mitgift der Tochter, sondern unbesorgt um deneigenen Lebensunterhalt und um den der Seinen,der Gattin, der Söhne, der Enkel, Urenkel und Ururenkelund der ganzen Reihe von Nachkommen, solang, wie sie ein Ehrenmann erwartet? Ja, diese Fürsorgeerstreckt sich sogar in demselben Umfange aufdie, die früher gearbeitet haben, jetzt aber nichtmehr dazu imstande sind, wie auf die, die jetzt nocharbeiten. Da wünschte ich, es wagte jemand, mitdieser Billigkeit die Gerechtigkeit anderer Völkerzu vergleichen, und ich will des Todes sein, wennich bei ihnen auch nur die geringste Spur von Gerechtigkeitund Billigkeit finde! Oder ist das etwaGerechtigkeit, wenn jeder beliebige Edelmann oderGoldschmied oder Wucherer oder schließlich irgendeinanderer von denen, die entweder überhauptnichts tun oder deren Tätigkeit für den Staat nichtdringend notwendig ist, ein prächtiges und glänzendesLeben führen darf auf Grund eines Verdienstes,den ihm sein Nichtstun oder seine überflüssige Tätigkeiteinbringt, während zu gleicher Zeit der Tagelöhner,176der Fuhrmann, der Schmied und der Bauermit seiner harten und ununterbrochenen Arbeit, wiesie kaum ein Zugtier aushalten würde, die aber sounentbehrlich ist, daß ohne sie kein Gemeinwesenauch nicht ein Jahr bloß auskommen könnte, einennur so geringen Lebensunterhalt verdient und ein soelendes Leben führt, daß einem die Lage der Zugochsenweit besser vorkommen könnte, weil sie nichtso dauernd arbeiten müssen, weil ihre Nahrung nichtviel schlechter ist und ihnen sogar besser schmecktund weil sie bei alledem wegen der Zukunft keineAngst zu haben brauchen? Aber diese Menschenquält eine erfolglose und undankbare Arbeit in derGegenwart, auch peinigt sie der Gedanke an einhilfloses Alter. Denn wenn ihr täglicher Verdienstzu kärglich ist, um auch nur für denselben Tag auszureichen,kann auf keinen Fall etwas herausspringenund übrigbleiben, um täglich für die Verwendungim Alter zurückgelegt zu werden. Ist das nichteine ungerechte und undankbare Gemeinschaft, dieden sogenannten Edelleuten, den Goldschmieden undden übrigen Leuten dieser Art, die weiter nichts alsMüßiggänger oder Schmarotzer sind und nur unnützeLuxusdinge herstellen, in so verschwenderischerWeise ihre Gunst bezeugt, die dagegen für dieBauern, Köhler, Tagelöhner, Fuhrleute und Schmiede,ohne die überhaupt kein Staat bestehen könnte, inkeinerlei Weise sorgt? Sie nutzt die Arbeitskraftihrer besten Lebensjahre aus und vergilt ihnen dann,wenn sie schließlich, von Alter und Krankheit beschwert,an allem Mangel leiden, auf höchst undankbareWeise, indem sie sie, uneingedenk so vielerNächte, die sie durchwacht, und so vieler und wichtiger177Dienste, die sie geleistet haben, auf ganzelende Weise sterben läßt. Was soll man gar nochdazu sagen, daß die Reichen Tag für Tag von demtäglichen Verdienst der Armen nicht nur durch privatenBetrug, sondern sogar auf Grund staatlicherGesetze etwas abzwacken? So haben diese Menschendas, was früher als ungerecht galt: die höchstenVerdienste um den Staat mit dem schnödesten Undankzu lohnen, in seiner Geltung entstellt und sogarnoch in Gerechtigkeit verwandelt, indem sie esdurch Gesetze sanktionierten. Wenn ich daher alleunsere Staaten, die heute irgendwo in Blüte stehen,im Geiste betrachte und über sie nachdenke, so stoßeich, so wahr mir Gott helfe, einzig und allein aufeine Art Verschwörung der Reichen, die unter Mißbrauchdes Namens- und Rechtstitels eines Staatesnur auf ihre persönlichen Interessen bedacht sind.Sie ersinnen und denken sich alle möglichen Mittelund Ränke aus, zunächst, um ihren unrechtmäßigerworbenen Besitz zu behalten, ohne fürchten zumüssen, ihn zu verlieren, und sodann, um sich dieangestrengte Arbeit aller Armen so billig wie möglichzu erkaufen und zu ihrem Vorteil zu mißbrauchen.Sobald nun die Reichen erst einmal im Namendes Staates, also auch im Namen der Armen, beschlossenhaben, diese Machenschaften durchzuführen,erhalten sie sofort Gesetzeskraft. Aber selbstwenn diese so schlechten Menschen alle diese Güter,die für alle gereicht hätten, in unersättlicher Habgieruntereinander aufteilen, wieviel fehlt ihnentrotzdem noch an dem Glück des utopischen Staates!Hier ist mit dem Gebrauch des Geldes selbst zugleichjede Geldgier aus der Welt geschafft. Welch178schwere Last von Verdrießlichkeiten ist dadurch abgewälzt,welch reiche Saat von Verbrechen mitsamtder Wurzel ausgerissen! Wer weiß nämlich nicht,daß Betrug, Diebstahl, Raub, Streit, Unruhe, Zank,Aufstand, Mord, Verrat und Giftmischerei, die jetztdurch tägliche Bestrafungen mehr geahndet als eingeschränktwerden, mit der Beseitigung des Geldesabsterben müssen und daß außerdem Furcht, Unruhe,Sorgen, Anstrengungen und durchwachteNächte in demselben Augenblick wie das Geld verschwindenwerden? Ja, die Armut selbst, der einzigeZustand, wie es scheint, in dem Geld gebraucht wird,würde augenblicklich abnehmen, wenn man das Geldüberall völlig abschaffte. Wenn du dir das noch deutlichermachen willst, mußt du dir einmal ein dürresund unfruchtbares Jahr vorstellen, in dem der Hungerviele Tausende von Menschen dahingerafft hat.Nun behaupte ich ganz bestimmt: hätte man amEnde dieser Hungersnot die Speicher der Reichendurchsucht, so wäre so viel Getreide zu finden gewesen,daß überhaupt niemand jene Ungunst desWetters und jenen geringen Ertrag des Bodens hättezu spüren brauchen, wenn man die Vorräte unter dieverteilt hätte, die in der Tat Opfer der Abmagerungund Auszehrung geworden sind. So leicht könnteman beschaffen, was man zum Leben braucht, wennnicht jenes herrliche Geld, ganz offenbar dazu erfunden,den Zugang zum Lebensunterhalt zu erschließen,allein es wäre, das ihn uns verschließt.Das merken ohne Zweifel auch die Reichen, und siewissen ganz genau, wieviel besser jener Zustandwäre, nichts Notwendiges zu entbehren als an vielerleiÜberflüssigem Überfluß zu haben, und wieviel179besser es wäre, von so zahlreichen Übeln befreit alsvon so großem Reichtum beschwert zu sein. Ich magauch gar nicht daran zweifeln, daß die Sorge fürdas persönliche Wohl jedes einzelnen oder die AutoritätChristi, unseres Heilands, der bei seiner sogroßen Weisheit wissen mußte, was das Beste sei,und bei seiner so großen Güte nur zu dem ratenkonnte, was er als das Beste erkannt hatte, die ganzeWelt ohne Mühe schon längst für die Gesetze desutopischen Staates gewonnen hätte, wenn nicht eineeinzige Bestie, das Haupt und der Ursprung allesUnheils, die Hoffart, dagegen ankämpfte. Sie mißtihr Glück nicht am eigenen Nutzen, sondern amfremden Unglück. Sie möchte nicht einmal Göttinwerden, wenn dann keine Unglücklichen mehr übrigblieben,über die sie herrschen und die sie verhöhnenkönnte, im Vergleich zu deren Elend ihr eigenesGlück in besonderem Glanze erstrahlen soll unddie sie in ihrer Not durch Entfaltung ihres eigenenReichtums quälen und aufbringen möchte. DieHoffart, eine Schlange der Hölle, nistet sich in dieHerzen der Menschen ein, hält sie wie ein Hemmschuhzurück und hindert sie, einen besseren Lebenswegeinzuschlagen. Dieses Gewürm hat sich zu tiefins Menschenherz eingefressen, als daß es sich ohneMühe wieder herausreißen ließe. Und deshalb freueich mich, daß wenigstens den Utopiern diese Staatsformzuteil geworden ist, die ich von Herzen gernüberall sehen möchte. Sie haben sich Lebenseinrichtungengeschaffen, mit denen sie das Fundamenteines Staates legten, dem nicht nur das höchsteGlück, sondern, nach menschlicher Voraussicht wenigstens,auch ewige Dauer beschieden ist. Seitdem180sie nämlich im Inneren Ehrgeiz und Parteisuchtebenso wie die anderen Laster mit Stumpf und Stielausgerottet haben, droht keine Gefahr mehr, daß sieunter innerem Zwist zu leiden haben, der schon vielfachdie alleinige Ursache des Unterganges vonStädten gewesen ist, deren Macht und Wohlstandtrefflich gesichert war. Solange jedoch die Eintrachtim Inneren und die gesunde Verfassung erhaltenbleiben, ist der Neid auch aller benachbartenFürsten nicht imstande, das Reich zu zerrütten oderzu erschüttern, was er vor langer Zeit zwar schonzu wiederholten Malen, aber immer ohne Erfolg versuchthat.«

Als Raphael mit seinem Bericht zu Ende war, fielmir gar mancherlei ein, was mir an den Sitten undGesetzen jenes Volkes überaus sonderbar vorkam,nicht nur an der Art und Weise seiner Kriegführung,an seinem Gottesdienst und seiner Religion und annoch anderen seiner Einrichtungen, sondern auchganz besonders an dem eigentlichen Fundamentseiner ganzen Verfassung, nämlich an seinem gemeinschaftlichenLeben und der gemeinschaftlichenBeschaffung des Lebensunterhalts, und zwarunter Ausschaltung jedes Geldverkehrs. Beseitigtdoch schon diese letzte Bestimmung für sich alleinvon Grund aus jeden Adel, jede Pracht, jeden Glanz,jede Würde, also den der öffentlichen Meinung nachwahren Glanz und Schmuck eines Staates. Ich wußtejedoch, daß Raphael vom Erzählen müde war, undich war nicht ganz sicher, ob er einen Widerspruchgegen seine Meinung vertragen würde, zumal da ichdaran dachte, wie er gewisse Leute deshalb getadelthatte, weil sie nach seiner Ansicht Angst hatten,181nicht für klug genug zu gelten, wenn sie nichtan den Einfällen anderer Leute etwas fänden, woransie herumzausen könnten. Deshalb lobte ich nur dieVerfassung jenes Volkes und die Erzählung Raphaels,nahm ihn bei der Hand und führte ihn insHaus zum Essen; doch sagte ich vorher noch, wirwürden wohl noch ein anderes Mal Zeit finden, überdie gleichen Dinge tiefer nachzudenken und unsausführlicher mit ihm zu unterhalten. Ich wollte nur,es käme noch einmal dazu! Bis dahin kann ich zwarnicht allem zustimmen, was dieser übrigens unbestrittenhochgelehrte Mann von reifer Lebenserfahrunggesagt hat, doch gestehe ich ohne weiteres,daß ich sehr vieles von der Verfassung der Utopierin unseren Staaten eingeführt sehen möchte. Allerdingsmuß ich das wohl mehr wünschen, als daß iches hoffen dürfte.

Ende.

Ende der Nachmittagserzählung des Raphael Hythlodeusüber die Gesetze und Einrichtungen derbisher nur wenigen bekannten Insel Utopia, durchden hochberühmten und hochgelehrten Herrn ThomasMorus, Bürger und Vicecomes von London, bekanntgegeben.

End of the Project Gutenberg EBook of Utopia, by Thomas Morus*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK UTOPIA ******** This file should be named 26971-h.htm or 26971-h.zip *****This and all associated files of various formats will be found in: https://www.gutenberg.org/2/6/9/7/26971/Produced by Norbert H. Langkau, Jana Srna and the OnlineDistributed Proofreading Team at https://www.pgdp.netUpdated editions will replace the previous one--the old editionswill be renamed.Creating the works from public domain print editions means that noone owns a United States copyright in these works, so the Foundation(and you!) can copy and distribute it in the United States withoutpermission and without paying copyright royalties. Special rules,set forth in the General Terms of Use part of this license, apply tocopying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works toprotect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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Information about Donations to the Project GutenbergLiterary Archive FoundationProject Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission ofincreasing the number of public domain and licensed works that can befreely distributed in machine readable form accessible by the widestarray of equipment including outdated equipment. Many small donations($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exemptstatus with the IRS.The Foundation is committed to complying with the laws regulatingcharities and charitable donations in all 50 states of the UnitedStates. Compliance requirements are not uniform and it takes aconsiderable effort, much paperwork and many fees to meet and keep upwith these requirements. We do not solicit donations in locationswhere we have not received written confirmation of compliance. ToSEND DONATIONS or determine the status of compliance for anyparticular state visit https://pglaf.orgWhile we cannot and do not solicit contributions from states where wehave not met the solicitation requirements, we know of no prohibitionagainst accepting unsolicited donations from donors in such states whoapproach us with offers to donate.International donations are gratefully accepted, but we cannot makeany statements concerning tax treatment of donations received fromoutside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.Please check the Project Gutenberg Web pages for current donationmethods and addresses. Donations are accepted in a number of otherways including including checks, online payments and credit carddonations. To donate, please visit: https://pglaf.org/donateSection 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronicworks.Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tmconcept of a library of electronic works that could be freely sharedwith anyone. For thirty years, he produced and distributed ProjectGutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printededitions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarilykeep eBooks in compliance with any particular paper edition.Most people start at our Web site which has the main PG search facility: https://www.gutenberg.orgThis Web site includes information about Project Gutenberg-tm,including how to make donations to the Project Gutenberg LiteraryArchive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how tosubscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
The Project Gutenberg eBook of Utopia, by Thomas Morus (2024)

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